Bruce Springsteen rockt sich auf seinem neuen Album durch Soul-Songs aus den Sixties und stößt dabei deutlich an seine Grenzen.

Foto: Sony Music

Unter den sich durch Lohnarbeit buckelnden Arbeitern und Angestellten gibt es ein ehernes Gesetz, das da lautet: Der Boss mag nicht immer recht haben, aber er ist immer der Boss. Eine Erkenntnis wie ein Seufzer.

Der Satz könnte zugleich als Kurzkritik des neuen Albums von Bruce Springsteen durchgehen, dem Boss. Auf dem vor Charles Darwin und dem Soulsänger Jerry Butler in die Knie gehenden Album spielt er nur Coverversionen, das Werk heißt Only the Strong Survive. So etwas Ähnliches hat Springsteen schon einmal getan, als er für We Shall Overcome: The Seeger Sessions entsprechende Traditionals interpretiert hat.

Die Sammlung Only the Strong Survive führt ihn zurück in die 1960er-Jahre und zu jenem Sound, der damals ertönte, wenn der junge Bruce den Einschaltknopf seines Radios drückte. Da lief bei ihm dann Soul Music, und der widmet er sich nun im Umfang von 15 mehr oder weniger einschlägigen Songs.

Gewagtes Projekt

Es ist ein gewagtes Projekt, denn Soul setzt, rein interpretatorisch betrachtet, stark auf die Kunst der Verzögerung. Da werden Silben gedehnt, bis das Leid, das sie transportieren, beim Empfänger spürbar wird. Da wird jubiliert wie in der schwarzen Kirche, geklagt wie bei der Feldarbeit und geträumt wie von Martin Luther King vor dem Capitol. Und dann ist da Bruce.

Der Mann mit den breiten Lederbändern an den Handgelenken, den aufgekrempelten Ärmeln, bis dorthin, wo der Bizeps die Nähte dehnt, der Stadionrocker, der dort mit der E-Street-Band wie ein Güterzug seine Runden dreht. Dafür lieben ihn die Fans, das kann er wie wenige andere, aber für das anvisierte Unterfangen greift so ein Ansatz zu kurz: Der Boss und Soul Music, das geht sich nicht aus.

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Dabei ist die Auswahl der von ihm gecoverten Songs gefällig, auch was den Stil, seinen Stil, betrifft. Der 73-jährige US-Amerikaner nimmt sich Titel vor, die überwiegend im Uptempo angesiedelt sind. Songs, die ihn gar nicht in Verlegenheit bringen, sich mit großen Expressionisten des Fachs zu messen, deren Vortrag in drei Sekunden auf existenziell-dramatisch schnellt.

Springsteen spielt Lieder, in denen es reicht, sie mit Soul-affiner Instrumentierung nachzubauen. Er drückt den Blinker, um sich für 50 Minuten auf der mittleren Spur einzubauen: Middle-of-the-Road-Musik mit fetter Hammond-Orgel, Streichern und Bläsern, befeuert von einem beseelten Damenchor, da ließ er sich nicht lumpen.

Am Beifahrersitz hat er, gewissermaßen als Gütesiegel seines Versuchs, Sam Moore sitzen. Der war der Sam von Sam & Dave, einem als "Double Dynamite" geltenden Duo, das mit Hits wie Soul Man oder Hold On, I’m Comin’ unsterblich wurde. Moore singt bei zwei Stücken mit – ohne dass sich das Urteil über das Album deshalb ändern würde.

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Einmal verlässt Springsteen das Terrain und wagt sich an The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore von den Walker Brothers. Ein Popsong, durchaus beseelt, und ein großer, düsterer Hit Ende der 1960er, dem Bruce die Ehre erweist, dem Original aber weder nahekommt noch ihm Mehrwert zuführt. Das ist das Grundproblem des Albums.

Hart triefend

Alle Lieder sind im Original besser, alle versucht er werktreu zu interpretieren, keines verändert er so, dass eine interessante Deutung entstünde, es bleiben schlechte Kopien. Hart an der Grenze des Erträglichen ist sein Nightshift (von den triefenden Commodores), den großen Rest führt er aus dem Soul eher weg, rockt sich durch Lieder von Frank Wilson (Do I Love You), Jerry Butler (der Titelsong und Hey, Western Union Man) oder Ben E. King (Don’t Play that Song).

Den Soul lagert er weitgehend an den Chor aus, das elende E-Street-Saxofon steht wie ein deplatziertes Mahnmal herum. Die Idee des Albums generiert vielleicht Sympathie, für die Ergebnisse aber gilt: Weit daneben ist auch vorbei. (Karl Fluch, 8.11.2022)