Die Inseln von Kiribati mitten in der Weite des Pazifiks mögen für europäische Augen das Klischeebild eines Südseeparadieses sein. Doch wenn die Stürme kommen – und sie kommen immer häufiger –, verwandle sich das Paradies in eine Hölle, sagen Bewohner. Schon wenige Zentimeter hohe Wellen überspülen die aus Korallenschotter bestehenden, tief liegenden Inseln.

Kiribati (Archivfoto von 2004) droht wegen des Klimawandels völlig unterzugehen.
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Der Grund ist der seit Jahren steigende Meeresspiegel, eine Folge der von Menschen verursachten Klimaveränderung. Das Wasser dringt in die Häuser ein, Salz vergiftet die Palmen, Kokosnussplantagen sterben ab. Das nur wenige Meter unter der Oberfläche gespeicherte Süßwasser wird durch eindringendes Salz verunreinigt und damit untrinkbar. Infrastruktur wie Brücken können dem Wasserdruck nicht widerstehen und werden zerstört. Und manchmal erheben sich sogar die Toten aus ihren Gräbern: Der steigende Wasserspiegel drückt sie nach oben.

Ein Prozent Land, 99 Prozent Wasser

Ob Palau oder Kiribati – Wasser dominiere den Alltag im Südpazifik, sagt Tommy Remengesau, der ehemalige Präsident von Palau. "Denn die Inselstaaten des Pazifiks bestehen zu einem Prozent aus Land und zu 99 Prozent aus Wasser." Während einer Veranstaltung in Australien erklärte der Ex-Politiker, das Meer bestimme "die Kultur, die Traditionen, das Leben, die Wirtschaft und die Zukunft der Region".

Remengesau ist Mitglied einer Gruppe ehemaliger pazifischer Spitzenpolitiker, die sich gegen die ihrer Ansicht nach "fahrlässige" Haltung der Industriestaaten bei der Bekämpfung der Klimaveränderung wehren. Die "Pacific Elders" – die Ältesten des Pazifiks – erinnern im Zusammenhang mit der Klimakonferenz COP 27 in Ägypten daran, dass die globale Erhitzung in ihrem Teil der Welt "längst keine Theorie mehr" sei, sondern Alltagsrealität.

Die Folgen seien dramatisch, so Remengesau: "Die Übersäuerung des Meerwassers durch den Anstieg des Klimagases CO2, die Ausbleichung der Korallen als Folge höherer Wassertemperaturen, eine dramatische Zunahme der Zahl und Intensität von Stürmen und Zyklonen und der Anstieg des Meeresspiegels – das führt zum Verlust der Lebensqualität für die Menschen und zur Flucht aus dem Gebiet", warnt der Ex-Präsident.

Die Politikergruppe erinnert daran, dass nicht die kleinen Länder mitten im Pazifik für die globale Erwärmung verantwortlich seien, sondern die Industriestaaten. Sie kritisiert, dass die meisten dieser reichen Länder inzwischen zwar von apokalyptischen Folgen eskalierender Temperaturen sprechen, in Tat und Wahrheit aber noch immer zu wenig dagegen unternähmen. So setze Australien, der unmittelbare Nachbar im Pazifik, weiter auf die Verbrennung und vor allem auf den lukrativen Export von klimazerstörerischer Kohle und von Erdgas.

Leugnung von Verantwortung

Der Ex-Präsident von Kiribati, Anote Tong, verurteilt die Regierung in Canberra, weil sie behauptet, nicht das Land selbst sei für die so verursachten Klimaemissionen verantwortlich, sondern die Abnehmerstaaten, die die Kohle kauften und verbrennen.

Doppelmoral – Australien verdiene jedes Jahr Dutzende von Milliarden Dollar mit dem Export von Kohle, so Tong. "Man kann sich nicht der Verantwortung entziehen, wenn man daraus derartige Vorteile zieht", glaubt der ehemalige Politiker.

Von der Klimakonferenz fordert er deshalb, eine neue Richtung in der globalen Klimapolitik einzuschlagen. Nicht nur eine mögliche juristische Verantwortung der Verursacher von Klimaveränderung müsse diskutiert werden, sondern auch eine moralische.

Kiribati hat schon vor Jahren die Zeichen der Zeit gesehen und in Fidschi Land gekauft. Dies für den Fall, dass die Bewohner der tief liegenden Inseln fliehen müssen, um dem steigenden Meeresspiegel zu entkommen. Schon heute sind mehrere Inseln in Kiribati nicht mehr bewohnbar. Das hat zur Flucht auf die Hauptinsel Tarawa geführt, die laut Anote Tong inzwischen pro Quadratkilometer eine höhere Bevölkerungsdichte habe als Weltstädte wie Hongkong und New York.

Die Entwurzelung tausender Menschen als Folge des Meeresspiegelanstiegs dürfte nicht mehr lange ohne Folgen bleiben für die reichen Industriestaaten. Forscher warnen seit Jahren vor einer kommenden Massenflucht aus den Ländern des Pazifiks, wenn die Menschen schlicht keine andere Wahl mehr hätten, als in ein Boot zu steigen. (Urs Wälterlin, 11.11.2022)