Das Gemälde aus dem 17. Jahrhundert war einst in der Sammlung Todesco in Wien: Aert van der Neers "Flusslandschaft mit Brücke bei Mondschein".

Foto: im Kinsky

Am Dienstag gelangte im Auktionshaus "im Kinsky" ein Gemälde zur Versteigerung, dessen Herkunftsgeschichte in den letzten Tagen Gegenstand anwaltlicher Korrespondenz war: die monogrammierte "Flusslandschaft mit Brücke bei Mondschein" Aert van der Neers (1603/04–1677), eines niederländischen Landschaftsmalers des Barocks.

Zuletzt war das Bild im Besitz der vergangenes Jahr verstorbenen Unternehmerin Erna Weidinger, die es Anfang der 1990e-Jahre bei Christie's in Amsterdam für rund 16.000 Euro (exklusive Aufgeld) erworben hatte.

Den aktuellen Angaben im Kinsky-Katalog zufolge war das Bild ab 1872 in der "Sammlung Todesco, Wien" und nachfolgend in jener eines gewissen "W. A. Leembruggen, Den Haag" beheimatet. Der nächste Besitzerwechsel ist für 1944/45 vermerkt, genauer über einen Kunsthändler namens Vitale Bloch.

"Sonderauftrag Linz"

Provenienzforschern ist dieser Händler ein Begriff, da er in der NS-Zeit etwa für den Nationalsozialisten und SS-Führer Kajetan Mühlmann als Einkaufsagent tätig war und auch für den "Sonderauftrag Linz" als Berater fungierte.

Blochs jüdische Herkunft war dabei kein Hindernis: Laut Angaben des Germanischen Nationalmuseums war er "zum Arier ehrenhalber" ernannt worden und laut dem kunsthistorischen Dokumentationszentrum der Niederlande (RKD) von 1943 bis 1945 in Den Haag tätig. Wie er in den Besitz des Bildes kam? Unklar.

Da sich "kein Verdacht auf eine rechtswidrige Vermögensentziehung ergeben hat, haben wir auch nicht weiter nachgeforscht", argumentierte das Auktionshaus vergangene Woche, wie aus einem dem STANDARD vorliegenden Schriftverkehr hervorgeht.

Über den Erbweg nach Den Haag

Den Anlass gaben Nachfragen von Alexander Demblin, der im Zusammenhang mit einem Buchprojekt seit einiger Zeit zur Familie Oppenheimer und auch Todesco forscht. Er wies das Auktionshaus darauf hin, dass der 1925 verstorbene Gutsbesitzer und Fabrikant Wilhelm Adrien Leembruggen Schwiegersohn der Anna von Lieben, geborene Freiin von Todesco, gewesen sei. Dessen Ehefrau Ilse war folglich Enkelin des jüdischen Unternehmers und Bankiers Eduard Freiherr von Todesco und seiner Ehefrau Sophie.

Das Gemälde von van der Neer muss Ilse wohl über den Erbweg bekommen haben, entweder über ihre Mutter oder ihre Großmutter, erklärt Demblin. Im Verlassenschaftsakt von Sophie Todesco scheint eine auf 200 Gulden geschätzte "holländische Landschaft bei Mondbeleuchtung" mit Goldrahmen auf, ergänzt Genealoge Georg Gaugusch.

Von den Nazis verfolgt

Laut Alexander Demblin wurde Ilse Leembruggen von den Nazis verfolgt. Während der deutschen Besatzung sei sie "zweimal verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork gebracht worden, von wo alle Transporte holländischer Juden nach Auschwitz gingen". Beide Male sei sie wieder entlassen worden und entging somit dem Schicksal der Deportation. Die Gründe für Ilse Leembruggens Freilassung seien bislang nicht bekannt, jedoch Gegenstand aktueller Recherchen Demblins.

Er regte an, das Gemälde vorerst von der Auktion zurückzuziehen und sich den Eigentümerwechsel in der NS-Zeit genauer anzusehen, um einen etwaigen Verdacht auf NS-Raubkunst auszuschließen. Ein Vorschlag, den "im Kinsky" im Einvernehmen mit dem Einbringer der Sammlung Weidinger ablehnte: Denn das Bild sei in keiner der einschlägigen Datenbanken je als Verlust gemeldet worden. Dazu würde in der Fachliteratur keine Ilse Leembruggen genannt, lediglich ihr Ehemann.

Bild blieb unverkauft

Ende vergangener Woche meldete sich der Anwalt der Urenkelin Leembruggens zu Wort: "Unserer Auffassung nach kann das Werk nicht versteigert werden, bevor die Besitzverhältnisse im Einzelnen geklärt sind."

Mangels konkreter Hinweise, die eine Eigentümerschaft Ilse Leembruggens im Zeitraum zwischen 1938 und 1945 belegen würden oder eine rechtswidrige Entziehung vermuten ließen, blieb das Auktionshaus namens des Erben Erna Weidingers bei seiner Entscheidung.

Dazu trug offenbar auch eine kurzfristig von Art Loss zur Verfügung gestellte Information bei: Demnach sei das fragliche Gemälde im Oktober 1943 bei einer Auktion in Amsterdam angeboten worden. Wer der damalige Verkäufer war, ist unbekannt, und auch, ob es überhaupt den Besitzer wechselte und wer allenfalls der Käufer war.

In Wien buhlte die Flusslandschaft Aert van der Neers am Dienstagnachmittag vorerst vergeblich um die Gunst eines Interessenten. Ob es an den Preisvorstellungen des Einbringers scheiterte, dessen Limit bei zumindest 30.000 Euro gelegen sein dürfte, oder doch an der ungeklärten Provenienz, bleibt vorerst ungewiss. (Olga Kronsteiner, 8.11.2022)