Trotz Sanktionspaketen gegen Russland laufen die Arbeiten für das neue ungarische Atomkraftwerk Paks II weiter. Es soll den in die Jahre gekommenen Vorgänger ablösen.

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Eigentlich sollte der letzte Block des ungarischen Atomkraftwerks Paks I spätestens im Jahr 2037 stillgelegt werden. Jetzt will die Regierung dieses Enddatum um zehn Jahre nach hinten schieben – gar um 20, wenn "umfassendere Renovierungen" vorgenommen werden. So steht es in einem Gesetzesvorschlag, den der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjénr laut dem Nachrichtenportal Telex am Donnerstag dem Parlament vorlegen wird.

"Das ist riskant. Wir haben große Bedenken, wie sicher dieses Kraftwerk dann noch sein wird", sagt der Grünen-Politiker und ehemalige EU-Parlamentarier Benedek Jávor. Denn bereits heute laufen die Reaktoren sehr viel länger als ursprünglich geplant. Fertiggestellt wurden sie zwischen 1982 und 1987 – für eine Laufzeit von 30 Jahren. 2006 entschied Ungarn jedoch, ihre Lebensdauer um zwanzig Jahre zu verlängern.

Warum die ungarische Regierung an dem in die Jahre gekommenen Kraftwerk festhalten möchte, zeigt eine Zahl: Der Atommeiler, der im Zentrum des Landes steht, erzeugt rund 45 Prozent des gesamten Stroms, den Ungarn verbraucht.

Streit um nächstes Sanktionspaket gegen Russland

Zwei neue Reaktoren mit dem Namen Paks II sollen die vier Blöcke des Vorgängers ablösen. Doch ihr Bau bereitet Probleme, die mit jedem Sanktionspaket der EU gegen Russland größer werden: Die Bestandteile des Kraftwerks werden von der russischen Atomenergie-Agentur Rosatom geliefert – die Sanktionierung russischer Atomtechnologie, wie sie unter anderem Polen und die baltischen Staaten fordern, würde Paks II endgültig auf Eis legen.

"Der Versuch der Verlängerung könnte bedeuten, dass unsere Regierung sich bereits darauf vorbereitet, dass die neuen Reaktoren nicht fertig werden", sagt Jávor. Diese Zeit könnte genutzt werden, um die Stromversorgung durch Erneuerbare zu sichern.

Sollte das Parlament für die Verlängerung von Paks I stimmen, ist sie allerdings noch nicht beschlossene Sache: Weil die Blöcke je zeitlich begrenzte Bewilligungen bekommen, kommt eine Betriebsverlängerung einer Neugenehmigung gleich.

Damit müsste sie auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen. In diesem Prozess haben auch Nachbarländer, demnach auch Österreich, das Recht, sich einzubringen und Bedenken zu äußern, wenngleich sie kein Vetorecht haben.

Riskanter Standort

Ernste Bedenken gibt es nicht nur zum alten Paks I. Auch sein weiterhin geplanter Nachfolger scheint mit erheblichen Risiken verbunden zu sein. So zeigt ein geologisches Gutachten, das die Betreiber von Paks II erstellten, dass unter dem Standort eine sogenannte aktive tektonische Verwerfung verläuft. Dort, wo die zwei neuen Reaktoren gebaut werden sollen, befindet sich eine Bruchlinie. Das österreichische Umweltbundesamt warnt: Diese könnte bei einem Erdbeben abrupt versetzt werden.

Von österreichischer Seite wird der Bau deshalb abgelehnt, wie DER STANDARD im Juni 2021 berichtete. "Das geplante AKW Paks II wird in einer Region geplant, die von hoher Erdbebengefahr geprägt ist", sagte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) damals auf Nachfrage. Das Gutachten des Umweltbundesamts sei an die ungarischen Behörden weitergeleitet worden. "Ich erwarte mir, dass diese unsere Einwände ernst nehmen." (Alicia Prager, 10.11.2022)