Berthold Hatschek ist bereits fast 84 Jahre alt, als die Nationalsozialisten in Österreich einmarschieren. Trotz seines fortgeschrittenen Alters machen sich die Nazis an der Universität und im Unterrichtsministerium die Mühe, dem emeritierten Professor an der Universität Wien noch im April 1938 die Lehrbefugnis abzuerkennen. Von dieser rassistischen Maßnahme sind auch zwei seiner wichtigsten Schüler – die bis März 1938 lehrenden Zoologen Hans Przibram und Heinrich Joseph – betroffen. Damit hatte das Martyrium für Hatschek, seine Familie und seine Schüler aber erst begonnen.

Deren großer Lehrer, der 1854 in eine wohlhabende jüdische Familie geborene Berthold Hatschek, studierte seinerseits unter anderem beim großen Ernst Haeckel in Jena, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts als der Superstar der deutschen Biologie galt. Bereits mit 31 Jahren trat Hatschek seine erste Professur in Prag an, elf Jahre später wurde er an die Uni Wien berufen. Zu seinen Wiener Schülern gehörte auch der umstrittene Biologe Paul Kammerer, für den Hatschek ein "Genie" war – allerdings nur "als Forscher, keineswegs als Lehrer, obwohl sein stammelnder Vortrag sehr anregend wirkte", wie Kammerer 1926 schrieb.

Große Leistungen und Depressionen

Seine größten Leistungen als Zoologe gelangen Hatschek schon relativ früh in seinem Leben: Das letztlich nur dreibändig gebliebene "Lehrbuch der Zoologie" (1888–1891) versprach laut Kammerer das "allerbeste zu werden, bei aller Tiefe und Reichhaltigkeit von wunderbarer Klarheit und Einfachheit. Leider gedieh es nur bis zu den Ringelwürmern und blieb dann unvollendet." Tatsächlich brach das Manuskript zum dritten Band mitten im Satz ab.

Unvollendet und unpubliziert blieben viele seiner bahnbrechenden Erkenntnisse, von denen einige zum Teil erst Ende des 20. Jahrhundert wissenschaftlich bestätigt wurden, wie etwa die Verwandtschaft von Weichtieren und Ringelwürmern. Hatscheks geringe Publikationstätigkeit in späteren Jahren rührte vor allem daher, dass er immer wieder und immer stärker an Depressionen litt, die durch die antisemitischen Zustände an der Universität Wien gewiss nicht gelindert wurden.

Interdisziplinäres Wirken

Berthold Hatschek, porträtiert von seiner Frau, der Malerin Marie Rosenthal-Hatschek.
Foto: ÖNB / ANNO

Seine psychischen Krisen hielten ihn aber nicht davon ab, sich in vielen Bereichen jenseits der Zoologie interdisziplinär zu betätigen: So etwa lieferte Hatschek, der mit der bedeutenden Porträtmalerin Marie Rosenthal-Hatschek verheiratet und mit dem Klaviervirtuosen Moriz Rosenthal verschwägert war, dem befreundeten Musikwissenschafter Guido Adler wichtige biologische Anregungen.

Hatschek war als Zoologe aber auch einer der Mitbegründer der "Soziologischen Gesellschaft in Wien" (1907), konstruierte mechanische Flügel zum Fliegen, war glänzender Polemiker gegen pseudowissenschaftliche Antisemiten, ersann neuartige Befestigungen von Kufen auf Schlittschuhen und verfasste nach dem Ersten Weltkrieg auch ein Filmdrehbuch, das Grundlage einer US-Filmproduktion wurde, wie sich sein Schüler Otto Storch in einem Nachruf erinnerte, der acht Jahre nach Hatscheks Tod erschien und Hatschek ebenfalls als "genial" würdigte.

Der Zoologe emeritierte 1924, als die Philosophische Fakultät, zu der damals die Zoologie gehörte, längst von Antisemiten beherrscht wurde. Entsprechend folgte ihm keiner seiner begabten Schüler nach, sondern der Niederländer Jan Versluys, der vergleichsweise schlecht qualifiziert war, aber vom Paläontologen Othenio Abel, dem Ober-Antisemiten der Uni Wien, quasi im Alleingang durchgesetzt wurde. Hatschek rang sich deshalb mit seinem ewigen Widersacher Carl Grobben, dem zweiten Zoologie-Ordinarius, sogar eine gemeinsame Stellungnahme ab, in der die beiden die Fehlbesetzung kritisierten.

Versluys hatte nicht nur, so wie Abel, eine starke paläontologische Ausrichtung. Die beiden waren durch die Ehe von Abels Sohn mit Versluys Tochter auch noch verschwägert. Außerdem war Versluys ein prononcierter Deutschnationaler und später Mitglied der niederländischen Nationalsozialistischen Bewegung. Der Hatschek-Schüler Heinrich Joseph hingegen wurde 1934 mit nur 59 Jahren frühpensioniert und zum Honorarprofessor degradiert – offiziell aus Einsparungsgründen, inoffiziell deshalb, weil er jüdischer Herkunft war.

Verfolgung durch das NS-Regime

Mit dem Nationalsozialismus veränderte sich die Lage für Hatschek und seine Familie dann noch einmal dramatisch, wie der Zoologe Manfred Walzl und die Provenienzforscherin Monika Schreiber rekonstruierten, die kürzlich auch den Nachlass Hatscheks aufgearbeitet haben: Bei den Novemberpogromen 1938 wurde dann auch die Hatschek-Villa in Bad Gastein, die der Familien gehörte, in Mitleidenschaft gezogen.

Während die beiden Töchter noch ins Ausland fliehen konnten, blieben Marie und Berthold Hatschek, die ebenfalls Fluchtpläne hatten, in Wien. Hier mussten sie mitansehen, wie ihre Liegenschaften "arisiert" wurden – so im November 1940 auch ihr Haus in der Lange Gasse 8 in der Wiener Josefstadt, wo das alte Ehepaar bis dahin gewohnt hatte.

Die beiden mussten in eine kleine Pension in der Alser Straße umziehen, wo Hatschek zwei Monate später, am 18. Jänner 1941, unter elenden Umständen starb. Fünf Tage danach wurde er auf dem Zentralfriedhof beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit in der Familiengruft beigesetzt.

Das Familiengrab der Familie Hatschek. Für das Begräbnis 1941 konnte nicht einmal sein Name eingraviert werden.
Foto: Manfred Walzl

Nur zwei Kollegen waren zum Begräbnis erschienen: seine Schüler Otto Storch und Heinrich Joseph, der selbst zwei Tage später mit seiner Frau und seiner Schwiegermutter aus Verzweiflung aus dem Leben schied.

Weitere tragische Schicksale

Hans Przibram, der andere Schüler Hatscheks und ehemalige Zoologie-Professor an der Uni Wien, war da bereits mit seiner Frau in die Niederlande geflohen, saß mit ihr nach dem Einmarsch der NS-Truppen in Amsterdam in der Falle. Die beiden wurden ins KZ Theresienstadt deportiert, wo Hans Przibram 1944 verhungerte. Przibrams Frau, ebenfalls eine Zoologin, beging daraufhin in Theresienstadt Selbstmord.

Grausam war auch das Schicksal von Hatscheks Witwe, die 1941 noch zu ihrer Schwester nach Belgrad flüchten konnte. Nachdem auch dort die deutschen Truppen einmarschiert waren, wurden die beiden Frauen am 11. August 1942 in der Umgebung des Konzentrationslagers Banjica in einem Vorort Belgrads ermordet, vermutlich bei einer der dort regelmäßig durchgeführten Massenerschießungen.

Spätes Gedenken

Das Grab nach seiner Renovierung und mit dem Eintrag der Lebensdaten von Berthold Hatschek.
Foto: Mihaela Pavlicev

Als Berthold Hatschek im Jänner 1941 beigesetzt wurde, war an eine Gravur auf dem Grabstein nicht zu denken. Die wurde erst im Juni 2022 auf Initiative von Mihaela Pavlicev, Professorin für theoretische Evolutionsbiologie der Universität Wien, und mit Unterstützung des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus nachträglich angefertigt. Am 9. November, dem Jahrestag der Novemberpogrome, wird ab 15 Uhr am Grab von Hatschek an den großen Zoologen in einer kleinen Gedenkfeier erinnert werden. (Klaus Taschwer, 8.11.2022)

(Anm. der Red.: Hatscheks Nachfolger war nicht Paul Krüger, wie in einer ursprünglichen Version des Texts zu lesen war, sondern Jan Versluys. Krüger folgte Grobben nach.)