Die Causa André Heller hat dem Kunstmarkt einen irreversiblen Schaden zugefügt, sagt der Kunstmarktexperte und Auktionator Otto Hans Ressler im Gastkommentar.

Die Kehrseite der Causa André Heller: Sie entzieht dem Markt das Vertrauen und zerstört den Glauben an die Kunst.
Foto: Katalog Wienerroither & Kohlbacher 2016

André Heller hat die Fälschung eines Kunstwerks als "kindischen Streich" dargestellt, als "Angeberei". All das ist die Fälschung eines Kunstwerks aber keineswegs. Es ist Betrug – mutmaßlich. (Ich habe mir nie vorstellen können, dass ich das eines Tages schreiben könnte: Aber es gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.) Auch die Erfindung der Provenienz eines Kunstwerks ist keine "dumme Mischung aus Dichtung und Wahrheit". Es ist eine Lüge.

Wäre es Heller nur darum gegangen, einem etwas zu selbstbewussten Kunstexperten dessen Grenzen aufzuzeigen, hätte der "Scherz" spätestens enden müssen, bevor Geld den Besitzer wechselt. Herr Heller meint, dass er den Schaden, den er demjenigen zugefügt hat, der auf seinen "kindischen Streich" hereingefallen ist, wiedergutgemacht habe, indem er ihm – spät, aber doch – sein Geld zurückgegeben hat. Der Schaden, den er damit dem Kunstmarkt zugefügt hat, ist freilich irreversibel.

"Der Kunstmarkt ist der Ort des ununterbrochenen Austauschs über die Frage, was Kunst ist – und was sie uns wert ist."

Denn für den Kunstmarkt sind Fälschungen dasselbe wie die Korruption für die Politik. Fälschungen zerstören Vertrauen. Fälschungen zerstören die Freude an Kunst. Der Kunstmarkt ist nämlich nicht, was viele zu glauben scheinen, der Ort, wo es nur um Geld, Spekulation und Gier geht. Der Kunstmarkt ist der Ort des ununterbrochenen Austauschs über die Frage, was Kunst ist – und was sie uns wert ist. Es ist der Ort, an dem philosophiert, debattiert und gestritten wird. An diesem Austausch nehmen auch nicht nur Sammler und Galeristinnen teil, nicht nur die Kuratorinnen und Kunstkritiker, nicht nur die Kunstvermittlerinnen und Kunstliebhaber, sondern im Grunde alle Menschen, die in Museen gehen, Ausstellungen besuchen und, von mir aus, Flohmärkte.

Aber selbst für die, die in ihrem ganzen Leben noch nie ein Museum besucht haben, selbst für die, für die Kunst eine Art Luxus ist, an dem sie nie teilhaben werden, gilt, dass Kunst eine über das Geld, das sie kostet, hinausgehende Bedeutung hat. Denn Kunst zu erschaffen und zu verstehen ist eine der ganz wenigen Fähigkeiten, die uns Menschen von allen anderen Lebewesen auf diesem Planeten unterscheiden. Und es ist der Kunstmarkt, wo darüber entschieden wird, was das bedeutet. Was das für jeden von uns bedeutet. Denn die Kunst ist nichts, was man wägen und messen könnte, sondern etwas, dessen Bedeutung sich in unseren Köpfen vollzieht.

Verlorenes Vertrauen

Der Wert der Kunst ist eine Frage des Glaubens. Heller hat diesen Glauben beschädigt; schwer beschädigt. Zugegeben, er ist nicht der Einzige, der mit einer Fälschung die Kunst in den Dreck gezogen hat; der sein Geschäft mit dem Vertrauen in die Authentizität gemacht hat. Seit einiger Zeit plagen wir uns – und damit meine ich die Menschen, die Kunst ausstellen, erklären, verkaufen und feiern – nicht nur mit Fälschern und Hehlern herum. Neuerdings scheint es Mode geworden zu sein, dass Künstler selbst sich von ihren eigenen Kunstwerken distanzieren. Dass sie ihre Autorschaft bestreiten – aus welchen Gründen immer. Auch sie zerstören das Vertrauen in den Kunstmarkt. Auch sie zerstören den Glauben an die Kunst. Aber keiner von ihnen hat je behauptet, die Österreicher seien ein Volk von Liliputanern, weil Lügen ja bekanntlich kurze Beine haben und wir permanent in der Lüge leben würden. Heller hat das sehr wohl getan.

Noch ein Letztes: Ich bin entsetzt, wie nonchalant André Heller über den Preis, den sein Rahmen gekostet hat, hinweggeht. 800.000 Euro – angeblich. Weiß Heller, was 800.000 für viele, für sehr viele, für viel zu viele Menschen bedeutet? 800.000 Euro stellen den Gegenwert von 40 Jahren Arbeit als Friseurin, als Rechtsanwaltsgehilfe, als Putzfrau, als Verkäuferin im Supermarkt, als ungelernter Arbeiter dar. Sie stellen das Einkommen eines ganzen Arbeitslebens dar. Glaubt Heller allen Ernstes, sein Rahmen aus Besenstielen mit Nägeln wiege ein ganzes Arbeitsleben auf? Glaubt Heller wirklich, dieses Machwerk sei mit 800.000 Euro angemessen honoriert? Denn das wäre die einzige Erklärung dafür, dass er seinen "kindischen Streich" nicht schon vor Jahren aufgeklärt hat. (Otto Hans Ressler, 8.11.2022)