Nach dem Willen des Kartellgerichts bleibt Strabag Kronzeuge. Ob der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht das auch so sieht, bleibt abzuwarten.

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Wien – Rückschlag für Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) und Bundeskartellanwalt in der Causa Baukartell. Dies nicht im weitverzweigten Baukartell im Allgemeinen, sondern im Verfahren um den Kronzeugenstatus für den Baukonzern Strabag. Selbiges haben BWB und Bundeskartellanwalt beim Kartellgericht angestrengt, nachdem Im Lauf des Verfahrens Zweifel aufgekommen, ob Strabag tatsächlich alles offengelegt habe, was sie wusste – DER STANDARD berichtete am 18. Juni 2022.

Das bewog BWB und Kartellanwalt zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie stellten beim Kartellgericht den Antrag, dieses möge seinen rechtskräftigen Beschluss von Oktober 2021. in dem Strabag Kronzeugenstatus zuerkannt wurde, überprüfen und allenfalls abändern. Anlass des Verfahrens: Strabag-Manager hätten im Herbst 2019 einem Möbelkonzern 840.000 Euro rückerstattet, die zu viel bezahlt worden seien. Tatsächlich sei der durch Preisabsprachen entstandene Schaden laut der ermittelnden Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft höher gewesen.

Verfahren abgeschlossen

Mit ihrem Antrag beim Kartellgericht ist die BWB laut STANDARD-Informationen abgeblitzt. Das Kartellgericht werde das abgeschlossene Verfahren nicht neu aufrollen und somit der Strabag SE den Kronzeugenstatus nicht aberkennen, sagen Insider. Den Wettbewerbshütern bleibt somit nur Rekurs in der nächsten Instanz, also dem Kartellobergericht, das beim Obersten Gerichtshof angesiedelt ist.

Dass die BWB diesen Schritt in die Berufung ergreifen wird, davon gehen Kenner der Materie aus. Man prüfe das Urteil und einen möglichen Schritt zum OGH, hieß es am Dienstagnachmittag seitens der BWB. Selbiges gelte auch für den Bundeskartellanwalt.

Nicht jeder einzelne Fall

Für Kartell- und Wettbewerbsrechtsexperten kommt ein abschlägiger Spruch nicht überraschend. Das Verfahren sei längst abgeschlossen gewesen, als Zweifel auftauchten. und die Geldbuße geleistet. Eine Rückerstattung rechtlich nicht vorgesehen. Die Causa Baukartell sei komplex, bestehe aus hunderten kleineren und größeren Bauaufträgen – insgesamt 350 Vergabeverfahren, in denen mehr als zehn Jahre lang rund 135 Unternehmen Preise abgesprochen haben –, und es liege daher auf der Hand, dass in einem Großkonzern nicht jeder einzelne Fall zeitgerecht aufgespürt werde. "Bei der Kronzeugenregelung muss es schnell gehen, und es wird sozusagen auf die grobe Waage gelegt. Da kann man nicht im Nachhinein mit der Feinwaage kommen", skizziert ein Kartellrechtsspezialist, der anonym bleiben wollte, die Vorgänge.

Der Schaden durch das gesamte Baukartell wird auf jenseits der hundert Millionen Euro taxiert.

BWB-Führung

Für Spannung in der BWB sorgt im Hintergrund ein weiterer Fall, diesfalls die hochpolitische Causa prima in eigener Sache: die Bestellung der seit dem Abgang von Generaldirektor Theodor Thanner vor einem Jahr interimistisch besetzten Generaldirektion der BWB. Das Besetzungsverfahren ist einigermaßen verfahren, denn die Entscheidung der eigens eingesetzten Personalkommission unter Jörg Zehetner wurde von den Grünen abgelehnt. Damit war der für die Bestellung notwendige Beschluss des Ministerrats nicht möglich, und der Bestgereihte, der Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts Michael Sachs, hängt ebenso in der Warteschleife wie BWB-Interimschefin Natalie Harsdorf-Borsch. Sachs hatte 14 von 15 Punkten bekommen, Harsdorf-Borsch 13.

Und das dürfte bis auf weiteres so bleiben, denn die Grünen signalisierten am Dienstag einmal mehr, dass sie an ihrem Standpunkt festhalten. Sachs sei mangels Praxiserfahrung im Kartellrecht nicht die beste Wahl für die so wichtige Funktion des BWB-Chefs. Daran ändere auch das vom zuständigen Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) vorgelegte Gutachten des auf Kartell- und Regulierungsrecht spezialisierten Thorsten Körber von der Universität Köln nichts. Demnach sei Sachs doch geeignet und das Auswahlverfahren korrekt abgewickelt worden. Man werde das Gutachten prüfen, hieß es seitens der Grünen. Die BWB sei kompetent besetzt, es gebe keine Eile. (Luise Ungerboeck, 8.11.2022)