Bei Twitter tut sich einiges.

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Für Twitter war die erste Woche unter Elon Musk turbulent. Der Multimilliardär kündigte nicht nur an, dass die Verifizierung künftig acht Dollar pro Monat kosten – und keine Verifizierung der dahinterstehenden Person beinhalten wird. Vergangenen Freitag wurde die Hälfte der Belegschaft entlassen. Darunter die gesamte Abteilung für "ethische KI" und ein Teil des Moderationsteams. Vor allem aber zeichnete es sich ab, dass Musk mit seinen Versprechen für die Zukunft von Twitter flexibel zu sein scheint.

Der selbsternannte "Absolutist der Redefreiheit" verkündete kurz nach seiner Übernahme: "Comedy ist jetzt auf Twitter legal." Eine Aussage, die verifizierte Accounts am Wochenende einer Belastungsprobe unterzogen. Mehrere Userinnen und User passten Anzeigenamen und Profilbild an Elon Musk an, um darauf aufmerksam zu machen, dass eine kostenpflichtige Verifizierung das Authentizitätsproblem nicht lösen kann. In einigen Fällen hatte der Spaß eine Sperre zur Folge, unter anderem bei der US-Komödiantin Kathy Griffin. Außerdem stellte Musk persönlich klar, dass künftig "alle Twitter-Handles, die sich als eine andere Person ausgeben, ohne es eindeutig 'Parodie' zu nennen, dauerhaft gesperrt" werden. Eine Warnung soll es davor nicht mehr geben.

Bedenken zu neuer Verifizierung

Dabei gab Musk schon im Rahmen seiner ersten Ankündigung, Twitter kaufen zu wollen, bekannt, dass permanente Kontosperren unter seiner Führung ein Ding der Vergangenheit sein würden. Stattdessen sprach er sich für Auszeiten aus, nach deren Ablauf verbannte Userinnen und User zurückkehren dürfen. Ob ein solches System in Zukunft eingeführt werden könnte, ist unbekannt.

Die öffentlichen Bedenken bezüglich des neuen Verifizierungssystems scheint Twitter dennoch zu teilen. Das Problem mit ebendiesem: Man muss zwar Geld bezahlen, aber die eigene Identität nicht mittels Ausweisdokument belegen. Die Einführung soll deshalb nach hinten geschoben werden, wie die "New York Times" berichtet. Grund sei die steigende Sorge, dass im Rahmen der US-Midterms am 8. November Fake-Konten im Namen von Politikerinnen und Politikern oder Journalisten erstellt werden könnten, um Falschinformationen zu verbreiten.

Offene Algorithmen – oder nicht?

Das Thema Kontosperren ist nicht der einzige Bereich, in dem der "Chief Twit" entgegen früheren Ankündigungen zu handeln scheint. Im Frühling sprach er noch davon, die Empfehlungsalgorithmen offenzulegen und aufzuzeigen, warum bestimmte Beiträge eine größere Reichweite erhalten als andere. Das Problem dabei: Im Rahmen der Entlassungen am vergangenen Freitag musste die gesamte Abteilung für ethische KI das Unternehmen verlassen – und somit gerade jene Menschen, die laut "Wired" darauf hinarbeiten, Algorithmen transparenter und fairer zu gestalten.

Apropos: Die Entlassung der etwa 3.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter scheint nicht zur Gänze durchdacht gewesen zu sein. Ein Teil von ihnen wurde laut einem Bloomberg-Bericht schon am Sonntag darum gebeten, zurückzukehren. Sie seien fälschlicherweise gekündigt worden. Andere seien entlassen worden, bevor ihren Vorgesetzten auffiel, dass sie und ihre Fähigkeiten eigentlich für die Entwicklung neuer Features gebraucht würden. Ob auch das Ethical-AI-Team darunter ist, ist unbekannt.

Geld verdienen wie bei Youtube

Musk argumentierte die Entlassungen am Samstag noch damit, dass Twitter täglich vier Millionen Dollar verliere. Er scheint eine Reihe von Finanzierungsmöglichkeiten für die Plattform abzuwägen. Ein möglicher Ansatz ist die genannte Verifizierung im Rahmen des Twitter-Blue-Abonnements. Dieses zählt allerdings bloß 400.000 Kundinnen und Kunden.

Darüber hinaus stellte Musk eine "Monetarisierung für alle Arten von Inhalten" in Aussicht. Ein Modell also, das Plattformen wie Youtube ähnelt, wie der "Guardian" berichtet. Die Videoplattform zahlt Inhaltsschaffenden einen Teil der Werbeeinnahmen aus.

Das Gros der Einnahmen stammt bisher von Werbekunden, die sich nach und nach von der Plattform zurückziehen. So folgte der VW-Konzern am Freitag dem Beispiel von General Motors und dem Pharmakonzern Pfizer und pausierte die Schaltung von Anzeigen. Auch der Werbekonzern IPG, der unter anderem Coca-Cola, American Express und Spotify vertritt, riet seinen Kunden, keine Werbung mehr zu schalten.

Mehr Hassrede

Das scheint unmittelbare Folgen für Twitter zu haben. Am Freitag beklagte Musk einen "massiven Umsatzeinbruch" – für den laut ihm "Aktivistengruppen" verantwortlich seien, die "Druck auf Werbetreibende" ausüben würden. In Wirklichkeit dürften die genannten Unternehmen sichergehen wollen, dass auf der Plattform keine Hassrede stehenbleiben darf. Laut einer Untersuchung des Network Contagion Research Institute stieg in den ersten zwölf Stunden nach Musks Übernahme die Nutzung des N-Worts um 500 Prozent an. Auch die Zahl der frauenfeindlichen und Anti-LGBTQ-Postings stieg laut der "Washington Post" rasant an.

Damit das Vorhaben, Inhalte à la Youtube zu monetarisieren, erfolgreich sein kann, muss im ersten Schritt also das Vertrauen der Werbekunden zurückgewonnen werden. Laut Yoel Roth, Leiter der Abteilung für Sicherheit und Integrität bei Twitter, seien zwar 15 Prozent des eigenen Teams entlassen worden. Nennenswerte Auswirkungen auf die Inhaltsmoderation habe das aber nicht gehabt. (mick, 7.11.2022)