New York – Das Fiasko rund um die Kryptobörse FTX nimmt immer spektakulärere Ausmaße an. Am späten Mittwochabend ist die Übernahme der finanziell ins Schleudern gekommenen Handelsplattform durch Marktführer Binance gescheitert. Auf zahlreichen Websites ist bereits vom "Lehman-Moment" der Kryptobranche zu lesen. Aus Verzweiflung soll FTX-Chef Sam Bankman-Fried Investoren zu einer "Notfinanzierung" aufgerufen haben, wie das "Wall Street Journal" berichtet. Es droht der komplette Zusammenbruch, dem Unternehmen dürften rund acht Milliarden Dollar fehlen.

Die Börse warnt mittlerweile sogar vor sich selbst. Auf der Homepage steht: "FTX kann momentan keine Auszahlungen durchführen. Wir raten schwer von Einzahlungen ab."

Binance wollte sich vor dem Zusammenbruch retten, sah aufgrund der zahlreichen Problemherde aber keinen Ausweg.
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Ermittlungen gegen FTX

Binance begründet den geplatzten Deal mit der kürzlich abgeschlossenen Due-Diligence-Prüfung. "Wir haben entschieden, dass wir die Akquisition nicht weiterverfolgen. Die Probleme übersteigen unsere Möglichkeiten", teilte Binance auf Twitter mit. Grund seien Berichte über Fehlverhalten im Umgang mit Kundengeldern und Ermittlungen von US-Behörden. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge untersucht die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC den geplatzten Deal und das Justizministerium die Liquiditätsprobleme von FTX.

Am volatilen Kryptomarkt schlagen diese Nachrichten große Wellen und lassen die Kurse massiv abstürzen. Bitcoin rasselte zwischenzeitig – erstmals seit 2020 – unter 16.000 Dollar, die Nummer zwei am Markt, Ethereum, unter 1.200. Vor dem möglichen Zusammenbruch steht Solana, an diesem Coin hält FTX sehr große Anteile. Aus den Top Ten der Kryptowährungen ist Solana rausgefallen, von weiteren Preisabfällen kann man ausgehen.

Leichten Aufwind bekamen die Kurse aber von den Inflationsdaten in den USA, wonach die Teuerungsrate im Oktober auf 7,7 Prozent, nach 8,2 Prozent im September, gesunken ist. Der Bitcoin kletterte vorübergehend auf fast 18.000 Dollar.

Die auf den Bahamas beheimatete Plattform war unter Druck gekommen, nachdem Kundinnen und Kunden binnen weniger Tage massenhaft Geld abgezogen hatten. Der FTX-Token namens FTT, eine Art digitaler Anteilsschein, ist seit Wochenbeginn um 90 Prozent eingebrochen. Zu Wochenbeginn stand er noch bei 22 Dollar, mittlerweile bei unter drei.

Anstehender Totalausfall

Noch vor wenigen Monaten hatte FTX eine Bewertung von 32 Milliarden Dollar zu Buche stehen, davon dürfte kaum noch etwas übrig sein. Investoren stellen sich bereits auf einen Totalausfall ein. Kundinnen und Kunden werden das wohl oder übel auch machen müssen. Der Risikokapitalgeber Sequoia Capital hat einem Tweet zufolge sein Investment bereits zur Gänze abgeschrieben.

Ruf nach Regulierung

Es ist davon auszugehen, dass in nächster Zeit die Rufe nach strengerer Regulierung wieder zunehmen werden. "Der Markt ist intransparent und definitiv auch noch zu wenig reguliert. Es werden Spiele gespielt, die in einer regulierten Umgebung nicht mehr so leicht funktionieren würden", sagte Blockpit-CEO Florian Wimmer am Mittwoch im Gespräch mit dem STANDARD.

Sorgen machen sich bereits breit, dass die Sache noch weitere Kreise zieht. "Anleger fürchten, dass bereits weitere Größen innerhalb der Branche vor ähnlichen Problemen stehen könnten", sagte Analyst Timo Emden. Die Turbulenzen könnten auch auf andere Märkte übergreifen, fürchten Börsianer. Angesichts der weiten Verbreitung von Krypto-Investments könne dies eine Liquidation anderer Vermögenswerte erforderlich machen, um Nachschussforderungen zu decken, sagte Stephen Innes, geschäftsführender Partner bei SPI Asset Management.

Unangenehme Zeiten für Sam Bankman-Fried.
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Absehbarer Crash

Dem Handelsvolumen nach zählte FTX immer zu den größten Kryptobörsen der Welt – sie hat sich aber zu abhängig vom eigenen Coin gemacht. Zudem veröffentlichte Anfang November die Plattform Coindesk brisante Details über den Hedgefonds Alameda Research, der ebenfalls Sam Bankman-Fried gehört und Ende Juni fast 15 Milliarden Dollar schwer gewesen sein soll: Demnach dürfte die Alameda-Bilanz beweisen, dass der Fonds auf Pump vom FTX-Token lebt. Dass Alameda auf FTT setzt, ist an sich nicht außergewöhnlich – in dieser Größenordnung allerdings schon. Der Fonds begibt sich damit in massive Abhängigkeit von einem Asset ohne ausreichende Absicherungen. Coindesk hatte zudem große Schwächen bei dem Geschäftsmodell der beiden Schwesterunternehmen publikgemacht.

Das war der Stein des Anstoßes. Binance-Chef Changpeng Zhao gab daraufhin bekannt, seine FTT-Tokens abstoßen zu wollen, was in weiterer Folge den Run auf die Börse auslöste. (Andreas Danzer, 10.11.2022)