Im Kampf gegen Covid-19 gelten in China weiterhin strenge Regeln.

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An der Börse wird Hoffnung und Angst gehandelt, das ist auch im sozialistischen China nicht anders. Und so sprangen die Aktienindizes in Hongkong und Schanghai am vergangenen Freitag gleich um mehrere Prozentpunkte in die Höhe. Der Grund: Es tauchten zaghafte Gerüchte auf, wonach die chinesische Führung ihre strikte Zero-Covid-Politik überdenken könnte.

Die tatsächlichen Informationen aber sind widersprüchlich: Biontech bestätigte am Montag, in Verhandlungen mit der chinesischen Regierung zu sein, es sei allerdings noch zu früh, um eine Zulassung des Biontech-Impfstoffs zu verkünden. Auch wurden Anfang der Woche Beamte kritisiert, die Quarantäne- und Lockdown-Maßnahmen zu rigoros umgesetzt hätten. Das Nationale Gesundheitskomitee empfahl mehr Augenmaß. Und für Pekinger soll das Ein- und Ausreisen künftig einfacher gemacht werden.

Gleichzeitig gibt es keine Aussagen, die irgendwie belastbar darauf hindeuten, dass ein Politikwechsel bevorsteht. Und die bizarre Zero-Covid-Maschinerie läuft im ganzen Land unterdessen auf Hochtouren. In Peking wurden am Sonntag 55 Neuinfektionen gemeldet – Anlass genug, um im zentralen Chaoyang-Bezirk sämtliche Schulen zu schließen.

Enormer wirtschaftlicher Schaden

Im südchinesischen Guangzhou kam es zu knapp 2.000 Infektionen, woraufhin ein dreitägiger Lockdown über die wirtschaftlich wichtige Metropole verhängt wurde. Lockdowns gibt es in zahlreichen Provinzen und Regionen des Landes. Über die tatsächlichen Zustände ist wenig bekannt, da ausländische Korrespondenten kaum reisen können. Videos, die im chinesischen Social-Media-Universum zirkulieren, lassen aber nichts Gutes ahnen: Eines zeigte eine junge Frau in Hohot in der Inneren Mongolei, die um Hilfe rief, nachdem ihre Mutter aus einem abgeriegelten Wohnhaus gefallen war.

Kafkaesk dagegen die Geschichte eines Mannes, der positiv getestet worden war und daraufhin in eine Quarantäneeinrichtung gebracht wurde: Weil er die Kosten für den Aufenthalt (Infizierte müssen die Kosten selbst tragen) nicht bezahlen konnte, wird er auch nach seiner Genesung nicht freigelassen. Quarantänelager dieser Art werden im ganzen Land weitergebaut – wie zum Beispiel derzeit in Schanghai für 3.000 Menschen. Die Anlage soll umgerechnet 220 Millionen Euro kosten.

Der wirtschaftliche Schaden unterdessen ist immens – für China, aber auch für die globalen Lieferketten. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts dürfte mit 2,9 Prozent dieses Jahr weit unter den Erwartungen liegen. Wie kein anderes Land hat sich Peking einer strikten Zero-Covid-Politik seit nun bald drei Jahren unterworfen. Eine Einreise ist nur unter strengen Quarantänevorschriften möglich. Immer wieder werden Metropolen durch Lockdowns lahmgelegt, was natürlich auch immer mehr zu Unmut in der Bevölkerung führt.

Rätselraten über Gründe

Warum die Führung in Peking diesen Ansatz verfolgt, lässt viele Beobachter rätseln. Hat sich die Führungsriege um Xi Jinping schlicht verrannt und kann sich keine Fehler eingestehen? Dienen die Lockdowns einem anderen Ziel, zum Beispiel dem Einschüchtern von Kritikern, oder sollen sie sogar westliche Lieferketten durcheinanderbringen? Auch warum sich Peking den westlichen mRNA-Impfungen verschließt, ist nicht klar. Eine Lockerung jedenfalls würde die globale Konjunktur anheizen – allerdings auch die Energiepreise weiter in die Höhe treiben.

Immerhin: Im Bereich von Tests ist der Zero-Covid-Albtraum zu einem wirtschaftlichen Selbstläufer geworden. Die gesamte PCR-Test-Industrie soll mittlerweile knapp 1,7 Billionen Renminbi, rund 200 Milliarden Euro, kosten und damit für 1,8 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich sein. (Philipp Mattheis, 9.11.2022)