Nähert man sich den Instrumenten, beginnen sie wie von Geisterhand alte Roma-Lieder zu spielen.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

Am besten, man verläuft sich bei einem Besuch im Mumok in diesen kleinen, doch versteckten Raum im dritten Untergeschoß. Möge man wegen der großen Herbstschau Das Tier in Dir gekommen sein, so bleibt man wegen der ebenfalls gezeigten Installation der slowakischen Künstlerin Emília Rigová noch etwas länger. Immer wieder überrascht es, wie vielseitig dieser White Cube eingesetzt und somit verwandelt werden kann.

In diesem Fall findet man sich in einem Meer aus Zimmerpflanzen wieder, die sich zu wuchernden Inseln formieren und sogar von der Decke hängend fortsetzen. Inmitten dieser Gewächse stehen drei aufgeklappte Pianos, ihre hölzernen Körper fügen sich ausgezeichnet in diese natürliche Umgebung ein. Nähert man sich den vorerst stillen Instrumenten, beginnen sie wie von Geisterhand durch Bewegungsmelder aktivierte Melodien zu spielen.

Spiel mir die Lieder von damals

Statt einer Musikerin hat Rigová Holzkonstruktionen angebracht, die ähnlich einer Spieluhr Melodiefragmente auf den Klaviertasten wiedergeben. Jene stammen aus drei alten Roma-Liedern, die meist von verschiedenen ethnischen Untergruppen in unterschiedlichen Dialekten gesungen wurden. Inhaltlich berichten sie von Ereignissen wie beispielsweise dem Porajmos, dem Völkermord an den Roma und Sinti im Nationalsozialismus.

Die Künstlerin – die sich 2012 den Namen "Bári Raklóri" als Alter Ego gab, um ihre Roma-Identität auszudrücken – trägt Noten aus ethnomusikologischen Archiven zusammen. Durch die Recherchen konnte sie ihre eigene Sammlung anlegen.

Statt einer Musikerin hat Rigová Holzkonstruktionen angebracht, die ähnlich einer Spieluhr Melodiefragmente auf den Klaviertasten wiedergeben.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

Die im Mumok gezeigte Ausstellung Nane Oda Lavutaris / Who Will Play for Me? verweist also auf die Bedeutung des musikalischen Erbes der Roma als Ausdrucksform ihrer gesellschaftlichen Identität. Mit im Rahmen einer Performance gestalteten Steintafeln möchte die 1980 geborene Künstlerin gängige Stereotypen hinterfragen. Eingemeißelt hat sie darauf Texte des walachischen Volkslieds Či čorav či drábara ("Ich stehle nicht, und ich betreibe keine Wahrsagerei"). Als temporäre Monumente hat sie Rigová gegen das Vergessen aufgestellt. Da Roma über keine schriftliche Aufzeichnung ihrer eigenen Geschichte verfügen, sollen sich ihre Lieder als Erinnerung manifestieren.

Gegen das Vergessen

Bei dieser Bewahrung von historischem und kulturellem Material spielen auch die Pflanzen eine wichtige Rolle. Sie zählen allesamt zur Familie der Epiphyten, die als sogenannte Aufsitzerpflanzen kaum Wurzeln ausbilden, wodurch ihnen ein Wirt wie ein Baum nur als Verankerung dient. Aus den Herkunftsländern der Roma stammend, erzählen sie deren Migrationsrouten nach und greifen Klischees des Exotischen und Wilden auf, mit denen Roma oft zu kämpfen haben.

Am besten, man wandert also umher in dieser spannenden Installation und lauscht ihren einsamen Melodien – zart und bedeutungsschwer zugleich. (Katharina Rustler, 8.11.2022)