Diner im Élysée: Der damalige Emir von Katar hat das Sagen, Carla Bruni-Sarkozy hat das Menü. Göttergatte Nicolas weidet sich am Anblick von Sheikha Mozah Bint Nasser Al-Misnad.

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Geld aus Katar bescherte Paris Saint-Germain die teuerste Offensive zwischen Scheibbs und Nebraska: Messi, Neymar und Mbappé.

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Er habe im Interesse Frankreichs gehandelt, sagt Michel Platini.


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Am 2. Dezember 2010 erhielt Katar in Zürich vom Fußballweltverband Fifa eher überraschend den Zuschlag für die WM 2022. Im letzten Wahlgang setzte sich das Emirat am Persischen Golf mit 14 Stimmen gegen die USA (acht) durch.

Die eigentliche Entscheidung war wohl zehn Tage zuvor gefallen, am 23. November bei einem Mittagessen im Élysée-Palast, zu dem Hausherr Nicolas Sarkozy eingeladen hatte. Um 12.30 Uhr empfing der französische Präsident, der für die Kandidatur Katars war, Michel Platini zu einer kleinen Aussprache. Der Präsident der europäischen Fußballunion (Uefa) hatte sich zuvor für die USA eingesetzt. Um 13 Uhr gesellte sich der Emir von Katar, Hamad bin Khalifa Al-Thani, dazu, womit das Essen beginnen konnte. Eineinhalb Stunden später, nach dem letzten Kaffee, war die Sache im Kasten.

Stimmenumschwung

Wenige Tage später gab Platini bekannt, dass er nun doch für Katar stimmen werde. Zuvor hatte der französische Europameister den Austragungsort am Golf wegen der Hitze und der fehlenden Stadien als "verrückt" bezeichnet. Als Chef der mächtigen Uefa konnte er in der bis heute geheim gebliebenen Abstimmung laut Insidern drei bis vier Stimmen beeinflussen. Genug, um die Waage in eine andere Richtung ausschlagen zu lassen.

Dass die Hintergründe bekannt sind, verdankt die Fußballwelt Sarkozys Sportberaterin Sophie Dion, die alles schriftlich festgehalten hat. Ihre Notizen zuhanden des präsidialen Vorgesetzten sind Teil anderer Korruptionsermittlungen, aus denen die Recherchezelle von Radio France vor wenigen Tagen zitiert hat. "Das am 23. November 2010 organisierte Essen bildete eine entscheidende Wende bei der Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar", schreibt die Finanzstaatsanwaltschaft. Die Ermittlungen richteten sich von Beginn an gegen mehrere Teilnehmer der WM-Abstimmung. Sie hätten sich laut der Anklage kaufen lassen. Platini wehrt sich vehement, der 67-Jährige behauptet, es sei ihm bei dem Essen nicht um das Geld, sondern um das Landesinteresse gegangen.

Die Staatsanwaltschaft spricht von einem "globalen Deal" mit vielfältigen kommerziellen, aber auch diplomatischen Aspekten. So kaufte der katarische Staatsfonds QIA wenige Monate nach dem WM-Zuschlag den angeschlagenen Fußballklub Paris Saint-Germain. Für Spieler wie Lionel Messi, Neymar oder Kylian Mbappé gab er in der Folge dreistellige Millionenbeträge aus. Ferner lancierte Katar in Frankreich die Bezahlsender BeIn Sport und schoss ähnlich astronomische Summen ein. So wie Paris Saint-Germain den Fußball umpflügte, machte BeIn die französische Spitzenliga erst zu einem Geschäft.

Der globale Handel ging aber über den Fußball hinaus. Die prestigereiche Sorbonne-Universität in Paris beschloss mit Katar eine Partnerschaft zum Thema Sportrecht. QIA investierte massiv überdies in französische Großkonzerne und offerierte Bauunternehmen und Dienstleistern lukrative WM-Aufträge. Der französische Hotelkonzern Accor bietet etwa in und um Doha 60.000 Betten. Als Pünktchen auf dem i kaufte Katar von Frankreich 24 Rafale-Jäger und half mit dieser Milliardenbestellung mit, den französischen Kampfjet für den weltweiten Export zu lancieren. Frankreichs Rüstungsindustrie und Prestige machten einen Sprung.

Alles unter Verschluss

Handelte es sich bei all diesen Punkten um Gegengeschäfte für den WM-Zuschlag, vereinbart bei dem ominösen Mittagessen im Élysée? Das lässt sich anhand des Zeitablaufs nur vermuten. Eine schlüssige Belegkette haben die Reporter von Radio France nicht herstellen können. Wie sollten sie auch? Nicht einmal die Ermittlungsrichter erhalten Zugang zu den archivierten Protokollen – "zum Schutz der fundamentalen Interessen des Staates", wie die Kommission für den Zugang zu den Verwaltungsdokumenten (Cada) in Paris ihre Weigerung begründete.

Weniger amtlich gesagt: Die Daten sind zu heiß. Der WM-Deal, zu dem die Staatsanwälte keine Akteneinsicht erhalten, ist nur ein Teil der "großen" Politik. Katar ist für Frankreich seit Jahren ein strategischer Partner am Golf und überdies ein wichtiger Gaslieferant.

Wenn der heutige Emir Tamim bin Hamad Al-Thani, der Französisch spricht, in Paris ist, trifft er sich gerne mit den Macrons zu einem geselligen Diner im Élysée – so wie die Sarkozys seinen Vater Hamad Bin Khalifa Al-Thani und dessen Frau Mozah Bint Nasser Al-Misnad im Jahr vor der WM-Vergabe bewirten ließen (siehe Bild).

Die engen Beziehung zwischen Doha und Paris werden zuweilen gestört. Zwei Pariser Journalisten machten in ihrem Buch Qatar Papers 2019 mit Bezug auf Geheimdienstquellen publik, dass das katarische Herrscherhaus in Frankreich 22 islamistisch angehauchte Moscheen finanziert hat. In Westafrika, wo Frankreich die Jihadisten zu vertreiben sucht, erhielten selbige indirekte Gelder aus Katar, darunter offenbar auch Lösegelder für Geiseln. Wie delikat die Golfpolitik für Frankreich ist, zeigt sich darin, dass Katar die oppositionellen Muslimbrüder in Ägypten unterstützt – während Emmanuel Macron dem Regime in Kairo zuhält (und ihm mittlerweile auch schon 55 Rafale-Jets verkauft hat).

Mit Erdoğan und Putin

Noch komplizierter wird es, weil der Scheich Al-Thani auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und teilweise mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gemeinsame Sache macht. Französische Diplomaten sagen, man dürfe Katar nicht sich selbst überlassen. Die WM sei auch ein Mittel, das auf einem Gasfeld sitzende Emirat so weit wie möglich an das westliche Lager zu binden. So argumentiert auch Sarkozy, der von 2007 bis 2012 Staatschef war.

Der Preis dafür – darunter die WM – ist hoch, auch für Frankreich. Es sei denn, die Bleus werden in Doha zum dritten Mal Weltmeister. Das wäre eine sportliche Kompensation für den ganzen diplomatischen Aufwand. Obschon die Spiele nicht zu den Dingen gehörten, die sich im Élysée-Palast zwischen Käse und Kaffee entscheiden ließen. (Stefan Brändle aus Paris, 6.11.2022)