Es geht gerade um nichts Geringeres als um die Daseinsberechtigung von Journalismus in Österreich: die Glaubwürdigkeit zu haben, über Korruption in Politik und Wirtschaft zu berichten sowie in Kommentaren zu fordern, dass das Strafrecht nicht die einzige Richtschnur für Moral sein darf. Was kritischer Journalismus zu Recht von Politikern einfordert, muss zuallererst auch für die sogenannte vierte Gewalt, die Medien, gelten.

Der Journalismus ist weltweit in einer Vertrauenskrise. Nur vier von zehn Befragten sagen laut einer Studie der Oxford-Universität, dass sie den Nachrichten die meiste Zeit vertrauen. Österreich liegt im Durchschnitt – wobei hier jeder Fünfte glaubt, man könne Berichterstattung "kaufen". Die Forscherinnen und Forscher nennen als mögliche Erklärung mutmaßlich gekaufte Umfragen und Berichte bei Fellners Oe24. Nach Fellner erschüttern nun Chats von Chefredakteuren bei Presse und ORF dieses Vertrauen weiter; beide wurden beurlaubt. Es geht unter anderem um mangelnde Distanz zu Politikern.

Einblick in den Newsroom des STANDARD.
Foto: Manfred Stipanitz

In der Reflexion kommt man schnell zu einer grundlegenden Frage: Welches Medium ist es würdig, dass ich ihm meinen Glauben schenke? Für viele Menschen wird sich diese Frage dadurch beantworten, wie Medien nun mit dieser akuten Vertrauenskrise umgehen.

Man kann versuchen, undifferenziert alle Medien in einen Topf zu werfen. Damit tut man all jenen Journalistinnen und Journalisten unrecht, die ihren Job redlich machen und mit dieser Argumentation vereinnahmt werden. Man tut auch jenen Medien unrecht, die für ihre kritische Berichterstattung mit Anzeigenstornos bestraft werden. "Die Medien sind doch alle gleich" – das bleibt bei Leserinnen und Lesern zurück. Genauso wenig ist es zielführend, sich über die anderen zu erheben und zu rufen: Wir sind besser, wir sind so nicht!

Selbstreflexion

Vertrauen kann man nicht per Ausruf gewinnen. "Show, don't tell", lautet eine Schreibtechnik – im übertragenen Sinne würde das hier bedeuten, den Charakter eines Mediums durch dessen Handlungen zu erklären. Diesen Weg gehen wir beim STANDARD. Statt "Wir sind so nicht" zu rufen, starten wir heute "So sind wir", unseren Transparenzblog online und in der Zeitung. Wir machen künftig unsere Selbstreflexion öffentlich; wenn wir in unserer Redaktionskonferenz um medienethische Fragen ringen, werden wir in relevanten Fällen unsere Entscheidungen erklären und auch zur Diskussion stellen.

Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Wir sind ständig mit Grauzonen konfrontiert, in denen wir nach unseren Leitlinien für Unabhängigkeit, nach unserer kritischen Kultur, unserer liberalen Blattlinie und den ethischen Grundregeln unseres Berufs entscheiden müssen, wie wir agieren: Warum besuchen wir Hintergrundgespräche? Wie funktioniert die Trennung zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung in der Praxis? Warum kürzen wir monatelang Namen von Beschuldigten ab? Solche Themen werden wir künftig noch transparenter machen.

Bei allem Bemühen: Manchmal machen wir Fehler. Daher haben wir unsere Kolumne "Vermurkst" gestartet, um Fehler auch öffentlich zu reflektieren. Unser Ziel ist, dass sich unsere Leserinnen und Leser ein noch besseres Bild von unserer Arbeit machen und Feedback geben können. Das ist unser Weg aus der Vertrauenskrise der Medienbranche. (Martin Kotynek, 7.11.2022)