Wenn man als Landbub bis in die 70er-Jahre hinein nur die "Waltons" gesehen hat, dann war der Kerl, der da eines Tages in seiner grünen Strumpfhose zum Bogenturnier auf dem Bildschirm auftauchte, eine komplett neue TV-Erfahrung. Der Schuss, mit dem er den vor ihm abgefeuerten Pfeil in der Zielscheibe spaltete, machte nicht nur auf Lady Marianne Eindruck, sondern auch auf mich. Allerdings vermochte ich das Kunststück des Robin Hood mit dem Haselnussstecken, den ich mit Spagat zum "Flitzebogen" spannte, nicht zu wiederholen. Was aber, wenn ich einen richtigen Bogen mit richtigen Pfeilen zur Verfügung gehabt hätte?

Bogenschießen erfreut sich wachsender Beliebtheit.
Foto: Heribert Corn

Mehr oder weniger "richtige" Bögen und Pfeile gibt es auf unserer Erde seit circa 14.000 Jahren, im Stellmoor bei Hamburg fand man 12.000 Jahre alte, vollständig erhaltene Pfeile. Lange war der Bogen eine Jagdwaffe, bevor er als Fernwaffe in Kriegen zum Einsatz kam. Pfeile, die mit dem englischen Langbogen (aus Eibenholz gefertigt) geschossen wurden, durchschlugen im Mittelalter Schädelknochen mit der Wucht heutiger Gewehrkugeln. Im Viktorianischen England erfreute sich Bogenschießen vor allem bei den Damen großer Beliebtheit, freilich vor allem deswegen, weil männliche Mediziner ihnen die Fähigkeit für andere Sportarten absprachen.

Olympische Disziplin

Bogenschießen ist nicht nur tatsächlich eine Sportart, sondern sogar eine olympische Disziplin, erklärt mir Niklas Dejaco vom Erlebnispark Kahlenberg, wo ich bei der Josefinenhütte mit der Bitte um ein paar Stunden Bogenschußunterricht vorstellig werde. Eine Sportart, die sich stets wachsender Beliebtheit erfreut, "weil sie leise ist und die Konzentration fördert, Arm- und Rückenmuskulatur stärkt und sich auch auf Herz und Kreislauf positiv auswirkt".

Auf die Idee zum Bogenschießen kamen man hier, weil sich gerne Firmen zum "Teambuilding" im Waldseilpark anmelden, wobei die eine Hälfte der Mitarbeiter in der Regel begeistert ruft: "Oh ja, Klettern!" Die andere verweigert aber entsetzt das Team-Building: "Oh nein, Höhenangst!" Für die Höhenängstigen und alle anderen errichtete man hier also vier Parcours über insgesamt sieben Kilometer Länge und 400 Höhenmeter mit 90 verschiedenen 3D-Zielen.

Der Parcours auf dem Kahlenberg wird gerne für Team-Building-Events gebucht.
Foto: Heribert Corn

Dejaco selbst kannte das Bogenschießen aus den Ferienclubs, wo ihn das Schießen auf Scheiben aber ebenso schnell langweilte wie die meisten anderen. Die Herausforderung für die Errichtung eines 3D-Parcours liege darin, realitätsnahe Ziele von unterschiedlicher Größe über verschiedene Distanzen so interessant ins Gelände zu fügen, dass man stets weiter zum nächsten Ziel wandern möchte. Mittlerweile gibt es in Österreich über 200 Bogenschießanlagen wie ihre, kaum eine Tourismusregion kommt mehr ohne aus.

Fit sollte man sein

Bei der Ausgabestelle wartet bereits eine Firmengruppe, zehn Männer und zwei Frauen, die das gleiche Prozedere durchlaufen wie ich. Unterschrieben wird eine Einverständniserklärung, die u. a. besagt, dass man nüchtern und körperlich fit ist, denn: "Der Kahlenberg wird oft belächelt, ist aber ein Berg mit einem Rauf und einem Runter." Ausgehändigt werden Fingerschutz aus Leder und Armschutz aus Kunststoff, der die Innenseite des Armes vor einem Schlag der Bogensehne schützen soll. An die englischen Maßeinheiten für die Ausrüstung muss man sich als Kontinentaleuropäer erst gewöhnen: Das Zuggewicht der Bögen wird in Pound angegeben, Bogengröße und Pfeillänge in Inch und das Gewicht der Pfeilspitzen in Grain.

An die englischen Maßeinheiten für die Ausrüstung muss man sich als Kontinentaleuropäer erst gewöhnen.
Foto: Heribert Corn

Dejacos fünfjähriger Sohn zieht problemlos einen 14-Pfund-Bogen, erzählt er mir, die "goldene Mitte" liege bei 16 bis 18 Pfund für die Damen und 22 bis 26 für die Herren. Wer seine Kraft auf einen 30-Pfund-Bogen übertragen möchte, der braucht nach einer Runde eine ordentliche Jause. Links- oder Rechtshänder? Über einen schnellen "Sehtest" ermittelt Dejaco mein "dominantes Auge" und findet heraus, dass ich mit rechts schießen muss.

Bis zur Wange aufziehen

Dann endlich stelle ich mich, den Bogen in der linken Hand nach unten gerichtet, im rechten Winkel zur Zielscheibe, die vielleicht zehn Meter von mir entfernt steht. Mit der rechten Hand nehme ich einen meiner fünf Pfeile und spanne ihn mit der Nocke unterhalb des Nockenpunktes in die Sehne, wobei ich die beiden gleichfarbigen der drei Federn zum Bogen hin ausrichten muss, weil ich sonst sowieso schon alles vergessen könnte.

Auf Zielscheiben schießen ist auf die Dauer etwas fad. Die 3D-Ziele im Wald bieten da schon mehr Abwechslung.
Foto: Heribert Corn

Langsam hebe ich den Arm und richte den Pfeil in Richtung Ziel aus, fasse dabei die Sehne mit den drei geschützten Fingern meiner rechten Hand unterhalb der Nocke und ziehe sie – wichtig! – bis zu meiner Wange, um die volle Spannweite des Bogens zu nützen, dabei hoffe ich, dass mein dominantes Auge dominant genug ist, um die exakte Mitte der Scheibe zu erkennen. Als das der Fall ist, lassen meine drei Finger die Sehne los – und der Pfeil bohrt sich zwei Meter neben die Scheibenmitte!

Ein Hirsch in 3D

"Nicht schlecht für den Anfang!", lobt mich der Instruktor trotzdem. Solcherart ermutigt, gehen wir nach weiteren vier Pfeilen zum Einschussplatz, wo Scheiben und 3D-Ziele in Entfernungen von 20 bis 30 Meter herumstehen, in einem mit Heuballen gesicherten Bereich, der alle Blindgänger abfängt. "Diese Distanzen sind für klassische Einsteigerbögen geeignet", sagt mir mein Lehrer, und immerhin treffe ich mit einem Pfeil eine der hinteren Tafeln, zwei Pfeile hingegen muss ich danach im Heu suchen. "Den einen reicht der Einschießplatz", höre ich, "andere kippen gleich rein und gehen auf einen der vier Parcours."

Den Kunststoffhirsch wurde "erlegt".
Foto: Heribert Corn

Zu denen gehöre ich: "Wo geht's lang?" Ich stelle mich an die erste Station des von einem externen Sicherheitsexperten geprüften Parcours, wo in zwanzig Meter Entfernung in einer Senke ein lebensechter 3D-"Hirsch" auf mich wartet. Ich schieße vier Mal darüber, bis Dejaco mir sagt: "Die Hand ein bisserl weiter runter." Ich ziele also noch einmal, die Hand ein bisserl weiter runtergeneigt, auf die Flanke des "Hirsches", ziehe die Sehne bis zu meiner Wange, atme aus, lasse die Sehne los und sehe den Pfeil oberhalb des linken hinteren Paarhufes zittern. Das ist nicht ganz die angepeilte Flanke, und trotzdem fühle ich mich wie Robin Hood, der vor Lady Marianne den Pfeil in der Zielscheibe spaltet. Dem "Hirsch" aber bin ich vollkommen wurscht. (Manfred Rebhandl, 9.11.2022)