Die Angelegenheit rund um Chorherrs Verein S2Arch war schon Thema einer U-Kommission im Wiener Landtag.

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Großer Bahnhof für Österreichs große Immobilienunternehmer: Ab Dienstag, neun Uhr, werden etliche von ihnen am Straflandesgericht Wien zusammenkommen. Im Großen Schwurgerichtssaal beginnt der Chorherr-Prozess, dessen Bezeichnung auf den grünen Wiener Ex-Politiker Christoph Chorherr zurückzuführen ist. Der 61-Jährige, der sich jahrelang im Gemeinderat mit Stadtentwicklung beschäftigte, ist Hauptangeklagter in dem Verfahren, in dem ihm die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsaltschaft (WKStA) Amtsmissbrauch und Bestechlichkeit vorwirft.

Bestochen haben ihn laut Anklageschrift neun Unternehmer bzw. Investoren, zudem sind zwanzig Unternehmen gemäß dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz angeklagt: die milliardenschweren Unternehmer René Benko (Signa) und Michael Tojner (Global Equity Partners, Montana, Wertinvest) sowie Bauunternehmer Erwin Soravia und Immobilieninvestor Günther Kerbler (Gründer der Conwert, heute Kerbler Holding) und Investmentbanker Wilhelm Hemetsberger. Zudem sind zwei Soravia-Mitarbeiter und zwei weitere Manager angeklagt, einer von ihnen war früher bei der Notenbank-eigenen IG Immobilien tätig. Nota bene: Alle Angeklagten haben die Vorwürfe bisher bestritten, und für sie alle gilt die Unschuldsvermutung.

Schulen in Südafrika

Im Zentrum der Causa steht der ebenfalls angeklagte Verein S2Arch, der "Armut und Not in Entwicklungsländern" durch Bildungsprojekte bekämpfen will. Den hat Chorherr 2004 gegründet, bis 2018 war er dessen Obmann. Das dahinterstehende Projekt Ithuba betreibt u. a. zwei Schulen in Südafrika. Finanziert werden Verein und Projekt durch Spenden – und da setzt die WKStA an. Sie wirft Chorherr vor, er habe sich in seiner politischen Tätigkeit (und somit als Beamter) von Spenden an S2Arch beeinflussen lassen. Getätigt hätten diese die angeklagten Personen und Verbände.

Er habe als "Planungsstadtrat" – wie ihn die WKStA in der Anklage fälschlicherweise bezeichnet – "faktisch einen großen Einfluss auf Bau- und Flächenwidmungsangelegenheiten der Stadt Wien" ausgeübt, die Vorteile aus den Spenden nicht offengelegt und somit auch seine Befangenheit in den Verfahren vor der Stadt Wien verschwiegen. Planungsstadträtin war damals freilich die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou, Chorherr als grüner Planungssprecher im Gemeinderat hatte allerdings großen Einfluss.

Bei den Spenden geht es um insgesamt rund 1,6 Millionen Euro – am meisten hat mit 1,18 Millionen Euro laut Anklageschrift Hemetsbergers Finanzgesellschaft Ithuba Capital AG gespendet. "Der Name (...) wurde inspiriert von unserer Verbindung zu den Ithuba Skills Colleges in Südafrika", ist auf der Homepage nachzulesen. Bei der Signa-Gruppe rund um Benko geht es laut WKStA um 100.000 Euro, bei Tojners Unternehmen um insgesamt 56.000 Euro.

Soravia und zwei seiner Mitarbeiter erwarben um je 15.000 Euro Kunstwerke, deren Verkaufserlös an Chorherrs Verein floss. All das fand 2017 anlässlich des 50. Geburtstags von Erwin Soravia statt.

WKStA sieht Konnex zu Amtsgeschäften

All diese Spenden sind in den Augen der WKStA in Zusammenhang mit Projekten erfolgt, mit denen sich die Magistratsabteilung (MA) 21 beschäftigt hat, die für Stadtteilplanung und Flächenwidmung zuständig ist. Um welche Vorhaben es geht? Die WKStA nennt zum Beispiel das Hauptbahnhof Business Center (Signa), die drei Soravia-Türme in Wien-Erdberg (Triiiple) oder Tojners umstrittenes Projekt am Wiener Heumarkt rund ums Hotel Intercontinental.

Das spaltete auch die Wiener Grünen: Eine Urabstimmung ergab eine hauchdünne Mehrheit gegen das Projekt – was die Parteispitze rund um Vassilakou ignorierte. Nur einen Tag nachdem im Gemeinderat für das Vorhaben gestimmt wurde, teilte eine Mitarbeiterin ihrem Chef Tojner mit: "Vassi (Vassilakou; Anm.) und Chorherr brav!"

Alle angeklagten Unternehmer weisen eine Verbindung zwischen ihren Spenden und Amtsgeschäften wie Widmungen oder Umwidmungen zurück. Sie argumentieren zum Teil, dass Chorherrs Mitwirkung an den Gemeinderatsbeschlüssen nicht ausschlaggebend gewesen sei. Zum Teil seien die Widmungen Jahre vor den Spenden erfolgt.

Zudem haben sämtliche Mitarbeiter der MA 21 als Zeugen angegeben, alle Projekte seien "ordnungsmäßig verlaufen" und es sei zu keinen Interventionen gekommen. Die WKStA argumentiert dagegen, dass die Einflussnahmen auf "derart subtile Art stattfanden, dass sie den Sachbearbeitern der MA 21 nicht auffielen".

Erwin Soravias Anwalt Markus Fellner* nennt die Vorwürfe auf Anfrage "schlichtweg falsch", bei den Spenden an Chorherrs Verein sei es lediglich darum gegangen, "im Rahmen einer Charity-Aktion ein wertvolles Kunstwerk des renommierten österreichischen Künstlers Peter Kogler zu erhalten und andererseits ein gemeinnütziges Entwicklungs- und Schulprojekt in Südafrika nachhaltig zu unterstützen". Man sei zuversichtlich, alle Vorwürfe entkräften zu können.

René Benko wiederum wurde nie einvernommen, er hat aber eine Gegenschrift zur Anklage eingebracht. Darin heißt es sinngemäß, dass Benko bei den Unternehmen, um die es geht, im relevanten Zeitraum gar nicht Gesellschafter gewesen sei. Er habe von Hemetsberger vom gemeinnützigen Schulprojekt Ithuba in Südafrika erfahren, und der Investmentbanker sei Feuer und Flamme dafür gewesen. Er, Benko, habe gedacht, dass das dessen eigenes Projekt sei, und von der Vorstandsfunktion Chorherrs habe er erst viel später erfahren. Letztlich habe Benko seine PR-Abteilung gebeten, die Möglichkeit einer Spende zu prüfen, mit deren tatsächlicher Umsetzung 2011 er dann nichts mehr zu tun gehabt habe. Jedweder Zusammenhang der Spende mit einem Amtsgeschäft oder Amtsträger sei ausgeschlossen.

Chorherr wollte Diversion

Chorherr selbst bestreitet Pflichtverletzungen, räumte aber in einem Antrag auf Diversion im August 2021 ein, dass "der Eindruck entstehen konnte, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Spenden für südafrikanische Schulen auf der einen und seiner Tätigkeit als Planungssprecher der Grünen auf der anderen Seite". Für dieses "Fehlverhalten" wollte Chorherr Verantwortung übernehmen. Die WKStA nahm den Diversionsantrag seines Anwalts Richard Soyer jedoch nicht an, sondern erhob Anklage.

Die Ermittlungen hatten im Jahr 2017 nach einer Anzeige begonnen, zwischenzeitlich gab es mehr als vierzig beschuldigte Personen. Die Anklageschrift wurde vor einem Jahr eingebracht, nach einem Einspruch gab das Oberlandesgericht Wien grünes Licht für das Verfahren, das nun am Dienstag startet.

Bis kurz vor Weihnachten sind noch weitere neun Termine angesetzt. Nach den Eingangsvorträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden zunächst die Angeklagten einvernommen. Den Vorsitz führt Richter Michael Tolstiuk, der viel Erfahrung mit großen Wirtschaftsprozessen hat, er leitete zum Beispiel den Telekom-Prozess. DER STANDARD wird live berichten. (Renate Graber, Fabian Schmid, 7.11.2022)

*Korrektur am 8.November