Während E-Kick-Scooter sehr bekannt und vor allem in Städten mitunter recht verhasst sind, kennt die Tretroller fast niemand. Die Rede ist nicht von den modernen Scootern mit den kleinen Rädern, die man schnell zusammenfalten und dann auch im Bus oder der Bahn mitnehmen kann. Gemeint sind Großradtretroller – echte Fahrzeuge, ähnlich einem Fahrrad, keine Spaßgeräte. Und genau da hakt Guido Pfeiffermann ein: "Wir bestehen darauf, dass es Tretroller heißt. Wir grenzen uns da stark ab. Tretroller gelten laut Straßenverkehrsordnung als Fahrrad, Scooter als Kinderspielzeug."

Guido Pfeiffermann, links, bei einem Tretrollerrennen im Herbst am Salzburgring. Er fährt mit dem Tretroller bei jedem Wetter in Wien. Nächstes Jahr will er in unter 31 Stunden von Wien nach Berlin treten.
Foto: Gerhard und Daniela Zitzmann

Guido Pfeiffermann ist Lehrer in Wien, Präsident des TTVÖ, des Tretroller und Tretschlitten Verband Österreich, der 2016 gegründet wurde. 2010 entdeckte der Wiener den exzentrischen Sport für sich. Davor lebte er nicht allzu gesund, fing überhaupt erst im Alter von knapp 40 Jahren nach einer schweren Krankheit damit an. "Ich war kein großartiger Radfahrer, sondern eher ein Läufer, hab dann aber immer schlimmere Knieprobleme bekommen." Es war eher Zufall, dass er sich vor inzwischen zwölf Jahren auf den Scooter seiner Tochter stellte und damit ein Stück fuhr.

Gefunden, gekauft

"Ich merkte, die Bewegung macht Spaß und tut nicht weh. Dann hab ich mich erinnert, dass ich in den 1990er-Jahren ein Foto von einem Großradtretroller gesehen habe. Ich habe mich im Internet schlaugemacht, tatsächlich einen tschechischen Hersteller gefunden und das Gefährt ohne Probefahrt gekauft." Noch im selben Jahr fuhr Guido Pfeiffermann damit beim Marathon in Köln mit.

Das Standbein und jenes das tritt, wechselst man alle sechs bis acht Schritte.
Foto: Gerhard und Daniela Zitzmann

Inzwischen legt er jährlich im Schnitt rund 7000 Kilometer auf dem Tretroller zurück. Er bestreitet damit alle Wege in Wien, außer wenn er etwas Größeres transportieren muss. In einem guten Jahr spult er schon einmal 11.000 Kilometer mit dem Roller ab. Etwa sollte er wieder Kanada von West nach Ost durchqueren – und schon allein dabei mehr als 5200 Kilometer zurücklegen, oder wieder von Wien nach Berlin fahren – was er für nächstes Jahr als größeren Event mit der langsam wachsenden Gruppe an Gleichgesinnten geplant hat.

Überschaubare Szene

Rund 20 aktive Rennfahrer zählt die heimische Tretrollerszene. Sie ist bunt gemischt was die Geschlechter angeht, nur beim Alter fehlt der richtige Mix, da sind die meisten dann doch 40 plus. "Es gibt aber eine Dunkelziffer von Menschen, die nicht vereinsmäßig organisiert sind – denn rund 300 Roller werden in Wien jedes Jahr verkauft", sagt Guido Pfeiffermann. Und mit denen muss ja auch wer fahren, nur wissen wir nicht, wer das ist. Am liebsten wäre Guido Pfeiffermann, es wären junge Menschen.

Die versucht er in Kursen für den Sport zu begeistern. Zugang zu dieser Gruppe findet er auch in seiner Funktion als Lehrer. Oder auch durch seine Aktionen. Die Corona-Pandemie nutze er etwa dazu, mit seinem Tretroller für einen großen Essenszusteller unterwegs zu sein. Das generiert Aufmerksamkeit. Und weil er ja sowieso fahren geht, lässt sich das gut verbinden.

Einen Hang-off mit Knee-down gibt es beim Tretroller eigentlich nicht.
Foto: Gerhard und Daniela Zitzmann

"Ich fahre das ganze Jahr hindurch, und so ist es ein bezahltes Training, wenn ich den Roller als Arbeitsgerät nutze und durch Zustellungen auch noch etwas Geld verdiene", erzählt er. "Und es macht mir Spaß. neue Leute, neue Strecken und neue Häuser kennenzulernen." Ja, gibt er zu, er habe ein Sendungsbewusstsein und er sei Individualist. Aber dass Tretrollerfahren ein Randsport sei, das hat ihn nicht gereizt. "Ich will mich nicht abgrenzen, ich will Leute dafür gewinnen, diese Sportart aus der Nische zu holen." Nur Aufmerksamkeit zu erregen reicht dafür verständlicherweise nicht aus – da muss man schon auch einmal Grundsätzliches klären.

Die Kosten

Dazu gehören etwa die Kosten für so einen Tretroller. Da geht es für einen ordentlichen Roller bei 300, 400 Euro los, erklärt Guido Pfeiffermann, und nach oben hin gebe es wie so oft keine Grenze. Aber schon um rund 900 Euro bekomme man ein Gerät, mit dem man bei einem Rennen aufs Stockerl fahren kann, ohne noch irgendwas ändern zu müssen.

Eine Aufnahme von einem Staffelrennen auf einer Laufbahn.
Foto: Gerhard und Daniela Zitzmann

"Technisch ist das alles ganz einfach", sagt er, "Man stelle sich ein Fahrrad vor, und dann ist nur der Rahmen anders, und man hat ein Trittbrett, aber keinen Sattel." So gibt es Tretroller mit Felgen- oder Scheibenbremsen, Gepäckträger oder Kotflügel, aus Aluminium oder Carbon, fürs Gelände, Tricks, die Straße, kurze oder lange Distanzen. Und es gibt sie mit unterschiedlich großen Rädern. Manchmal sind beide eher klein, wie bei einem Kinderfahrrad, manchmal groß, 28-Zöller, manchmal ist das hintere Rad kleiner als das vordere …

"Physikalisch betrachtet ist bei einem großen Rad der Rollwiderstand kleiner", erklärt Guido Pfeiffermann, und man kommt damit auch leichter über Hindernisse. Tretroller sind allerdings länger als Fahrräder, weil man ja ordentlich zwischen den Rädern stehen können muss. Darum hat man vor allem früher hinten ein kleineres Rad genommen, damit "der Roller nicht so ein Ungetüm wird. Aber das ändert sich gerade."

Aerodynamik

Spitzensportler werden mit so einem Roller dann auch einmal 100 Stundenkilometer schnell – bergab, versteht sich. Pfeiffermann hat mit 85 Stundenkilometern schon Radfahrer überholt, die es nicht schafften, so schnell zu fahren. Und das liegt wieder am Tretroller.

Bergab erreichen Spitzenfahrerinnen und -fahrer Geschwindigkeiten um die 100 km/h.
Foto: Gerhard und Daniela Zitzmann

"Optisch und fahrdynamisch lassen sich Fahrrad und Tretroller gut vergleichen", erklärt Guido Pfeiffermann, "aber am Ende ist es wie Brustschwimmen und Kraulen" – eben ganz anders. Aerodynamisch hat man auf dem Roller Vorteile. Man bietet dem Wind weniger Angriffsfläche, weil die Beine hintereinander und hinter dem Zentralrohr stehen. Dafür hat man bergauf nur ein Bein, das für Vortrieb sorgt. Dennoch können Tretrollerfahrer vor allem bergauf mit Radlern der Hobbysportklasse mithalten oder sind sogar schneller.

Herausforderung Stadt

Das Bein, das tritt, wird immer wieder gewechselt – so alle sechs bis acht Schritte. "Das Verblüffende ist, dass das Anstrengende das Stehen auf dem Standbein ist, nicht das Treten." Und das liege an der abgewinkelten Position, in der man steht. Dafür kommt man aber auch recht rasch in den Flow. "Tretrollern hat schon fast eine meditative Wirkung. Es ist wie eine Percussion, ein Trommeln, das den ganzen Körper durchfährt." Nur in der Stadt sei das anders, wegen des stärkeren Verkehrs und ob der vielen Kurven, in denen man verständlicherweise immer mit dem Innenbein treten muss. Mit wenig Kraftaufwand schafft man so Durchschnittsgeschwindigkeiten von rund 15 Stundenkilometern, Sportler fahren bei Marathondistanzen aber einen Schnitt von fast 30 Stundenkilometern. Mit etwas Übung ist man also so schnell wie mit einem E-Scooter, dabei aber umweltfreundlicher und auch noch sicherer unterwegs. (Guido Gluschitsch, 11.11.2022)