New York – Es hat wieder einmal ordentlich gescheppert im Kryptouniversum. Die drittgrößte Kryptobörse der Welt, FTX, schlitterte während der vergangenen Tage in immer größere Zahlungsprobleme. Bis diese schließlich existenzbedrohend wurden. Kundinnen und Kunden wollten innerhalb von 72 Stunden rund sechs Milliarden Dollar abheben, berichten US-Medien. Das zwang Milliardär und Firmenchef Sam Bankman-Fried dazu, die Reißleine zu ziehen. Nun verkauft er an den Branchenprimus Binance. Er habe das getan, um einen Bankenrun zu vermeiden und eine damit verbundene Liquiditätskrise zu stoppen, teilte Bankman-Fried mit. Alle Kunden seien geschützt und würden voll ausbezahlt.

Über einen möglichen Kaufpreis wird geschwiegen. Noch vor wenigen Monaten wurde FTX mit 32 Milliarden Dollar bewertet, von diesem Wert dürfte aber nicht mehr allzu viel übrig sein. Nicht inkludiert in der Übernahme ist allerdings das US-Geschäft von FTX, dieses firmiert als eigenes Unternehmen. Wegen der hohen regulatorischen Vorschriften sei das US-Geschäft aber der am wenigsten profitable Bereich des Unternehmens, heißt es beim US-Börsensender CNBC.

Mentor und Konkurrent

Wie geht es nun weiter? Die Situation sei dynamisch, und es laufe gerade die Due-Diligence-Prüfung. Binance habe jederzeit das Recht, den Deal abzublasen, schrieb Binance-CEO Changpeng Zhao. Detail am Rande: Changpeng Zhao, in der Branche nennt man in CZ, war einst der Mentor vom heute 30-jährigen Bankman-Fried und sein erster Investor. In jüngerer Vergangenheit wurden die beiden jedoch zu Kontrahenten. Aber auch bei Binance läuft nicht alles rund. Immer wieder hatte das Unternehmen, das seine Ursprünge in China hat, Probleme mit Behörden. Sowohl in Asien als auch den USA und Europa. Binance hat mit BNB einen eigenen Token auf den Markt gebracht, dessen Marktkapitalisierung steht bei rund 50 Milliarden Dollar – was ihn zur viertgrößten Kryptowährung macht.

Mit dieser Übernahme kam erstmals seit Sommer wieder Schwung in den Markt, die unaufgeregte Seitwärtsbewegung der Kurse wurde damit beendet. Und zwar ging es ordentlich nach unten. Das Krypto-Aushängeschild Bitcoin rutschte am Mittwochnachmittag vorübergehend auf 17.509 Dollar, die Nummer zwei Ethereum auf 1200 Dollar.

Hätte mehr sein können

Die Turbulenzen machten Anleger nervös, sagte Analyst Timo Emden von Emden Research. Nichtsdestotrotz hat die Übernahme einen noch größeren Kurssturz abgewendet. Im Vorfeld meinten Branchenkenner, bei einem Kollaps von FTX könne der Bitcoin erstmals wieder unter die 10.000-Dollar-Marke sinken. Kurzzeitig erholte sich der Kurs am Mittwochvormittag sogar, verlor die Gewinne aber wenige Stunden später wieder. Auch wenn nur ein indirekter Zusammenhang mit Bitcoin besteht, da vor allem FTX fast ausschließlich Altcoins, also eine andere Kryptowährung als Bitcoin, im Portfolio hat.

Der Beinahe-Zusammenbruch von FTX passt zu einer Reihe anderer Rückschläge, die die Kryptobranche in den vergangenen Monaten hinnehmen musste. Nach dem Crash von Terra USD und deren Schwesterwährung Luna im Frühjahr hat es den Fonds Three Arows Capital (3AC) zerrissen, doch das sollte erst der Anfang sein. Es folgten Unternehmen wie Celsius Network, Nuri und Blockfi. Es herrscht Kryptowinter, und viele Stimmen in der Szene sind sich einig, dass es an der frischen Luft eher Frühling wird als rund um die Blockchain. Das Kurshoch vom November des Vorjahres scheint in unerreichbare Ferne gerückt. Damals stand der Bitcoin bei 69.000 Dollar, und im Markt befanden sich kumuliert um die drei Billionen Dollar.

Binance ist Marktführer bei Kryptobörsen, und der hauseigene Coin BNB hat eine Marktkapitalisierung von rund 50 Milliarden Dollar.
Foto: Reuters / Dado Ruvic

Halbwegs stabile Billion

Mittlerweile hat sich die Marktkapitalisierung bei etwa einer Billion eingependelt, vereinzelt gibt es Ausreißer nach oben oder unten. Zum Beispiel wenn eine Börse crasht. Oder eine übernommen wird.

Dass Kryptowährungen volatil sind, haben mittlerweile alle verstanden. Erwähnt werden muss dennoch, dass der Bitcoin als älteste Cyberdevise eine verhältnismäßig stabile Sonderstellung einnimmt. Dass sich Digitalwährungen unabhängig von anderen Anlageformen bewegen, stimmt aber schon lange nicht mehr. Vor allem zu Aktienmärkten besteht eine Korrelation. Kurse korrelieren, wenn sie sich tendenziell in eine Richtung bewegen.

Inflation und Zinsen

Zinswende und steigende Inflation haben auch dafür gesorgt, dass besonders die Tech-Aktien nach einem Kursfeuerwerk 2021 stark eingebrochen sind. Ebenso der Kryptomarkt. "Vor allem im letzten Bullenmarkt war die Korrelation vom Bitcoin zum Aktienmarkt sehr stark", sagt Bitcoin-Experte Niko Jilch. "Mittlerweile scheint sie aber nachzulassen. In den vergangenen Wochen sind Aktienmärkte immer wieder einmal gestiegen und der Bitcoin gesunken. Und umgekehrt."

Changpeng Zhao baut sein Krypto-Imperium rund um Binance weiter aus, indem er FTX übernimmt. Das Konkurrenzunternehmen stand kurz vor dem Kollaps.
Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Stabiler als Währung

In der Tat verhielt sich der S&P- 500-Index in den vergangenen Wochen manchmal volatiler als der Bitcoin. Und während des Finanzfiaskos rund um Liz Truss in Großbritannien war der Bitcoin stabiler als so manche staatliche Währungen. "Von einer generellen Abkoppelung kann aber nicht die Rede sein, noch sind das Momentaufnahmen", meint Jilch. Die Schwankungsbreite ist immer noch größer als bei anderen Anlageklassen, hat im Vergleich zur Vergangenheit aber schon deutlich abgenommen.

Dass es schnell gehen kann, bestätigt einmal mehr die Chose rund um FTX und Binance. Am Montag beschwichtigte Bankman-Fried noch die Kundschaft, alles sei gut. 36 Stunden später gehört sein Unternehmen der Konkurrenz. (Andreas Danzer, 9.11.2022)