Foto: Reuters / Ognen Teofilovski

Es geht eigentlich nur um eine ziemlich unwichtige bürokratische Frage. Nämlich um Nummerntafeln für Autos. Doch die Regierung in Serbien und die Partei Srpska Lista im Kosovo haben am Wochenende daraus ein Staatsdrama gemacht. Die Bürgermeister und Stadträte der Srpska Lista, die unter der Kontrolle der Regierung in Belgrad stehen, traten alle zurück. Die Vertreter der Serben verließen die kosovarische Regierung, die Justiz und alle Institutionen. Etwa 300 serbische Beamte in der kosovarischen Polizei quittierten ihren Dienst. Beamte der EU-Rechtstaatsmission Eulex übernahmen vorübergehend deren Aufgaben.

All das geschah, weil am 1. November eine Regelung in Kraft getreten war, wonach alle Bürger und Bürgerinnen des Kosovo künftig Nummerntafeln des Staates Kosovo und nicht mehr des Staates Serbien verwenden müssen. Der Direktor der Polizeidirektion im Nordkosovo wurde entlassen, weil er sich geweigert hatte, die neue Regelung umzusetzen.

Staatlichkeit untergraben

Der Rückzug aus Institutionen ist seit den 1990ern-Jahren ein immer wieder verwendeter politischer Schachzug von Nationalisten, die damit das Funktionieren des Staates untergraben wollen. Laut der neuen Nummerntafelreglung werden in den ersten drei Wochen bei Nichterfüllung die Inhaber von Kraftfahrzeugen mit einer Verwaltungsstrafe belegt, später können ihnen das Nummernschild und die Registrierung entzogen werden. Bislang hat die kosovarische Polizei schon über 800 solcher Verwaltungsstrafen über jeweils 150 Euro ausgestellt – es gab dabei weder Probleme noch Zwischenfälle.

Die kosovarische Regierung wollte die Regelung bereits im Vorjahr und dann im Sommer umsetzen, doch wegen Interventionen aus Serbien wurde der Zeitpunkt immer wieder verschoben. Die Regierung von Premier Albin Kurti hat grundsätzlich die Unterstützung der EU und der USA bei der Nummerntafelregelung, allerdings versuchten Brüssel sowie Washington zuletzt die Umsetzung auf die nächsten zehn Monate zu verschieben. Die kosovarische Regierung will in dieser Sache jedoch nicht mehr nachgeben. Das russische Außenministerium wiederum beschuldigte den Westen am Montag, die Situation "in Richtung eines direkten Konfliktes" zu entwickeln.

Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Staates Kosovo nicht an und versucht über die Partei Srpska Lista Einfluss zu nehmen, sodass der Nordkosovo, wo viele Serben leben, nicht vollständig in die staatlichen Strukturen des Kosovo integriert werden kann. Der serbische Staatspräsident Aleksandar Vučić sprach angesichts des Rückzugs der Serben aus den Institutionen des Kosovo "von großen politischen, fast tektonischen Veränderungen". Die Entscheidung sei "historisch". Er beriet sich vergangene Woche mit dem serbisch-orthodoxen Patriarchen Porfirije und dem chinesischen und russischen Botschafter in der Causa.

Signale für den Kreml

Diplomaten zufolge ist davon auszugehen, dass Vučić mit dem Drama um die Nummerntafeln ein Signal an antiwestliche, nationalistische und prorussische Kräfte senden will. Die serbische und die kosovarische Regierung verhandeln seit vielen Jahren unter EU-Mediation über eine Normalisierung ihrer Beziehungen. Doch in den letzten Jahren gab es keine Fortschritte. Serbien fordert, dass im Norden des Kosovo, wo auch viele Serben leben, ein Verband der serbischen Gemeinden gebildet wird. Das wurde im Brüsseler Abkommen 2013 vereinbart.

Serbien besteht darauf, dass der Gemeindeverband nach öffentlichem und nicht nach privatem Recht gebildet werden soll. Dies lehnt die kosovarische Regierung strikt ab, sie will keine Exekutivfunktionen für den Verband zulassen. Auch das kosovarische Verfassungsgericht sprach sich dagegen aus. Die EU-Kommission will keine inhaltliche Klärung der strittigen Punkte abgeben, wie es auf Anfrage des STANDARD heißt.

Serben und Serbinnen im Nordkosovo sind seit Jahren einer gezielten Einschüchterungspolitik und Gewalt von serbischen Nationalisten und Kriminellen ausgesetzt, die verhindern wollen, dass diese Bürger mit kosovarischen Institutionen kooperieren. Am Samstag wurde die Scheune eines Polizisten im Nordkosovo angezündet.

Sie sangen die serbische Nationalhymne und "Kosovo ist Serbien". Etwa 1500 Demonstranten folgten am Sonntag dem Aufruf von Politikern, in Nord-Mitrovica auf die Straße zu gehen. (Adelheid Wölfl, 7.11.2022)