Elon Musk gibt vor, wo es bei Twitter lang geht.

Foto: Hannibal Hanschke / REUTERS

Tech-Milliardär Elon Musk hat gedroht, Werbekunden, die keine Anzeigen mehr bei Twitter schalten, öffentlich bloßzustellen. Der neue Twitter-Besitzer reagierte mit seinem Tweet in der Nacht auf Samstag auf den Vorschlag eines rechten Lobbyisten, er solle die Werbekunden benennen, "damit wir sie mit einem Gegenboykott belegen können". Musk schrieb in seiner Antwort: "Danke. Ein thermonukleares Benennen und Schämen ist exakt das, was passieren wird, wenn das nicht aufhört."

Abgänge

Am Freitag hatte sich der deutsche VW-Konzern anderen großen Unternehmen angeschlossen, die ihre Werbung bei Twitter aussetzen. In der vergangenen Woche hatte bereits General Motors seine Werbetätigkeit auf der Plattform gestoppt. Ähnlich Schritte sollen der Pharmakonzern Pfizer sowie die Lebensmittelriesen Mondelez und General Mills unternommen haben.

Womöglich noch bedrohlicher für Twitters Anzeigengeschäft, das rund 90 Prozent des Umsatzes ausmacht: Auch die großen internationalen Werbekonzerne gehen auf Abstand. So soll der Branchenriese IPG, der milliardenschwere Anzeigenetats für Unternehmen wie Coca-Cola, American Express, Levi Strauss und Spotify verwaltet, Kunden bereits wenige Tage nach Musks Übernahme geraten haben, Werbung auf Twitter zu stoppen.

Musk hatte solche Sorgen selbst mit häufiger Kritik ausgelöst, Twitter habe zu sehr die Redefreiheit eingeschränkt. Vergangene Woche versuchte er dann, Werbekunden mit einem offenen Brief zu beruhigen: Twitter werde kein Ort sein, an dem man sich ohne Konsequenzen alles erlauben könne. Auch jetzt betont er, dass sich an den Inhalte-Regeln der Plattform bisher nichts verändert habe. Einige Werbekunden halten sich trotzdem zurück.

"Aktivistengruppen"

Am Freitag beklagte sich Musk aber nun über einen "massiven Umsatzeinbruch" und machte dafür "Aktivistengruppen" verantwortlich, die Druck auf die Unternehmen ausübten. Diese nicht näher umschriebenen Aktivisten versuchten, "die Redefreiheit in Amerika zu zerstören". Der rechte Internet-Lobbyist Mike Davis schlug daraufhin bei Twitter einen Gegenboykott gegen alle Unternehmen vor, die sich solchem Druck beugten. Davis wettert in mehreren Organisationen unter anderem gegen die "Cancel-Kultur" und will Internet-Konzerne für die angebliche Unterdrückung konservativer Ansichten zur Verantwortung ziehen. Musk reagiert auf diesen Vorschlag mit Zustimmung und bedankte sich bei Davis für seine Initiative.

Realer Hintergrund

Tatsächlich hatten in den vergangenen Tagen zahlreiche US-Bürgerrechtsorganisationen Unternehmen zu einem Werbeboykott von Twitter aufgerufen. Es sei unmoralisch eine Plattform zu unterstützen, die Hass und Verschwörungstheorien fördert, heißt es etwa bei "Stop Hate for Profit". Ob dies wirklich einen Einfluss auf die Entscheidungen großer Konzerne hat, ist aber unklar. Diese könnten auch einfach auf die von außen betrachtet derzeit ziemlich chaotische Lage bei Twitter reagieren und ihre Etats lieber woanders hin verschieben.

Unumstritten ist aber, dass seit der Musk-Übernahme die Zahl von Postings mit rassistischem oder anderen hetzerischen Inhalten auf Twitter merklich zugenommen hat. Freilich könnte es sich dabei auch um gezielte Provokationen handeln, um die neuen Grenzen auszutesten – oder einfach nur auszunutzen, dass bei Twitter viele wohl gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind – etwa ihrer Kündigung.

Unsicherheit schüren

Musk sieht sich in dieser Frage jedenfalls ungerecht behandelt. Man habe bisher nichts an der Moderationspolitik geändert, zudem habe man alles mögliche unternommen, um die Aktivisten zufriedenzustellen, so die Perspektive des Tesla-Chefs. Nicht sonderlich vertrauensbildend war aber wohl auch, dass Musk selbst in den vergangenen Tagen eine rechte Verschwörungstheorie zum Angriff auf Paul Pelosi, dem Ehemann der führenden US-Demokratin Nancy Pelosi, geteilt hat – nur um sie dann ein paar Stunden später selbst wieder zu löschen.

Hintergrund

Musk hatte vergangene Woche den Kauf von Twitter für rund 44 Milliarden Dollar abgeschlossen. Ein dauerhafter Rückzug großer Werbekunden wäre ein Problem für Twitter und Musk. Der Dienst schrieb zuletzt rote Zahlen. Auch hatte Musk für die Übernahme Kredite von rund 13 Milliarden Dollar aufgenommen – und deren Bedienung erfordert Medienberichten zufolge mehr Geld, als das Twitter-Geschäft an freien Mitteln dafür abwirft. Schrumpfende Erlöse kämen da besonders ungelegen.

Kündigungswelle

Am Freitag hat bei Twitter der Stellenabbau nach der Übernahme durch Musk begonnen. Entlassene Mitarbeiter erhielten wie angekündigt E-Mails mit der Nachricht, dass es ihr letzter Arbeitstag bei dem Unternehmen sei, meldete der Finanzdienst Bloomberg. Bei Twitter mehrten sich Tweets bisheriger Beschäftigter, die von ihrer Kündigung berichteten. Das Ausmaß des Stellenabbaus blieb zunächst unklar. Laut Medienberichten aus den vergangenen Tagen könnte mit rund 3.700 Jobs etwa jeder zweite Arbeitsplatz bei Twitter betroffen sein. US-Präsident Joe Biden sagte am Freitag, dass Musk mit Twitter eine Social-Media-Plattform gekauft habe, die Lügen in die Welt setze. (red/APA, 5.11.2022)