Kinder versammeln sich vor den Zelten im syrischen Flüchtlingslager Al-Hol im Mai 2021.

Foto: AP / Baderkhan Ahmad

Wien/Damaskus – Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) kritisiert die "unerträglichen" Lebensbedingungen im syrischen Flüchtlingslager Al-Hol. Die Menschen dort würden "systematisch ihrer Rechte beraubt" und seien "dauerhaft Gewalt und Unsicherheit ausgesetzt". Kinder seien besonders betroffen, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Bericht. Im vergangenen Jahr kamen demnach 79 Kinder in dem Lager ums Leben.

Eigentlich war das Flüchtlingslager, in dem sich auch österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger befinden, dazu gedacht, Zivilisten, die durch die Kriege in Syrien und im Irak vertrieben wurden, eine sichere vorübergehende Unterkunft und Zugang zu humanitärer Hilfe zu bieten. Mittlerweile habe sich Al-Hol jedoch "zu einer Art Freiluftgefängnis entwickelt", schreibt Ärzte ohne Grenzen in dem Bericht mit dem Titel "Between Two Fires: Danger and Desperation in Syria's Al-Hol Camp".

Verbrechen häufigste Todesursache

64 Prozent der Menschen in Al-Hol sind Kinder. Für sie sei das Leben in dem Camp besonders gefährlich, so die Hilfsorganisation. Mehr als ein Drittel aller, die im vergangenen Jahr in dem Lager starben, waren demnach Kinder unter 16 Jahren. Die häufigste Todesursache (38 Prozent) in Al-Hol ist der Tod infolge von Verbrechen. Zusätzlich zu den 85 kriminalitätsbedingten Todesfällen wurden in dem Lager 2021 auch 30 Mordversuche gemeldet.

Neben den Gefahren des Lagers gibt es laut Ärzte ohne Grenzen Berichte über Burschen im Teenageralter, die gewaltsam von ihren Müttern oder anderen Bezugspersonen getrennt wurden. Es gebe kaum Informationen darüber, wohin sie gebracht wurden oder was mit ihnen geschehen ist. Zudem seien manche Kinder gestorben, weil die medizinische Versorgung zu langsam erfolgte.

Österreichische Staatsbürger im Lager

Trotz der unsicheren Bedingungen seien keine ausreichenden Fortschritte bei der Schließung des Lagers gemacht worden, kritisiert die Hilfsorganisation. "Je länger die Menschen in Al-Hol festgehalten werden, desto schlimmer wird es. Eine weitere Generation ist dann der Ausbeutung ausgeliefert und hat keine Aussicht auf eine Kindheit ohne Gewalt", so Martine Flokstra, Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen für Syrien.

In Al-Hol und anderen damit verbundenen Gefangenenlagern in Syrien befinden sich aktuell rund 53.000 Personen, darunter etwa 11.000 ausländische Staatsangehörige – aus rund 60 verschiedenen Ländern, darunter auch Österreich. Das Außenministerium in Wien hat Kenntnis von weniger als zehn österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern in den Lagern Al-Roj und Al-Hol. Seit Kriegsausbruch 2011 wurden bisher vier Minderjährige mit österreichischer Staatsbürgerschaft aus Syrien zurückgeholt.

"Die Mitglieder der Anti-IS-Koalition wie Österreich sowie andere Länder, deren Staatsangehörige in Al-Hol und anderen Gefängnissen und Lagern im Nordosten Syriens festgehalten werden, haben ihre Bürger im Stich gelassen", erklärte Marcus Bachmann, Berater für humanitäre Angelegenheiten von Ärzte ohne Grenzen Österreich. "Sie müssen Verantwortung übernehmen", forderte er. Auch Österreich müsse seinen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen und die Rückführung seiner Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. (APA, 7.11.2022)