Twitter unter Elon Musk: Es ist ein wilder Ritt.

Foto: Fatih Aydogdu

An Tag sechs enthüllt der Teufel seine wahre Gestalt. Elon Musk, der neue Alleinherrscher von Twitter, teilt zu Halloween ein Foto, auf dem er im Kreise seiner Familie in einem blutroten ledernen, stacheligen Panzer posiert, auf der Brust das Symbol des Baphomet, das Teufelssymbol der Satanisten. Ja, wahrhaftig, der Fürst der Finsternis hat die Macht übernommen, um die Welt mit einem Kübel aus Lügen, Hass und Dummheit zu übergießen. Passend dazu der Standort, den Musk in seinem Profil angibt: "Hell", die Hölle.

Und doch müssen ihm wohl sogar seine ärgsten Kritiker eines zugutehalten: Er ist vielleicht Satan, dafür aber ein äußerst kommunikativer. Gebietet es schließlich die Eitelkeit, jeden Blödsinn mit der Welt zu teilen. Und da auch die Gegenseite kein Problem mit Selbstinszenierung hat, ließ sich auf Twitter in den letzten Tagen ein Schauspiel epischen Ausmaßes beobachten: Gut gegen Böse, Licht gegen Dunkel, Menschlichkeit gegen Tyrannei. Elons teuflische Tragödie, ein Drama in vier Akten.

26. Oktober 2022 – der erste Höllenkreis: Vorhölle

Alles beginnt, es könnte profaner nicht sein, mit einem Waschbecken. Seit Wochen war bekannt, dass Musk, als Tesla-CEO zum reichsten Mann der Welt geworden, plant, den Kurznachrichtendienst zu übernehmen. Er wolle dort die "Redefreiheit zurückholen", so sagt er in Interviews. Für jene, die im libertären Milliardär immer schon den Mephisto sahen, hieß das übersetzt: Musk will das Tor für Hetzer wie Donald Trump öffnen, dessen Account nach Jahren des Fake-News-Exzesses endlich gesperrt wurde – und dabei gleich die amerikanische Demokratie beerdigen, ja alle Demokratien dieser Welt, und dem Faschismus den Weg ebnen, zumindest. Dass Twitter mit 238 Millionen Nutzern ein doch recht elitärer Zirkel ist, wurde dabei gerne ausgeblendet. Als der erste Deal dann platzte, war die Hoffnung groß, dass es doch anders kommen könnte. Bis, nun ja, zu jenem Tag mit dem Waschbecken.

Am 26. Oktober teilte Musk ein Video, wie er lachend die Zentrale in San Francisco betritt, im Arm das weiße Badutensil. Dazu die Worte: "Let that sink in!" Offenbar ein Wortspiel: "Lasst das Waschbecken hinein", wäre die eine Übersetzungsmöglichkeit, die ergibt allerdings wenig Sinn. Die andere – "Lasst das mal auf euch wirken" – schon mehr.

Wie sehr es wirkt, wird sich bald zeigen.

28. bis 30. Oktober 2022 – der zweite Höllenkreis: Zorn

Es ist später Abend in Kalifornien. Gerade hatte Musk seine Chefriege gefeuert und sich selbst zum "Chief Twit" gekrönt (was wohl so viel wie Chef-Twitterer heißen soll – oder doch "Oberster Dolm", wie "ZiB 2"-Anchor und Twitter-Influencer Armin Wolf mutmaßt?), da schreibt Musk: "The Bird is freed" – das blaue Twittervögelchen, endlich ist es frei. Jetzt kann es also richtig losgehen.

Zwei Tage vergehen, da macht der Teufel seinen ersten Zug. Unter einem Beitrag von Hillary Clinton zum Überfall auf den 82-jährigen Ehemann der Demokratin Nancy Pelosi teilt Musk am 30. Oktober einen Artikel. Überschrift: "Die schreckliche Wahrheit: Paul Pelosi war wieder betrunken und hatte am frühen Freitagmorgen einen Streit mit einem männlichen Prostituierten". Quelle: die Website "Santa Monica Observer", auf der in der Vergangenheit unter anderem gemutmaßt wurde, Hillary Clinton sei verstorben und durch eine Doppelgängerin ersetzt worden. Musk: "Es besteht die winzige Möglichkeit, dass hinter dieser Geschichte mehr steckt, als man meinen könnte." Das also heißt Meinungsfreiheit? Jedes absurde Gerücht teilen, solange es aus Musks Sicht "eine winzige Möglichkeit" zur Wahrheit gebe? Eine Stunde bleibt der Beitrag stehen, er wird tausende Male geteilt, bis Musk ihn löscht – kommentarlos.

Das also war schon ziemlich eindrucksvoll, nun aber Auftritt des Lichtes: Es stellt sich – wie immer, wenn die Tyrannei droht – die eine, die unausweichliche wie fundamentale Frage: Bleiben oder gehen? Viele sehen keine andere Möglichkeit als den Exodus. Der Hashtag #MastodonMigration wird zum Trend – Mastodon, ein von Nerds aufgesetzter Twitter-Klon, es ist quasi das Linux unter den sozialen Netzwerken: ungemein unhandlich, unübersichtlich, dafür aber immun gegen gierige Milliardärsfinger. Und auch wenn ein Nutzer anmerkt, Mastodon klingt wie eine Hämorrhoidensalbe für Rinder, so wird es bald zur Chiffre für alles Gute: für Respekt, Solidarität, ja für Menschlichkeit. "Mastodon ist mein Westfernsehen", schreibt "Titanic"-Satiriker Dax Werner. Trotzdem, nicht alle wollen gehen. "Auf Twitter bleiben, aber im Widerstand", erklärt die Historikerin Hedwig Richter. Nun ja.

31. Oktober bis 1. November 2022 – der dritte Höllenkreis: Gier

Autor Stephen King kennt sich aus mit dem Bösen. Der King of Horror weiß, dass man vielem nicht trauen darf, Ehemännern in verlassenen Hotels etwa, roten Heckflossenlimousinen, vor allem aber Clowns. Es verwundert also kaum, dass King die Twitter-Übernahme kritisch sieht. Und trotzdem wäre das alles vielleicht noch irgendwie zu ertragen – aber was soll man bloß von dieser Wahnsinnsidee halten? 20 Dollar im Monat sollen Leute wie King zukünftig für ihren weißen Haken auf blauem Grund zahlen – also jenes Symbol hinter dem Twitter-Namen, das bestätigt, dass es sich dabei auch wirklich um die prominente Person handelt. "Fuck that", schreibt King, "man sollte mir etwas zahlen." Und: "Wenn das umgesetzt wird, dann bin ich weg."

Wer wohlwollend ist, könnte Musk eine gewisse Kundennähe unterstellen. Er ist kein Chef, der im Hinterzimmer Entscheidungen trifft und die Beschwerden auf ein armes Social-Media-Team abwälzt. "Irgendwie müssen wir unsere Rechnungen ja bezahlen", antwortet der Chief Twit höchstpersönlich. Er brauche das Geld, um gegen Trolle und Bots vorzugehen. "Wie wäre es mit acht Dollar?"

1. bis 3. November 2022 – der vierte Höllenkreis: Verzweiflung

Keine Woche ist vergangen, da hat es Elon Musk bereits satt. In seiner Beschreibung wurde aus dem Chief Twit der "Twitter Complaint Hotline Operator": Musks Account ist nun die offizielle Beschwerde-Hotline, so zumindest fühlt es sich an. "Wenn ich jedes Mal, wenn ich gefragt werde, ob Donald Trump zurückkommt, einen Dollar erhalten würde – dann würde Twitter Geld drucken", schreibt er. Und: "An alle, die sich beschweren, macht gerne weiter, aber es wird acht Dollar kosten." Und: "Twitter spricht den inneren Masochisten von uns allen an." Kurzum: Kommt es bald zur unausweichlichen Entscheidung, dem Sieg des Lichts über das Dunkel? Oder wird der Tyrann in seiner Verzweiflung alles niederbrennen, so wie einst Nero das antike Rom?

Vermutlich nicht. Denn die Realität ist weder Roman noch Theaterstück, und deshalb ist ein Ende auch nicht absehbar. Und somit twittern selbst die größten Musk-Gegner rege weiter, trotz eines Zweit-Accounts bei Mastodon. Musk beginnt indes, die Hälfte der Belegschaft zu kündigen. Vielleicht hat er ja nicht ganz unrecht, wenn er schreibt: "Twitter ist einfach der interessanteste Ort im Internet. Das ist der Grund, warum ihr diesen Tweet gerade lest." (Benedikt Herber, 5.11.2022)