Der gemeine Katarer ist Fußballfan – das allein war nicht der Grund für die heftig kritisierte Vergabe der WM an das Emirat.

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Da zieht es sogar den Bayern die Lederhosen aus. Am Tag der Erstausstrahlung einer ZDF-Dokumentation, in der der katarische WM-Botschafter Khalid Salman in einem Interview Homosexualität als "geistigen Schaden" bezeichnet, nannte Hasan Salihamidzic, der Sportvorstand des deutschen Rekordmeisters Bayern München, die Äußerung "inakzeptabel". Ob das Auswirkungen auf den Vertrag der Münchner mit der staatlichen Fluggesellschaft Qatar Airways haben werde, konnte "Brazzo" nicht sagen. Relativieren konnte er allerdings schon: "Da muss man drüber reden, klar, aber das ist jetzt erst mal eine einzelne Person."

Fifa gefordert

"Die Entgleisung des WM-Botschafters ist völlig indiskutabel und macht uns fassungslos", sagte dagegen Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußballbundes (DFB), der Bild. Gefordert sei nun der Weltverband Fifa, der ernsthaft prüfen solle, "ob sich hiermit nicht die Ethikkommission befassen muss". Anderenfalls, so war da und dort in etwas rustikalerem Ton zu vernehmen, könne sich Fifa-Präsident Gianni Infantino gegenwärtige und zukünftige Kampagnen gegen Diskriminierung in den Allerwertesten schieben.

Am A vorbei

Freilich scheint der Schweizer diesbezüglich schmerzbefreit. Sein Landsmann und nicht minder problematischer Vorgänger Joseph Blatter, der in einem Interview mit dem deutschen Sport-Informations-Dienst (Sid) zum wiederholten Mal die Vergabe der WM an Katar einen Fehler nannte, zeichnete in ebenjenem Gespräch ein Bild von Infantinos Agieren. Es sei ein Problem, dass der Fifa-Präsident schon seit einiger Zeit in Katar weile. "Er ist nicht der WM-Chef, sondern er muss eine Kontrollfunktion ausüben." Infantino forderte dagegen in einem Brief an die 31 Verbände, deren Teams neben Katar an der WM teilnehmen, Konzentration auf den Fußball. Seine aus dem Senegal stammende Generalsekretärin Fatma Samoura freut sich auf einen Monat "voller Jubel und Feiern".

Offizielle Fifa-Statements beschränkten sich zuletzt auf den Spielball der WM namens "Al Rihla" ("Reise" stehe für "Hochgeschwindigkeitsfußball, da er sich in der Luft schneller bewegt als jeder andere Ball in der Geschichte des Turniers") und auf das Maskottchen "La’eeb", was so viel wie "supertalentierter Spieler" bedeutet. Er ermutige nach dem Motto "Jetzt oder nie" jeden Menschen, an sich zu glauben, und soll "allen die Freude am Fußball näherbringen".

Die Weltmeisterschaft in Katar wird von heftiger Kritik an den Arbeitsbedingungen tausender Gastarbeiter begleitet. DER STANDARD hat einen ehemaligen Arbeiter in Wien getroffen
DER STANDARD

Kritik vor Ort

Geht es nach Englands Teamchef Gareth Southgate, ist der Aufenthalt in Katar eine gute Gelegenheit, Themen abseits des Platzes aufzugreifen. "Wir müssen uns dessen bewusst sein und uns dazu äußern, wenn wir etwas bewirken können, denn dafür sind wir verantwortlich", sagte der Ex-Internationale in einem Interview mit dem Sender CNN. Hinsichtlich möglicher Verbesserungen der Menschrechtslage und der Bedingungen für Gastarbeiter im Emirat infolge des Turniers ist der 52-Jährige skeptisch. "Leider befinden wir uns in einer Zeit, in der wir gegen eine Reihe von Ländern spielen könnten, die Fragen der Menschenrechte aufwerfen", sagte Southgate, der betonte, er habe bei Reisen nach Katar bereits mit "vielen Arbeitern" gesprochen: "Sie wollen, dass das Turnier stattfindet, und sie wollen es, weil sie den Fußball lieben."

Jürgen Klopp, der Startrainer des FC Liverpool, findet es wiederum nicht fair, Spieler in die Pflicht zu nehmen. "Ich mag es nicht, dass wir jetzt erwarten, dass sie etwas tun. Sie gehen dorthin, um Fußball zu spielen." Überhaupt seien vor allem jene zu kritisieren, die die WM an Katar vergeben haben.

One Love

Gleichwohl wollen einige Teamkapitäne, allen voran Manuel Neuer von Deutschland und Harry Kane von England, mit dem Tragen einer "One Love"-Schleife während der Weltmeisterschaft ein Zeichen für Vielfalt und Freiheit setzen. Er erachte es für besonders wichtig, in Katar als meinungsstarker Spieler aufzutreten, sagte Neuer, der wohl auch ein Umdenken seiner Bayern bezüglich des Deals mit Qatar Airways begrüßen müsste. (Sigi Lützow, 9.11.2022)