Oberösterreich. Ziemlich genau so groß, heißt es immer wieder, ist Katar, wo am Sonntag die 22. Fußball-WM-Endrunde beginnt. Um ganz genau zu sein: Das viertgrößte heimische Bundesland hat sogar etwas mehr Fläche als das Emirat an der Ostküste der Arabischen Halbinsel am Persischen Golf, 11.982 Quadratkilometer stehen 11.572 gegenüber. Freilich würde Oberösterreich nie und nimmer auf die Idee kommen, acht riesige Fußballstadien hinzustellen. Dort tut man sich mit der Errichtung einer einzigen halbgroßen Arena schon schwer, Planungen und Bau des neuen Linzer Stadions wurden und werden von Skandalen und Querelen begleitet.
Dass es in Oberösterreich mittlerweile schon recht kalt ist und bis Weihnachten noch kälter wird, kommt noch dazu. So gesehen ist es – mittelprächtiger Scherz am Rande – dann vielleicht wirklich klüger, die WM in Katar abzuhalten. Rasenheizungen sind dort hinfällig, dafür kann alles bis zum Gehtnichtmehr heruntergekühlt werden. Längst gibt es in Doha einen großen Eislaufplatz, bald soll es eine Skihalle geben. Und jetzt gibt es halt auch acht große Fußballstadien mit enormen Klimaanlagen, die eine Innentemperatur von 22 Grad garantieren. Die Grobentwürfe zu sieben der acht Stadien stammten aus dem Frankfurter Planungsbüro Albert Speer & Partner (AS+P). Dessen seinerzeitiger Chef, Sohn des gleichnamigen NS-Rüstungsministers, ist vor fünf Jahren gestorben. Mit der Umsetzung der Pläne war AS+P nicht mehr befasst.
6,5 Milliarden Dollar Baukosten
Es gibt die Stadien, die insgesamt 6,5 Milliarden Dollar gekostet haben sollen, nur der WM wegen. Fußball interessiert im Emirat nur eine Minderheit, die sich vor allem aus asiatischen und afrikanischen Gastarbeitern zusammensetzt. Bei Ligaspielen verirrten sich meistens nur einige Hundert oder wenige Tausend Zuseher in die Arenen. Die Liga wurde, auch mit vielen Legionären, eigens im Hinblick auf die WM hochgezogen, um zu unterstreichen, dass der Fußball im Land weiterentwickelt werden soll.
Wohin oder wie weit die Entwicklung führt, ist nicht abzusehen. Skeptiker führen an, dass Katar dem Fußballweltverband Fifa vor Jahren auch sein Engagement für Frauenfußball verkaufen wollte. Ein katarisches Frauenteam ist längst wieder in der Versenkung verschwunden.
Pendelflüge von Dubai nach Doha
Fast ein Hohn ist, dass Katar und die Fifa eine WM der kurzen Wege propagierten. Als würden sich tatsächlich unzählige WM-Fans wochenlang im Land aufhalten und von Stadion zu Stadion bummeln, vielleicht noch mit Fahrrädern. In der Realität fliegen die meisten Fans für einzelne Partien ein, viele haben auch in den benachbarten Golfstaaten Quartier bezogen. Unter anderem befindet sich die deutsche Fanbasis in Dubai, von wo in den kommenden Wochen täglich bis zu 160 Pendelflüge nach Doha gehen sollen.
"Die propagierten kurzen Wege sind reine Schönfärberei", sagte die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb im STANDARD-Interview. Und dass Katar eine Million Bäume und Sträucher pflanze, um seine Klimaschuld zu kompensieren, sei "eine Augenauswischerei". Sie wolle sich "gar nicht ausmalen, wie viel Wasser, wie viel Energie man braucht, um diese Bäume in Katar zu bewässern".
Bei den meisten WM-Stadien ist die Nachnutzung ungeklärt, etliche werden auf das halbe Fassungsvermögen zurückgebaut. Allein das Khalifa-International-Stadion soll nach der WM bleiben, wie es ist. Das "974" (auch Katars Telefonvorwahl) wurde aus Schiffscontainern zusammengesetzt, die wiederverwendet werden können. Käufer gibt es noch keinen. Bleibt das Education-City-Stadion, das nach der WM der gemeinnützigen Qatar Foundation übergeben wird. (Fritz Neumann, 16.11.2022)