Ein sonnenähnlicher Stern umkreist das Schwarze Loch Gaia BH1. Seine Bewegung hat die Existenz des unsichtbaren Objekts verraten.
Illustration: International Gemini Observatory/NOIRLab/NSF/AURA/J. da Silva/Spaceengine/M. Zamani

Schwarze Löcher zählen zu den erstaunlichsten Objekten, die sich aus Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ergeben: Durch hochkonzentrierte Masse haben sie eine derart starke Gravitationskraft, dass keine Materie und nicht mal Licht, das ihnen zu nahe kommt, ihrem Sog entkommen kann. Viele Jahre wurden Schwarze Löcher eher als waghalsige Spekulation und theoretisches Konzept abgetan, doch inzwischen wird ihre Existenz allgemein anerkannt.

Selbst in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, konnten inzwischen um die 20 Schwarze Löcher entdeckt werden – und der im September als Preprint bekannt gegebene Fund des erdnächsten Schwarzen Lochs mit dem Gaia-Weltraumteleskop ist nun durch Nachbeobachtungen mit dem Nördlichen Gemini-Teleskop auf Hawaii bestätigt. Die Entdeckung wurde nun im Fachblatt "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" publiziert.

Ruhend und unsichtbar

Mit einer Entfernung von 1.600 Lichtjahren befindet sich der jüngste Fund quasi in unmittelbarer kosmischer Nachbarschaft und gilt als das bislang erdnächste bekannte Schwarze Loch. Doch auch abgesehen von der Nähe zu Erde weist das Objekt einige Besonderheiten auf: Es handelt sich dabei um ein sogenanntes ruhendes Schwarzes Loch. Diese sind besonders schwer zu entdecken, da sie keine Masse verschlingen.

Um aktive Schwarze Löcher bildet sich durch die angezogene Materie eine extrem heiße Akkretionsscheibe, die Röntgenstrahlung emittiert. Dadurch sind gefräßige Schwarze Löcher für Astronomen deutlich einfacher aufzuspüren als ihre ruhenden Pendants.

Diese Animation zeigt, wie ein sonnenähnlicher Stern das ruhende Schwarze Loch Gaia BH1 umkreist. Video: NOIRLabAstro
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All you can eat

Einige Modelle sagen voraus, dass unsere Heimatgalaxie rund 100 Millionen Schwarze Löcher beherbergen könnte. Beobachtet und bewiesen wurden davon bisher aber nur etwa 20 Exemplare – die meisten davon sind aktiv. "Aber diese stellen nur die Spitze des Eisbergs dar: Eine weitaus größere Population von Schwarzen Löchern könnte sich in Doppelsystemen verstecken, deren Partner einander in großem Abstand umkreisen", sagt Kareem El-Badry vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) in Cambridge (USA). Um diesen "stillen" Schwarzen Löchern auf die Spur zu kommen, muss man nach Anzeichen für ihren enormen gravitativen Einfluss suchen.

Genau danach fahndet El-Badry seit Jahren. In den Daten des Weltraumteleskops Gaia wurden er und sein internationales Team schließlich fündig: Sie entdeckten einen nahegelegenen sonnenähnlichen Stern, dessen Bahneigenschaften auf einen sehr massereichen dunklen Begleiter schließen lassen. Anschließend führten sie Nachbeobachtungen mit dem Nördlichen Gemini-Teleskop auf dem Mauna Kea durch, die das Ergebnis bestätigten. Das somit entdeckte Schwarze Loch trägt den Namen Gaia BH1 und seine Masse beträgt rund zehn Sonnenmassen. Dass es sich momentan ruhend verhält, könnte sich aber ändern, wenn Materie in seine Nähe gelangt.

"Zweifelsfreie Bestätigung"

"Unsere Gemini-Nachbeobachtungen haben zweifelsfrei bestätigt, dass das Doppelsternsystem einen normalen Stern und mindestens ein ruhendes Schwarzes Loch enthält", sagt El-Badry. "Wir konnten kein plausibles astrophysikalisches Szenario finden, das die beobachtete Umlaufbahn des Systems erklären kann, ohne dass mindestens ein Schwarzes Loch beteiligt ist."

Trotz der zahlreichen Entdeckungen zu Schwarzen Löchern in den vergangenen Jahren bleiben immer noch viele fundamentale Fragen ungeklärt. Eines dieser Probleme ist das sogenannte Informationsparadoxon: Gemäß der Quantentheorie kann Information nicht verschwinden. Doch das, was Schwarze Löcher tun, sieht jedenfalls auf den ersten Blick allzu sehr nach Informationsvernichtung aus: Sie fressen einfach alles auf, was ihnen zu nahe tritt, und verwandeln die Energie letztlich in gleichförmige Hawking-Strahlung.

Haben Schwarze Löcher Haare?

Gemäß des Ausspruchs "Schwarze Löcher haben keine Haare" des Physikers John Archibald Wheeler, wird die Sichtweise, dass Schwarze Löcher Information einfach spurlos verschlucken, als No-Hair-Theorem gehandelt. Sie sind nach außen hin glatt wie eine Glatze. Auch Stephen Hawking beschäftigte sich jahrelang und bis zu seinem Tod mit dieser Frage: In seiner letzten, posthum erschienen Arbeit vertrat er die Soft-Hair-Hypothese, wonach beim Verschwinden eines Objekts im Schwarzen Loch eine Spur in der Entropie des Schwarzen Lochs und seines Randbereichs hinterlassen werde.

Eine weitere Frage betrifft den Zusammenhang von Schwarzen Löchern mit der rätselhaften Dunkle Materie: Es handelt sich dabei um eine Form von Materie, die zwar nicht sichtbar ist, aber deren gravitative Effekte auf ihre Umgebung ihre Existenz verraten. Könnten sogenannte primordiale Schwarzen Löcher, die sehr klein sind und in der Frühphase des Universums entstanden, die Dunkle Materie erklären? Diese These vertritt etwa Günther Hasinger, Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumorganisation Esa: "Ich hänge einer Theorie an, wonach die Dunkle Materie aus primordialen Schwarzen Löchern aus der frühesten Zeit des Universums besteht." Weitere Beobachtungen könnten darüber und über andere offene Fragen Aufschluss geben. (Tanja Traxler, 6.11.2022)