Eine Solidaritätskundgebung für die Letzte Generation Ende Oktober in München.

Foto: imago / Alexander Pohl

"Die 44-jährige Radfahrerin, die am vergangenen Montag bei einem Verkehrsunfall in Wilmersdorf lebensgefährlich verletzt worden war, ist gestern Abend im Krankenhaus verstorben." Dies teilten die Berliner Staatsanwaltschaft und die Berliner Polizei am Freitag in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.

Im Gegensatz zu diesem nüchternen Ton steht die Debatte um den tragischen Unfall. "Die kriminelle #LetzteGeneration gehört sofort verboten", lautet eine Forderung auf Twitter. Und jemand anderer verwendet den Begriff "Mörder" für die Aktivisten. Denn am Montag hatten diese sich auf einer Schilderbrücke über der Stadtautobahn A100 in Berlin festgeklebt. Es kam zu einem Stau, in diesem steckte auch der Einsatzwagen der Berliner Feuerwehr fest, der angefordert worden war, um den Betonmischer anzuheben, der die Radlerin umgefahren hatte.

Nach ersten Angaben der Berliner Feuerwehr hatte das Unfallopfer daher zunächst anders versorgt werden müssen. Doch am Freitag berichtete die "Süddeutsche Zeitung", laut einem internen Vermerk der Berliner Feuerwehr habe der von den Aktivisten verursachte Stau keinen Einfluss auf die Versorgung des Unfallsopfers gehabt.

Notärztin vor Ort

In dem Vermerk über den "Einsatz 277 vom 31. Oktober", in den die "Süddeutsche" Einblick hatte, heißt es: Das Unfallopfer, das "bei Eintreffen unter dem mittleren Reifen des Lasters mit einem Bein eingeklemmt" war, sei an Ort und Stelle von einer Notärztin versorgt worden. Diese war durch den Stau nicht gehindert. Während das sehr große Spezialfahrzeug der Feuerwehr, der "Rüstwagen", der den Betonmischer hätte anheben können, noch im Stau steckte, habe die Notärztin bereits entschieden, auf das Anheben des Betonmischers zu verzichten.

"Ein Anheben wurde kurz erwogen, hätte aber wohl länger gedauert wie auch die medizinische Situation verschlechtert", heißt es zur Begründung für die Entscheidung der behandelnden Notärztin. Der drei Seiten lange Vermerk ist von dem ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes in Berlin unterzeichnet worden und wurde auch an die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) verschickt.

Laut dem Berliner "Tagesspiegel" wurde die Besatzung des Rüstwagens RW3 in der Feuerwache Charlottenburg-Nord um 8.26 Uhr alarmiert. Der Unfallort lag sieben Kilometer entfernt in der Bundesallee. Seien die Straßen frei, so könne man den Weg in zehn bis zwölf Minuten schaffen. Doch es dauerte länger, da die Klimakleber um 7.20 Uhr auf das Schild geklettert waren. Freigegeben wurde die Stadtautobahn erst um 10.30 Uhr.

"Grenze ziehen"

Nach Angaben der Berliner Feuerwehr erreichte das schwere Rüstfahrzeug den Unfallort um 8.45 Uhr, also nach 19 Minuten – sieben bis neun Minuten später als bei freier Fahrt. Doch als das Spezialgerät ankam, war die Radfahrerin schon aus der Lage unter dem Betonmischer befreit worden.

In einem Statement äußerte sich auch die Letzte Generation. Darin heißt es: "Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dass die Radfahrerin im Straßenverkehr verunglückt ist, ist furchtbar. Wir sind bestürzt und in Trauer. Doch es ist an der Zeit, eine Grenze zu ziehen." Man sei "auf die Straße getreten, weil wir das unfassbare Unrecht in unserer Gesellschaft nicht mehr hinnehmen wollen", und weil die Geschichte gezeigt habe, dass "friedlicher ziviler Widerstand funktioniert". Und weiter: "Wir wussten, dass uns einiges entgegenschlagen wird. Wir wussten, dass wir uns viele Feinde machen würden. Weil wir Menschen unterbrechen. Weil wir stören. Weil wir das Schreckliche an die Öffentlichkeit bringen. Dass ein ganzes Mediensystem sich gegen uns wenden würde, damit haben wir nicht gerechnet."

Erwähnt werden auch telefonische Beleidigungen von "Journalist:innen von öffentlich-rechtlichen Medien". Der Lösungsansatz schaut für die Letzte Generation so aus: "Die Bundesregierung soll unseren Protest beenden – jetzt –, indem sie die Krise in den Griff bekommt. Bis dahin geht der Widerstand weiter."

Blockadepause in Österreich

Auch in Österreich berichtete ein Sprecher der Letzten Generation gegenüber der APA von zahlreichen Anfeindungen gegen die Aktivistinnen und Aktivisten – bis hin zu Morddrohungen und rechtsradikalen Beschimpfungen. In Wien wird die Gruppe bis 9. Jänner keine Straßenblockaden mehr durchführen, um der Bundesregierung Zeit zu geben, mit mehr Maßnahmen für den Klimaschutz "Menschen zu retten".

Österreich-weit geht der Protest aber weiter. Derzeit entstünden etwa in Linz, Graz und Innsbruck Ableger der Letzten Generation. Ob die Diskussion in Deutschland dazu führen könnte, dass die Aktionen in Österreich auf zunehmende Ablehnung seitens der Zivilgesellschaft stoßen, ließ der Sprecher offen. Der Klimaprotest sei "kein Beliebtheitswettbewerb", es gebe bei den Protesten aber auch immer wieder großen Zuspruch. (Birgit Baumann aus Berlin, 4.11.2022)