Raumfahrttechnik geht auch in Rot-Weiß-Rot – das haben die vergangenen Jahre bewiesen. In Österreich hat sich ein junger Industriesektor herausgebildet, in dem sich Forschungseinrichtungen, klassische Raumfahrtkonzerne und -zulieferer sowie eine Reihe von Start-ups zu neuen Allianzen zusammenfinden, um Technologien für den Orbit und darüber hinaus zu entwickeln. Neben einem heimischen Schwerpunkt in der Auswertung von Satellitendaten wird auch immer mehr Hardware gefertigt: Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die Bauteile entwickeln, die tatsächlich ins All fliegen – als Teil von Raketen, Satelliten, kleinen Cubesats oder Instrumenten von Wissenschaftsmissionen. New Space – also der Trend zur Kommerzialisierung der Raumfahrt – ist nun auch in der Alpenrepublik angekommen.
Einer der Knotenpunkte im heimischen Space-Netzwerk liegt in Wiener Neustadt in Niederösterreich. Hier blickt man einerseits auf eine lange Tradition im Bereich der Luftfahrt zurück. Man kann auf die ersten heimischen Flugversuche, die hier gemacht wurden, das erste offizielle österreichische Flugfeld und die erste heimische Produktion in der 1915 gegründeten Oesterreichischen Flugzeugfabrik verweisen. Andererseits gab es in der Gegend südlich von Wien auch bereits seit Jahrzehnten wissenschaftliche Expertise im Raumfahrtbereich – in Form der Forschungsgruppe Space Propulsion & Advanced Concepts (SPA) des damaligen Forschungszentrums Seibersdorf.
Praxisbezogene Ausbildung
Nach einer in den 2000er-Jahren erfolgten Umstrukturierung wurde das Forschungszentrum zum AIT Austrian Institute of Technology. Die Raumfahrtforschungsgruppe fand an der FH Wiener Neustadt eine neue Heimat – einerseits in der Forschungstochter Fotec, wo weiterhin an diesen Technologien geforscht wird, andererseits an der FH selbst, wo der Studiengang Aerospace Engineering gegründet wurde.
Dieser Studiengang, der bis heute die einzige praxisbezogene Ausbildungsstätte für Luft- und Raumfahrttechnik in Österreich ist, bestückt mit seinen Absolventinnen und Absolventen die einschlägigen Forschungslabore in Österreich und international. Diesen Herbst feiert der Studiengang, der einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Raumfahrttechnikszene in Österreich hat, sein zehnjähriges Jubiläum.
Auch Carsten Scharlemann hat einst am Forschungszentrum Seibersdorf im Bereich der Weltraumtechnik geforscht, bevor er an die FH Wiener Neustadt wechselte und dort mit einem Team den hochspezialisierten Studiengang aufbaute. "Wir mussten damals immer wieder feststellen, dass die Branche ihren Bedarf an jungen technischen Talenten in diesem Bereich in Österreich nicht decken konnte. Die Unternehmen berichteten, dass sie oft Personal im Ausland – etwa in Frankreich – rekrutieren mussten", erklärt Scharlemann.
"SpaceX wurde eher belächelt"
Auf der anderen Seite sei damals von New Space hierzulande aber noch kaum gesprochen worden. "Die enorme Entwicklung der Gegenwart war damals noch nicht absehbar – zumindest nicht in Österreich. Die Raumfahrtambitionen von Pionieren wie dem US-Unternehmen SpaceX mit seinen wiederverwertbaren Raketen wurden eher belächelt", blickt Scharlemann zurück.
"In den Bereich zu investieren galt als hochriskant. Manche Hochschulen standen den Plänen für einen eigenen Studiengang für Luft- und Raumfahrt auch durchaus skeptisch gegenüber." Von den Unternehmen der Branche kam damals naturgemäß positives Feedback. Etablierte Player wie Diamond Aircraft, Siemens, FACC oder die damalige Ruag Space Austria, die sich vor kurzem den Namen Beyond Gravity gegeben hat, sollten bald Gesellschaft in Form von verschiedensten Start-ups bekommen.
Antriebsentwicklung und Erdung
Die Lehre im Aerospace-Studiengang an der FH Wiener Neustadt war von Anfang an mit der Antriebsentwicklung an der Fotec verzahnt. Bereits am Forschungszentrum Seibersdorf wurden Ionenquellen auf Flüssigmetallbasis für den Einsatz im Weltraum entwickelt. "Austronaut" Franz Viehböck testete in den 90er-Jahren etwa ein von hier stammendes Massenspektrometer auf der russischen Raumstation Mir, bei dem mittels hochbeschleunigter geladener Teilchen Atome aus Probenmaterialien "herausgeschossen" wurden, um sie zu analysieren.
Eine andere Anwendung lag in der "Erdung" von Satelliten: Auch Raumfahrzeuge laden sich mit der Zeit elektrisch auf, dank einer Ionenquelle kann ein Potenzialausgleich erzielt werden. Diese Technologie wurde an der Forschungstochter der FH Wiener Neustadt schließlich in Richtung eines Antriebs für Kleinsatelliten weiterentwickelt. Die Ionenquelle verwendet hier Indium als Treibstoff. Die ionisierten Atome werden durch nadelartige Formen beschleunigt, um Schub zu erzeugen. Die Studierenden konnten – und können bis heute – in Form von Praktika oder im Zuge wissenschaftlicher Arbeiten Anteil an der Entwicklungsarbeit haben.
Satelliten auf Kurs halten
Für die Kommerzialisierung des sogenannten Feep-Antriebs wurde 2016 schließlich mit Unterstützung des Technologie-Inkubators Accent des Landes Niederösterreich das Spin-off Enpulsion gegründet. Das Start-up, das bei der Seed-Finanzierung auf Mittel des Klimaschutz- und Wissenschaftsministeriums zurückgreifen konnte, hat eine steile Karriere hingelegt: Die Belegschaft ist von anfangs drei Personen auf über 70 gewachsen – viele haben den Studiengang der FH absolviert. Dutzende Satelliten im All werden bereits von der Antriebstechnik aus Wiener Neustadt auf Kurs gehalten. An der Fotec wird hingegen die Technologie weiterentwickelt, um sie auch bei den fordernden Wissenschaftsmissionen der Raumfahrtagentur Esa einsetzen zu können.
Gleichzeitig bringen die Aerospace-Studierenden aber auch eigene Projekte hervor. Seit 2017 befindet sich bereits der Kleinsatellit Pegasus in einem niedrigen Orbit. Sein Nachfolger Climb entsteht gerade – unter anderem braucht es noch Geldgeber für den Transport ins All. Der neue Satellit soll nach Erreichen einer niedrigen Umlaufbahn mittels Feep-Antriebs sukzessive in einen immer höheren Orbit wechseln – bis in den sogenannten Van-Allen-Gürtel, in dem die Strahlung besonders hoch ist.
"Wir wollen testen, wie gut Computertechnologie und andere marktübliche Komponenten mit diesen schwierigen Bedingungen zurechtkommen", erklärt Scharlemann. "Die Erkenntnisse teilen wir mit der Cube-Sat-Community, die bestrebt ist, ihre Forschungstätigkeiten in höhere Orbits auszuweiten."
Wachsende Community
Inzwischen bekommt auch die heimische New-Space-Community laufend Zuwachs. In Niederösterreich gehört etwa das auf Raumfahrt spezialisierte Entwicklungsunternehmen Aerospace and Advanced Composites (AAC) dazu, das bereits 2010 gegründet wurde. Vergleichsweise jung ist das vom Materialentwickler RHP Technology gegründete Start-up At Space, das neuartige Strukturelemente für Satelliten produziert und ebenfalls Teil des Inkubators Accent ist. Direkt assoziiert mit der FH Wiener Neustadt ist etwa das Start-up R-Space, das sich orbitalen Funktionstests mithilfe von Cubesats widmet. Scharlemann hat die Firma gemeinsam mit Kollegen der FH Wiener Neustadt gegründet.
Die Branche kritisiert derzeit, dass die Esa-Beiträge Österreichs, die zu hohen Anteilen an heimische Unternehmen in Form von Aufträgen zurückfließen, heuer offenbar nicht in ausreichendem Maß erhöht werden. Dabei verfügt das Land nun auch über ein Esa Business Incubation Center (ESA BIC), das Luft- und Raumfahrt-Start-ups auf die Sprünge hilft. Dem wachsenden Sektor in Niederösterreich trägt auch die Standortagentur Ecoplus Rechnung, die eine eigene Plattform für Luft- und Raumfahrt umsetzt und sich etwa um Vernetzung und Technologietransfer kümmert. Wie groß der Boom ist, zeigt die Anzahl der allein dort verzeichneten 67 Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich mit dem Thema Raumfahrt beschäftigen. (Alois Pumhösel, 12.11.2022)