Eine Neuerfindung ist Mastodon wahrlich nicht. Die dezentrale Twitter-Alternative gibt es bereits seit dem Jahr 2016. Doch während die dort versammelte Community bislang recht gemächlich gewachsen ist, gibt es nun innerhalb weniger Tage eine wahre Explosion an Aktivität – und vor allem neuen Usern.

Zahlen

Die Zahl der Mastodon-Nutzer hat sich innerhalb weniger Tage beinahe verdoppelt. Das schreibt einer, der es wissen muss – Mastodon-Gründer und Hauptentwickler Eugen Rochko. Demnach gebe es erstmals mehr als eine Million monatlich aktiver Nutzer auf der Plattform. Seit dem 27. Oktober – also jenem Tag, an dem Musk Twitter fix übernommen hat – sind 489.000 User neu hinzugekommen.

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Chaos hier, Boom dort

Weitere Details liefern die regelmäßigen Zählungen des Mastodon User Count. Offenbaren diese doch, dass es gar nicht die Musk-Übernahme selbst war, die den stärksten User-Push für Mastodon gebracht hat, sondern das nachfolgende Managementchaos. Seit der Ankündigung der Massenentlassungen bei Twitter vor wenigen Tagen sind die Zahlen bei der dezentralen Alternative geradezu explodiert.

In den vergangenen 24 Stunden (Stand: Dienstagvormittag) waren es bereits rund 130.000 User, die sich neu auf einer der zahlreichen Mastodon-Instanzen angemeldet haben. Da sich dieser Trend derzeit weiter beschleunigt, scheint also langsam ein Schneeballeffekt einzutreten.

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Ranking

Das schlägt sich auch an anderer Stelle nieder. So hat sich die offizielle Mastodon-App mittlerweile sowohl im App Store von Apple als auch bei Googles Play Store in die Top-Positionen unter Apps aus dem Bereich "Soziales Netzwerk" hochgearbeitet. Und das, obwohl es eine Reihe alternativer Apps gibt und sich der Service auch problemlos als Progressive Web App ohne fixe Installation auf einem Smartphone verwenden lässt.

Wie Techcrunch berichtet, scheint Mastodon dabei gerade im deutschsprachigen Raum besonders beliebt zu sein. Laut Zahlen von Sensor Tower stammen 37 Prozent aller bisherigen App-Installationen aus Deutschland, erst dahinter folgen die USA mit 19 Prozent. Das dürfte sich allerdings bald verschieben, ist dies doch nicht zuletzt auf eine historisch überdimensional starke Position zurückzuführen – auch der Hauptentwickler stammt aus Deutschland.

Trends

Ein weiterer Beleg dafür, dass Mastodon gerade auf viel neues Interesse stößt, zeigt sich ironischerweise bei der großen Konkurrenz. Bei Twitter trendet der Hashtag Mastodon mittlerweile regelmäßig.

Eine Entwicklung, die äußerst bemerkenswert, aber auch mit etwas Vorsicht zu genießen ist. Kurzfristige Abwanderungsbewegungen gab es über die Jahre bei vielen sozialen Netzwerken – oder auch Messengern – immer wieder. Üblicherweise kehren die meisten der verärgerten User aber nach einer kurzen Phase wieder zurück, da die Netzwerkeffekte zuschlagen. Allerdings gab es in der Vergangenheit kaum eine vergleichbare Situation, in der ein funktionierendes Netzwerk – und dessen finanzielle Basis – dermaßen rasant ins Wanken gebracht wurde.

Willkommen im Fediverse

Im Gegensatz zu Twitter verwendet Mastodon keinen zentralen Anbieter, es gibt mehrere Instanzen, die von unterschiedlichen Organisationen und Einzelpersonen betrieben werden. Wer will, kann gar einen eigenen Mastodon-Server aufsetzen und diesen dann zum Teil des Fediverse machen. All diese Instanzen können dabei problemlos miteinander interagieren. Nutzern auf anderen Servern zu folgen und mit diesen zu diskutieren ist also kein Problem, wodurch sich wieder ein gemeinsames Netzwerk ergibt.

Bei Mastodon geht es rund.
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Dieser – noch dazu explizit nicht kommerzielle – Ansatz hat einige Vorteile, ist für neue Nutzer aber zunächst einmal auch etwas gewöhnungsbedürftig. Immerhin müssen sie sich einmal eine passende Instanz suchen, bei der sie ihren Account erstellen. Das ist derzeit gar nicht so einfach, weil einige große Instanzen – wie etwa mastodon.social – mittlerweile keine neuen User mehr aufnehmen, da ihre Server sonst überfordert wären.

Neue Instanzen

Auf einzelnen Instanzen zeigten sich angesichts des aktuellen Ansturms auch wenig überraschend Performance-Probleme. Allerdings wächst derzeit auch die Zahl der Server stark an, seit dem 27. Oktober wurden laut Gründer Rochko 1.124 neue Server zum Netzwerk hinzugefügt. (Andreas Proschofsky, 8.11.2022)