Es ist zwölf Jahre her, dass Doug Heye, damals bei den US-Republikanern für Kommunikation zuständig, eine Kampagne gegen die Demokratin Nancy Pelosi startete. Er bezweckte vor den Midterm-Wahlen eine Zuspitzung, denn die Demokraten sollten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verlieren – womit Pelosi ihren Job als Parlamentschefin los wäre. "Fire Pelosi", lautete Heyes Parole, "Feuert Pelosi". Jemand kam auf die Idee, die Doppelbedeutung von "fire" zur geschmacklosen Fotomontage zu machen: Auf Postern loderten Flammen um den Kopf der Politikerin.

In US-Wahlkämpfen gingen die Emotionen schon immer hoch. Doch noch nie war der Ton so aggressiv wie vor den Midterm-Wahlen, die am kommenden Dienstag stattfinden. In vorderster Linie: Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump.
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Damals – so schrieb Heye dieser Tage in der Washington Post – sei er stolz auf seine Kampagne gewesen. Doch Wochen später: das Innehalten. In Arizona schoss ein mental gestörter Angreifer auf Gabrielle Giffords, eine demokratische Kongressabgeordnete, und verletzte sie lebensgefährlich am Kopf. Intern, so Heye, hätten sich die Spitzen der Republikaner darauf verständigt, das Attentat nicht nur zu verurteilen, sondern auch dafür zu sorgen, dass niemand etwas Unpassendes dazu sagen würde. "Das war damals schon schwer genug. Ich bin mir nicht sicher, ob es heute noch möglich wäre. Hässliche Witze, die einige über den Angriff auf Nancy Pelosis Mann Paul machen, lassen vermuten, dass es das nicht ist."

Paul Pelosi wurde am 28. Oktober in seinem Haus in San Francisco mit einem Hammer verletzt – von einem 42-Jährigen, der es offenbar auf die Parlamentspräsidentin abgesehen hatte. Offenbar wusste er nicht, dass sie zu dem Zeitpunkt in Washington weilte.

Donald Trump Junior postete daraufhin ein Bild von einem Hammer und einer Unterhose und schrieb: Das sei ein Kostüm für das kommende Halloween-Fest. Und Donald Trump Senior streute wilde Gerüchte. Den Ermittlern zufolge zertrümmerte der Angreifer eine Glastür, ehe er in das Haus eindrang. Das Glas, so behauptete der Ex-Präsident, sei von innen zerschmettert worden: "Es war also kein Einbruch, es war ein Ausbruch."

Die Tatsache, dass manche diese Attacke mit Häme kommentierten, war für Heye, den Provokateur von einst, Anlass genug, sich mahnend zu Wort zu melden: "Immer öfter bekommen die lautesten, zornigsten, am stärksten spaltenden Stimmen die größte Aufmerksamkeit. Es kommen Menschen zu Schaden. Wir können von Glück reden, dass noch niemand getötet wurde. Und ich fürchte, dass ich das Wort ‚noch‘ betonen muss."

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"Uncle Sam" brüllt seine Begeisterung für Donald Trump heraus.
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Nun gehörte scharfe Polemik schon immer zur US-Politik, wo man den Diskurs als offenen Schlagabtausch versteht, bei dem am Ende einer das Victory-Zeichen macht, während der andere, bildlich gesprochen, in den Seilen hängt. Die amerikanische Gesellschaft ist eine zerrissene, das ist nicht neu. Gestritten wird gleichsam mit Megafon vor dem Mund, auch das ist nicht neu.

Aber den Kontrahenten nicht nur Kontra zu geben, sondern ihnen auch, und zwar grundsätzlich, unlautere Absichten zu unterstellen, das prägt die Debatte erst, seit Trump die politische Bühne betrat.

"Gefährliches Klima"

Barack Obama, der 2008 Präsidentschaftskandidat der Demokraten wurde, weil er die USA als tatsächlich vereinigte Staaten beschwor, hat es kürzlich in Detroit auf den Punkt gebracht: "Wenn unsere Rhetorik so gemein wird; wenn wir Leuten nicht nur widersprechen, sondern anfangen, sie zu dämonisieren; wenn wir wilde, verrückte Anschuldigungen gegen sie erheben, dann schafft das ein gefährliches Klima. Wenn gewählte Amtsträger nicht mehr tun, um sich dieser Rhetorik zu verweigern, wenn sie sie im Stillen gutheißen oder ihre Anhänger ermuntern, sich mit Waffen und in Kampfanzügen neben Wahllokale zu stellen, können noch mehr Leute Schaden nehmen." Mit all dem, warnte Obama, verletze man den Grundgedanken Amerikas.

Schon im Sommer gab es wütende Proteste gegen die FBI-Razzia bei Donald Trump. Das Misstrauen gegenüber dem Staat sitzt tief.
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Die Dämonisierung des Gegners lässt die Hemmschwellen politisch motivierter Gewalt offensichtlich sinken. Wer geglaubt hatte, der Sturm auf das Kapitol vom 6. Jänner 2021 könnte eine Pause der Nachdenklichkeit nach sich ziehen, sieht sich eines Besseren belehrt. Alexandria Ocasio-Cortez, die linke Abgeordnete aus New York, dokumentiert regelmäßig Morddrohungen, die sie erhält. In Cincinnati wurde ein Büro des FBI attackiert, nachdem Bundespolizisten das Anwesen Trumps in Mar-a-Lago nach Geheimdokumenten durchsucht hatten. Im grünen Vorortgürtel Washingtons tauchte ein Mann mit einer Pistole vor der Villa von Brett Kavanaugh auf, womöglich mit Tötungsabsichten, weil dieser mit der konservativen Richtermehrheit im Supreme Court das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekippt hatte.

Der frühere US-Präsident Donald Trump veranstaltete in Miami eine Kundgebung zur Unterstützung republikanischer Kandidaten bei den Midterm-Wahlen. "Wenn Sie Sicherheit für Ihre Familie und Sicherheit für Ihre Gemeinde wollen, müssen Sie jeden Demokraten aus dem Amt wählen und für die Republikaner stimmen", so der ehemalige Präsident
DER STANDARD

Nach einer Umfrage der Quinnipiac University halten 69 Prozent der Amerikaner – Republikaner ebenso wie Demokraten – ihre Demokratie inzwischen für derart bedroht, dass sie kollabieren könnte. Dies allerdings aus völlig verschiedenen Gründen: Republikaner glauben, die Demokraten hätten bereits die Wahlen im November 2020 manipuliert; sie würden dergleichen jederzeit wieder tun, falls man ihnen freie Hand lasse. Und die Demokraten trauen den Republikanern zu, nun erst recht die Manipulation kommender Wahlen vorzubereiten, nachdem sie schon 2020 von einem manipulierten Votum gesprochen hatten, ohne es nur im Ansatz belegen zu können.

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Trumps Gefolgschaft geht noch immer auf die Straße, viele hoffen auf dessen Kandidatur 2024.
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Das Pew-Institut hat ermittelt, dass 72 Prozent der republikanischen Wählerschaft auf demokratischer Seite unmoralische und unehrliche Menschen sehen, während es 2016 nur 47 Prozent waren. Ähnlich negativ ist das Bild, das sich Demokraten von Republikanern machen.

Es kommt der Wahlkampf 2008 in den Sinn, das Duell Barack Obamas mit John McCain: Bei allen Differenzen, betonte der Republikaner McCain, verbinde ihn etwas mit dem Demokraten Obama, das über dem Trennenden stehe: dass man eben Amerikaner sei. Als eine Frau bei einem Bürgerforum erklärte, sie traue diesem Obama nicht, der sei doch ein Araber, nahm ihr McCain das Mikrofon aus der Hand, um spontan zu widersprechen: Nein, Obama sei ein anständiger Familienmensch; ein Bürger des Landes, mit dem er zufällig gewichtige Meinungsverschiedenheiten habe. Ist das die Welt von gestern? Nur noch nostalgisch verklärte Erinnerung?

So dystopisch die aktuellen Zahlen der Meinungsforscher anmuten: Klar ist auch, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt. In der Krise das Ruder herumwerfen, sich neu erfinden, das sind – oder waren es jedenfalls – uramerikanische Fähigkeiten, wenn auch bisweilen mythisch überzeichnet. Gut möglich, dass die Wählerschaft alle Prognosen über die existenzielle Gefahr für die Demokratie demnächst Lügen straft. Doch schon die Momentaufnahme ist beunruhigend genug, und wer vor allem die Schuld am Sinken von Hemmschwellen trägt, liegt auf der Hand.

Trump deutet Kandidatur an

Trump, der Populist, der vom Vertiefen der Gräben lebt. Trump, der an diesem Donnerstag erneut andeutete, dass er "sehr, sehr, sehr wahrscheinlich" 2024 noch einmal fürs Weiße Haus kandidieren werde. Indem er Joe Bidens Sieg im November 2020 bis heute als Lüge bezeichnet, weigert sich der nach einer Amtszeit Abgewählte, das Fundament der Demokratie zu akzeptieren: die friedliche Übergabe der Macht. Mehr als die Hälfte der Republikaner, die sich nächste Woche bei den Midterms zur Wahl stellen, teilen Trumps These vom gestohlenen Sieg.

Leigh Chapman – sie ist in Pennsylvania State Secretary, was ungefähr dem Amt einer Innenministerin entspricht – macht am Beispiel ihres Bundesstaats deutlich, was die Realitätsverweigerung ganz praktisch an (häufig übersehenen) Folgen nach sich zieht: Sie werde nicht vergessen, wie Wahlhelfer 2020 eingeschüchtert wurden, bloß weil sie pflichtbewusst ihren Job machten und noch Tage nach dem Votum Briefwahlstimmen auszählten, erzählte sie neulich bei einer Diskussionsrunde des Thinktanks Center for American Progress.

Pennsylvania – ein Swing State, der auch diesmal bei den Zwischenwahlen im Fokus steht – besteht aus 67 Countys. Das bedeutet, dass es 67 Wahlleiter oder Wahlleiterinnen gibt. Von denen, so Chapman, hätten mittlerweile über 50 den Posten aufgegeben. Einige aus Altersgründen; andere aber reagierten auf Drohungen, die in manchen Fällen auch gegen ihre Familien gerichtet waren. (Frank Herrmann, 7.11.2022)