Kunstidol Keith Haring, Whistleblower Edward Snowden und Klimaaktivistin Greta Thunberg (v. li.): Der Streetartist Shepard Fairey zeigt in München seine Bilder.

Foto: Positive Propaganda e.V.

Von außen betrachtet könnte man meinen, man stünde vor einem Schickimickiladen. So edel golden und geschwungen, wie sich die Beschriftung an der Auslage ausmacht, fehlten drinnen eigentlich nur noch die Designerhandtaschen. Aber weit gefehlt. Das Amuseum, das dieses Wochenende in der Münchner Schellingstraße eröffnete, gibt sich diese Luxusaufmachung nur als ironisches Statement: Innendrin werden gegen den allzu unbekümmerten Konsumismus nämlich so einige Gegenargumente in Stellung gebracht – mit den Mitteln der Kunst.

Das Amuseum – ein Wortspiel mit "amusement" (Belustigung) – ist eines der ersten europäischen Museen der Streetart-Bewegung. Und da sich diese der Tradition des Punk verpflichtet fühlt, geht ohne Kritik an der vom Kapitalismus gebeutelten Gesellschaft und Umwelt natürlich nichts. Initiiert hat das Amuseum der Kunstverein Positive Propaganda, der sich seit zehn Jahren darum bemüht, in München an öffentlichen Gebäuden großflächige Kunstprojekte mit Streetartists umzusetzen. Für die Eröffnung konnte Kunstvereinsgründer Sebastian Pohl den Künstler Shepard Fairey gewinnen. Der US-Amerikaner zeigt in der neuen Räumlichkeit bis Ende April 2023 seine erste Soloausstellung in Deutschland. Danach sollen laufend weitere Akteure der Streetart präsentiert werden: Escif zum Beispiel oder Mark Jenkins.

Das Amuseum in der Münchner Schellingstraße 5.
Foto: Positive Propaganda e.V.

Der Eintritt ist frei, finanziert wird der Betrieb aus öffentlichen Mitteln. In den Räumen, die der öffentlichen Hand gehören, war früher ein Buchladen eingemietet, dem Amuseum wird die Miete für 20 Jahre erlassen.

Streetart im Museum? Ist das nicht ein Widerspruch? Nein, sagt Initiator Pohl: "Streetart heißt nicht unbedingt, dass es Kunst auf der Straße sein muss. Streetart heißt vielmehr, dass die Themen, die sie behandelt, von der Straße kommen – aus der Zivilgesellschaft, aus den Protestbewegungen." Shepard Fairey, der zur Eröffnung persönlich erschien, kann da nur zustimmen. Mit 52 Jahren gilt er als Mitbegründer der Streetart, die er nie elitär verstanden haben wollte, sondern immer der Devise folgend: Je mehr Menschen sie zu sehen bekommen, desto besser, egal wie.

Museumsinitiator Sebastian Pohl (li.) und Künstler Shepard Fairey (re.).
Foto: Positive Propaganda e.V.

Sticker, Plakate, Modelinien

Dass sich bei der Münchner Eröffnung hunderte Menschen anstellen, um sich von dem eigentlich recht schüchternen Lederjackenträger ihre Band-T-Shirts und Skateboard-Decks signieren zu lassen, spricht für diese Strategie. Shepard Fairey kommt aus jener amerikanischen Linken, die sich in den 1980er- und 1990er-Jahren aus der Kultur der Skateparks und Alternativerock-Clubs entwickelte. Shepard skatete nicht nur, er lieferte auch die Designs dazu: Vor allem Plattencover aus seiner Druckerwerkstatt sind bis heute gefragt.

Als Künstler forderte er mit der weltweiten Sticker- und Plakatkampagne "Obey Giant!" ("Gehorche dem Riesen!") auf ironische Art, Mechanismen eines erstarkenden Polizei- und Überwachungsstaats zu erkennen und zu hinterfragen. George Orwells Big-Brother-Dystopie 1984 war der wichtigste Einfluss dafür. Die Stilistik seiner Werke entnahm er der Propagandakunst des 19. und 20. Jahrhunderts, der Popart, dem russischen Konstruktivismus oder auch der Art déco: Signalfarben, starke Kontraste, Slogans aus der Werbebranche.

Das Amuseum soll wechselnde Ausstellungen bei freiem Eintritt bieten.
Foto: Positive Propaganda e.V.

Sein "Hope"-Plakat für Barack Obama trug zur Wahl des Präsidenten bei, zuletzt unterstützte er den Demokraten Bernie Sanders. Es sind und bleiben aber die außerparlamentarischen politischen Bewegungen, denen Shepard Faireys größte Unterstützung gilt. Mit seiner nur scheinbar unpolitischen Modelinie Obey finanziert er solche Gruppen quer. "Die Modelinie ist ein Türöffner, dadurch kommen Leute mit meinen Anliegen in Kontakt, die sich sonst nicht für Politik interessieren."

Fairey zeigt in München Druckgrafiken, Collagen und Gemälde sowie die Schablonen, mit denen sie hergestellt werden.
Foto: Positive Propaganda e.V.

Mit der Ausstellung New Clear Power legt der Künstler einen Schwerpunkt auf die unheilige Allianz aus Politik, Kapitalismus und fossilen Energieträgern. Neben Whistleblower Edward Snowden und dem künstlerischen Idol Keith Haring wird denn auch Fridays-for-Future-Gründerin Greta Thunberg in Collagetechnik zur bildlichen Ikone verfestigt. Wenn er sich aber entscheiden müsste zwischen seinen Bildern fürs Wohnzimmer und jenen auf der Straße (120 weltweit, zwei in Wien), ist Shepard Faireys Antwort deutlich: die Straße.

Shepard Faireys jüngstes Wandbild in München prangert die Erdölindustrie an.
Foto: Positive Propaganda e.V.

Darin ist er sich auch mit Amuseum-Gründer Sebastian Pohl einig, der die Arbeiten im öffentlichen Raum künftig keineswegs vernachlässigen will: Ein 114 Meter langes und fünf Meter hohes Wandbild realisierten die beiden aktuell entlang des vielbefahrenen Mittleren Rings. Dort, wo sich täglich Autokolonnen durch München stauen, reden ab sofort Shepard-Fairey-Motive, die die Erdölindustrie anprangern, ins Gewissen. Kein schwaches Signal in der Automobilhauptstadt. (Stefan Weiss aus München, 8.11.2022)