Entscheidungsgremien sollten divers besetzt sein, fordert Organisationsentwicklerin Lena Marbacher.
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Gegen das Patriarchat aufzubegehren ist besonders im Alltag schwierig. Vieles haben wir internalisiert, ist Routine oder so verborgen, dass wir es gar nicht erst hinterfragen. Ein paar Beispiele: Waren Sie schon einmal in einem Meeting, bei dem Männer mehr Redezeit für sich beanspruchten als ihre weiblichen Kolleginnen? Haben Sie unbewusst einem Mann, ohne dass Sie ihn kannten, Kompetenz zugetraut? Tun Sie das auch bei einer Frau, oder muss sich diese erst beweisen? Wie hoch sind Tische oder Stühle im Meetingraum? Sind diese eher für große Personen, sprich Männer, normiert? Wie kalt oder warm ist es im Sommer im Büro? Richtet sich die Temperatur nach den Anzugtragenden?

Viele weitere Beispiele finden sich in dem Buch "Unlearn Patriarchy", das im September auf den Markt kam. 17 Autorinnen beschreiben darin knallhart die heutigen Auswirkungen des Patriarchats. Eine von ihnen ist Lena Marbacher. Sie schrieb das Kapitel über patriarchale Muster in der Arbeitswelt. Sie arbeitete als Organisationsentwicklerin und ist Mitgründerin des Wirtschaftsmagazins "Neue Narrative". Im Gespräch mit dem STANDARD sprach sie über die Themen ihres Kapitels: Gehaltsgerechtigkeit, Selbstorganisation und Diversität in Firmen.

Transparenz ist kein Allheilmittel

Man kann natürlich fragen: Ist denn das Patriarchat noch so präsent? Ja. Eines der prominentesten Beispiele dafür, die im Buch genannt werden, ist der Gender-Pay-Gap. Der gravierende Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen beträgt laut dem Gewerkschaftsbund in Österreich rund 17 Prozent. Einige Unternehmen wollen dem entgegenwirken und experimentieren damit, alle Gehälter für die Mitarbeitenden offenzulegen. So auch Lena Marbachers ehemalige Firma. Sie ging sogar noch einen Schritt weiter. Alle Mitarbeitenden diskutierten zusammen über die Gehälter – an einem Tisch. Birgt ein solcher Prozess auch Risiken?

Die Grundlage für eine offene Diskussionskultur ist eine solide Vertrauensbasis. Fühlt man sich psychisch sicher, kann man besser streiten und mehr fordern. Allerdings werden bei diesem Modell bestehende Hierarchien ausgeblendet. Gerade Personen, die von Diskriminierung betroffen sind, fühlen sich womöglich weniger emotional sicher – im Arbeitsalltag und in der gesamten Gesellschaft. Statistisch gesehen verdienen Diskriminierte oft auch weniger Geld. Besser wäre es deshalb laut Lena Marbacher, wenn sich die Mitarbeitenden aussuchen könnten, ob, mit wem oder in welcher Gruppe sie über das Gehalt sprechen möchten. Ein Buddy-System oder ein betrieblich bezahltes Coaching kann Menschen ebenfalls unterstützen.

Weniger gut bezahlte Positionen, wie zum Beispiel administrative Jobs, besetzen oft Frauen. Wäre es utopisch vorzuschlagen, allen Angestellten dasselbe Gehalt zu zahlen? "Dann würden wahrscheinlich höher bezahlte Angestellte kündigen und dafür eine Schar administrativer Kräfte an die Tür klopfen. Damit wäre man als Unternehmen nicht konkurrenzfähig", sagt Marbacher. Sie macht ein paar Vorschläge: Entscheidungsgremien sollten divers besetzt sein. Bestimmte Parameter eingeführt werden, zum Beispiel: Kein Gehalt soll dreimal höher sein als das niedrigste.

Entscheidungsmacht verteilen

Wer darf überhaupt entscheiden? Die meisten Unternehmen sind hierarchisch organisiert. An ihrer Spitze stehen fast immer Männer. Wichtige Entscheidungen werden damit großteils aus männlicher Perspektive getroffen. "Seit Jahren ist zu spüren, dass die zunehmende Komplexität unserer Welt auch in Unternehmen andere Organisationsformen benötigt", schreibt Marbacher. Verteilt man die Verantwortung und Entscheidungsmacht, entstehen sogenannte Kompetenzhierarchien.

Alle gleichberechtigt – alles super? Nicht wirklich. Frauen beziehungsweise alle marginalisierten Gruppen, die gewohnt sind, dass sie und ihre Arbeit weniger wert sind, haben in Konfliktsituationen (insbesondere gegenüber Männern) gelernt, dass es ihre Existenz sichert, wenn sie nachgeben. Deswegen stellen sie die Regeln von Organisationen seltener infrage. Es gibt nach wie vor Hürden, die es Frauen erschweren, den Platz einzunehmen, der ihnen zusteht.

Diversität ist anstrengend

Homeoffice, hippe Büros, wenig Hierarchie. "Das klingt alles so angenehm – so nach Bällebad. Dabei wird gerne vergessen, dass Gleichberechtigung und Selbstorganisation viel Zeit, Arbeit und Geld kosten." Es gibt immer mehr Verhandlungspartner, die plötzlich gleichberechtigt sind und Forderungen stellen. Das wird unbequem für diejenigen, die bisher allein bestimmende Rollen innehatten.

Gut ist aber laut Lena Marbacher: Es gibt einen eklatanten Fachkräftemangel. Deswegen werden sich Organisationen damit auseinandersetzen müssen. Die Strukturen müssen weniger patriarchal und dafür gleichberechtigter gestaltet werden. Nur so können sie Fachkräfte anwerben und flexibler auf Krisen reagieren. "Dafür müssen sich alle aber erst ein kritisches Bewusstsein erarbeiten – vor allem auch die Führungspersonen. Wir brauchen also mehr feministische Vorstände." (Natascha Ickert, 8.11.2022)