Am Sonntag traten einige Bürgermeister im Nordkosovo und die Stadträte der Partei Srpska Lista, die unter der Kontrolle der Regierung in Belgrad stehen, zurück. Sie protestierten damit gegen die Umsetzung der neuen Nummerntafelregelung der kosovarischen Regierung. In Nord-Mitrovica fand eine große Demonstration statt. Der neuen Regelung zufolge müssen auch die Bürger und Bürgerinnen des Nordkosovo künftig Nummerntafeln des Staates Kosovo – und nicht mehr des Staates Serbien – verwenden. Am Samstag bereits hatten die politischen und institutionellen Vertreter der Serben im Kosovo beschlossen, die kosovarische Regierung, die Justiz und alle Institutionen zu verlassen.

Das Autokennzeichen – im Kosovo schon seit langem ein brisantes Politikum.
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Der Rückzug aus Institutionen ist seit den 1990er-Jahren ein immer wieder verwendeter politischer Schachzug von Nationalisten, die damit das Funktionieren des Staates untergraben wollen. Zuletzt fand so ein Rückzug von serbischen Nationalisten aus den Institutionen des Staates Bosnien-Herzegowina vor etwa einem Jahr statt. Laut der neuen Nummerntafel-Regelung werden in den ersten drei November-Wochen bei Nicht-Erfüllung die Inhaber von Kraftfahrzeugen mit einer Verwaltungsstrafe belegt, danach kann ihnen das Nummernschild und die Registrierung entzogen werden.

Kampfansage in Nord-Mitrovica

Die kosovarische Regierung wollte die Regelung bereits im Sommer umsetzen, doch wegen Interventionen aus Serbien wurde der Zeitpunkt verschoben. Die Regierung von Premierminister Albin Kurti hat grundsätzlich die Unterstützung der EU in dieser Sache, allerdings wurde in den vergangenen Wochen nochmals versucht, die letztgültige Umsetzung der Entscheidung auf die nächsten zehn Monate zu verschieben. Die kosovarische Regierung pochte allerdings darauf, dass die Umsetzung bereits in den kommenden Wochen vonstatten gehen sollte.

Serbien anerkennt die Unabhängigkeit des Staates Kosovo nicht an und versucht über die Partei Srpska Lista im Nordkosovo Einfluss zu nehmen, sodass der Nordkosovo, wo viele Serben leben, nicht vollständig in die staatlichen Strukturen des Kosovo integriert werden kann. Der Bürgermeister von Nord-Mitrovica, Milan Radojević, sagte: "Wir geben den Kampf für die Freiheit, für das Zusammenleben nicht auf. Aber wenn wir das institutionell nicht schaffen, werden wir den Kampf auf andere Weise fortsetzen."

Unklarheiten um Gemeindeverband

Die EU forderte die serbischen Vertreter im Kosovo auf, in die Institutionen zurückzukehren; die kosovarische Regierung wurde wiederum dazu aufgefordert, den serbischen Gemeindeverband, der im Brüsseler Abkommen von 2013 vereinbart wurde, zu schaffen. Um diesen Verband der serbischen Gemeinden wird seit vielen Jahren gestritten. Denn Serbien und der Kosovo haben unterschiedliche Interpretationen, welche Funktionen dieser Verband haben soll. Die serbische Regierung besteht darauf, dass der Gemeindeverband nach öffentlichem und nicht nach privatem Recht gebildet werden sollte. Das lehnt die kosovarische Regierung strikt ab, weil sie die Sorge hat, dass dadurch im Nordkosovo der serbische Verband Exekutivfunktionen bekommen könnte. Auch das kosovarische Verfassungsgericht sprach sich dagegen aus.

Auf Anfrage des STANDARD bei den Institutionen der EU verweisen die Sprecher darauf, dass der Text des Brüsseler Abkommens von der EU selbst nicht veröffentlicht wird, sondern nur von Serbien und vom Kosovo. Eine inhaltliche Klärung der strittigen Punkte zu dem Verband der serbischen Gemeinde hat die EU nicht abgegeben. Zuletzt war es am 3. November zu einer erfolgreichen Vereinbarung im Rahmen des Berliner Prozesses bei einem Gipfeltreffen von Westbalkan-Politikern in der deutschen Hauptstadt gekommen. Demnach können nun die Bürger des Kosovo und die Bürger Bosnien-Herzegowinas endlich visafrei die jeweiligen Staaten besuchen.

Treffen mit dem Patriarchen

Dem Einlenken in prowestlichem Interesse seitens bosnisch-serbischer Politiker in der Visa-Frage für den Kosovo folgte allerdings sogleich eine Gegenreaktion, die den Interessen des Russlands dient: So trafen sich der serbisch-orthodoxe Patriarch Porifije mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem bosnisch-serbischen nationalistischen Sezessionisten Milorad Dodik. Vučić sagte bei dem Treffen: "Wir sind entschlossen, vitale, nationale und staatliche Interessen nachdrücklich und gemeinsam zu verteidigen."

Vučić traf sich zudem dem Botschafter Chinas und Russlands in Belgrad, um über den Kosovo zu sprechen. Die serbische Regierung arbeitet eng mit der serbisch-orthodoxen Kirche zusammen, die seit Jahrzehnten als Akteur im politisch-nationalistischen Sinne agiert und die Trennung von Staat und Kirche im säkularen Verständnis nicht erfüllt.

Diplomaten zufolge ist davon auszugehen, dass Vučić mit dem inszenierten Drama um die Nummerntafeln im Nordkosovo ein Signal an antiwestliche, nationalistische und prorussische Kräfte senden will. Vučić, der in Serbien, obwohl er Staatspräsident ist, praktisch auch die Regierung lenkt, versucht seit Jahren mit seiner Schaukelpolitik sowohl westliche als auch antiwestliche Kräfte zu bedienen und kooperiert vor allem mit China.

Der serbische Außenminister Ivica Dačić sagte kürzlich über die EU und ihre Forderung, dass sich Serbien den Sanktionen gegen den Kreml anschließt: "Sie haben kein politisches Angebot, sie glauben, sie werden es finanziell lösen, und da sind sie auch nicht großzügig, auch nicht im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union."

Gezielte Einschüchterung

Die kosovarische Regierung hatte bereits vergangene Woche die Entlassung des Direktors der Regionalen Polizeidirektion im Norden des Kosovo veranlasst, weil dieser sich weigerte, die neue Regelung zu den Nummerntafeln umzusetzen. Der kosovarische Premier Kurti verwies in einem Tweet darauf, dass es nach dem Inkrafttreten der Nummerntafelregelung am 1. November keine Zwischenfälle gegeben habe, Belgrad aber trotzdem die Serben im Kosovo "dazu angestiftet hat, unsere Institutionen zu verlassen". Er forderte seine "Mitbürgerinnen und Mitbürger", also die kosovarischen Serben und Serbinnen, "dringend auf, eure Institutionen nicht zu boykottieren oder zu verlassen".

Tatsächlich sind die Serben und Serbinnen im Nordkosovo seit Jahren einer gezielten Einschüchterungspolitik durch die Srpska Lista, aber auch durch Kriminelle ausgesetzt. Diese Gruppen üben massiven Druck auf die Bürger und Bürgerinnen aus und bedrohen sie, damit sie sich nicht in die kosovarischen Strukturen integrieren und den gemeinsamen Staat Kosovo akzeptieren. Ein zentrales Element dieser Drohpolitik ist Gewalt. So wurde am Samstag die Scheune eines Polizisten aus Leposavić im Nordkosovo angezündet, offenbar um ihm zu drohen.

Brandstiftungen und Bomben

Seit 2014, als die Srpska Lista bei den Kommunalwahlen große Erfolge in den serbisch geführten Gemeinden feiern konnte, wurden dutzende Angriffe auf Kosovo-Serben mit Feuerwaffen, Granaten, Brandstiftungen oder Sprengkörpern verübt. Ziele sind Politiker, Angehörige der Polizei oder der Sicherheitskräfte, Journalisten, Unternehmer, Beamte und prominente Persönlichkeiten, die die Annäherung an die kosovarische Regierung fördern. Im Jahr 2018 wurde der moderate kosovo-serbische Politiker Oliver Ivanović auf offener Straße ermordet.

Ivanović hatte zuvor in mehreren öffentlichen Äußerungen kriminelle Elemente in der kosovo-serbischen Gemeinschaft für die gewaltsamen Einschüchterungsversuche verantwortlich gemacht. Er behauptete auch, diese Leute hätten Verbindungen zu der von Belgrad unterstützten serbischen Partei im Kosovo: der Srpska Lista, die Ivanović stets lautstark kritisierte. In den vergangenen Wochen wurden die Drohungen und die Angriffe gegen die eigene Bevölkerung wieder stärker.

"Kriegsrezept"

Auch der ehemalige serbische Außenminister Vuk Jeremić versuchte indes mit der Kosovo-Frage zu punkten. Er wollte am Samstag an einer Parteiveranstaltung in Gračanica teilnehmen, doch die kosovarischen Behörden hielten ihn auf, und ihm wurde die Einreise in den Kosovo in der Folge untersagt. Die kosovarische Außenministerin Donika Gërvalla-Schwarz erinnerte daran, dass Jeremićs Partei die Wiedereingliederung des Kosovo in das Verfassungs- und Rechtssystem Serbiens fordere. Sie nannte dies ein "Kriegsrezept". Die Unterstützung solcher Ideen sei Putins Plan für die "Wiedereingliederung" der Ukraine ähnlich.

Die Radikalisierung von Jeremić sei "ein weiteres Warnzeichen dafür, dass der Appetit Serbiens und Russlands auf territoriale Eroberungen noch lange nicht vorbei ist", betonte sie. Russland und Serbien würden "weiterhin Spannungen auf dem Balkan provozieren", bis die USA und Europa begännen, "mutige und klare Signale" zu senden. In sozialen Medien tauchte indes ein Video auf, dass maskierte, bewaffnete Männer zeigte, die Schüsse abfeuerten. Ein Mann sagt in dem Video: "Wir sind zurück. Kosovo ist Serbien, und die Krim gehört zu Russland."

Sezession wegen Menschenrechtsverletzungen

Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahr 2008 stützte sich darauf, dass Jugoslawien unter Slobodan Milošević zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung im Kosovo begangen hat. Der Kosovo war ab der jugoslawischen Verfassung von 1974 eine autonome Provinz innerhalb Jugoslawiens, die den sechs Republiken fast gleichgestellt war. Unter Milošević wurde die Autonomie aufgehoben, und Albaner und nicht regimetreue Serben waren massiven Repressionen ausgesetzt. (Adelheid Wölfl, 6.11.2022)