Der Kohleverbrauch ist kriegsbedingt wieder angestiegen. Eine Kehrtwende in Sachen fossile Energien ist noch nicht in Sicht.
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Nicht nur die Klimakonferenz findet im Jahresrhythmus statt: Zeitgleich wird seit 17 Jahren auch ein wissenschaftlicher Bericht zu den weltweiten CO2-Emissionen des aktuellen Jahres veröffentlicht. Nun ist der "Global Carbon Budget 2022"-Report da. Die Berechnungen zeigen, dass sich in Sachen Kohlenstoffdioxid die Gesamtemissionen bis zum Jahresende auf 40,6 Milliarden Tonnen – oder Gigatonnen – belaufen werden.

Damit sind die Ausstöße an Treibhausgas wieder ähnlich hoch wie vor Beginn der Covid-19-Pandemie, wie ein internationales Konsortium an Fachleuten – darunter Thomas Gasser vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien – im Journal "Earth System Science Data" darstellt. Aufgrund internationaler Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie gingen die globalen Emissionen 2020 auf 38,5 Milliarden Tonnen zurück, doch schon 2021 folgte die Annäherung an das Höchstniveau davor.

Allein die fossilen CO2-Emissionen, die den größten Teil der gesamten CO2-Emissionen ausmachen, dürften sich 2022 auf 37,5 Gigatonnen belaufen und damit um einen Prozentpunkt steigen. Aus der Grafik lässt sich ablesen, um wie viele Prozentpunkte Krisen in den vergangenen Jahrzehnten die Emissionen pro Jahr senkten.
Grafik: Der Standard

Die Gesamtemissionen sind eine wichtige Maßzahl, um den massiven menschlichen Beitrag zum Treibhauseffekt zu benennen. Durch unsere Ausstöße seit dem 19. Jahrhundert erwärmt sich die Erde rasanter, als das ein Klimawandel ohne Industrialisierung bewirken würde. Hatte die Luft um das Jahr 1750 noch eine CO2-Konzentration von ungefähr 277 Parts per Million (ppm), liegt dieser Wert heute bei rund 417 ppm. Das sind etwa 50 Prozent mehr als der vorindustrielle Wert.

Vergleich des CO2-Gehalts in der Luft in den Jahren 1850 (links) und 2021 (rechts) in Parts per Million (ppm). Gezeigt wird, wie viel Kohle, Erdöl, Erdgas und Landnutzung zum Anstieg beitrugen – und wie viel Kohlenstoffsenken an Land und im Wasser bisher ausgleichen konnten.
Bild: Global Carbon Project

Kohlenstoff speichern

"Wir haben den zweithöchsten Wert der Emissionen in der Geschichte der Menschheit erreicht", sagt die Geografin Julia Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität München, die als eine von 105 Fachleuten aus 18 Ländern am Bericht beteiligt war, bei einer Onlinekonferenz. Man sehe zwar Erfolge der Dekarbonisierung und des Ausbaus erneuerbarer Energiequellen. Aber weiterhin müsse der CO2-Ausstoß enorm abgesenkt werden – "getrieben durch die Umstellung im Energiesektor", betonte sie gegenüber dem STANDARD.

An den Veränderungen der jährlichen globalen Fossilemissionen lassen sich historische Ereignisse erkennen. Der Überblick über die vergangenen einhundert Jahre zeigt, dass die Emissionen etwa während Öl-, Finanz- und Corona-Krise(n) zurückgingen. Industriebooms in China sowie nach dem Zweiten Weltkrieg sind ebenfalls abzulesen.
Bild: Global Carbon Project

Dem Report liegen Daten unterschiedlicher Quellen zugrunde, die für den Rest des Jahres hochgerechnet werden. Sie werden von globalen Messnetzwerken, Satelliten, Statistiken und Modellberechnungen geliefert. Aufgetrennt werden können die Emissionen auf einzelne fossile Quellen wie Kohle und Erdgas sowie auf den Faktor Landnutzung: Forst- und Landwirtschaft tragen stark zur Freiwerdung von Treibhausgasen bei.

In diese Rechnungen fließen nur die CO2-Emissionen ein – nicht jene von anderen Treibhausgasen wie Methan, das etwa aus tauendem Permafrostboden und Lecks in Erdgasförderanlagen und Pipelines in die Atmosphäre befördert wird. Nicht alles, was an CO2 in der Luft landet, bleibt auch dort: Das ist sogenannten Kohlenstoffsenken in Form von Wäldern und Ozeanen zu verdanken, die CO2 binden und speichern können.

Hier sind die fossilen CO2-Emissionen im Lauf der Jahre (ab circa 1960) nach Ländern und Ländergruppen aufgeschlüsselt.
Bild: Global Carbon Project

"Die Ozean- und Landbiosphäre nehmen weiterhin etwa die Hälfte unserer Emissionen auf", sagt die Meeresforscherin Judith Hauck vom Alfred-Wegener-Institut am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, die ebenfalls Co-Autorin des Berichts ist. In der vergangenen Dekade sei die Ozeansenke für 26 Prozent der Emissionsaufnahme verantwortlich gewesen, die Landsenke für 29 Prozent.

Belastete CO2-Senken

Diese wichtigen Ökosystemleistungen unserer Umgebung nehmen wir jedoch wie selbstverständlich an. Gefährlich wird das, wenn die Emissionen nicht stark zurückgefahren werden – denn schon jetzt zeigt sich, dass Meere und Pflanzen Probleme haben, die gleichen Mengen zu binden. "Die Ozeansenke ist durch den Klimawandel um vier Prozent kleiner", sagt Hauck, was mit der Erwärmung der Meere und Veränderungen in Luft- und Wasserzirkulationen zusammenhängt. "Die Landsenke ist sogar um 17 Prozent geringer – durch Erwärmung, Dürren und Extremereignisse."

Quellen und Senken für CO2. Während Landnutzung und fossile Energien viel CO2 freisetzen, können beispielsweise Ozeane und Wälder die Verbindung speichern – aber nicht in unendlichem Ausmaß. Gewisse Abweichungen sind noch Gegenstand der Forschung.
Bild: Global Carbon Project

Starkregen und intensive Trockenheit verursachen für diese Ökosysteme, die Klimawandelfolgen zumindest teilweise kompensieren können, Stress. Dies gerät mit einem Effekt in Konflikt, der zumindest für Pflanzen an sich Vorteile birgt: Der Treibhauseffekt sorgt immerhin dafür, dass sie dank mehr CO2 in der Luft prinzipiell besser gedeihen können. Sonst würde man sich diese Wirkung nicht in Gewächshäusern zunutze machen. Doch für viele Spezies kann dies die Nachteile nicht ausgleichen.

Waldbrände haben dieses Jahr unter anderem in Spanien Ökosysteme belastet. Solche Extremereignisse kommen aufgrund häufiger Dürren immer öfter vor.
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Das 1,5-Grad-Ziel, auf das sich die Weltgemeinschaft bei der Pariser Klimakonferenz 2015 einigte und das die maximale globale Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zum Niveau vor der Industriellen Revolution beschreibt, rückt angesichts dieser Zahlen in die Ferne. Bei ähnlich hohen Emissionen in den kommenden Jahren wäre das dafür zur Verfügung stehende CO2-Budget rasch aufgebraucht. Genauer gesagt würden wir schon in neun Jahren so viel CO2 verbraucht haben, dass das 1,5-Grad-Ziel noch zumindest eine 50-prozentige Chance hat, heißt es im Bericht.

"Das bedeutet, dass wir von jetzt an einen Einschnitt bei unseren Emissionen von ungefähr 1,4 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr bräuchten", sagt Pongratz. "Das entspricht dem, was wir im ersten Covid-Jahr im Zuge der Lockdowns hatten – und zeigt uns die Skala der Ambitionen, die wir jetzt benötigen."

Positive Entwicklungen

Auch die eine oder andere positive Nachricht versteckt sich im Bericht. Immerhin gibt es bereits 24 Staaten – darunter Deutschland –, die trotz Wirtschaftswachstums den eigenen CO2-Ausstoß reduzieren konnten. Im Vergleich zu 2019 sind außerdem die Emissionen durch Landnutzung niedriger und liegen bei 3,9 statt 4,6 Milliarden Tonnen. Zwar würden weiterhin in großem Umfang Wälder abgeholzt, dies werde derzeit aber ungefähr zur Hälfte durch Aufforstung in anderen Regionen der Welt kompensiert.

Es gebe bei den Landnutzungsemissionen einen leichten Abwärtstrend in den vergangenen zwei Jahrzehnten, sagt Pongratz. Im Gegensatz zu den Emissionen aus fossilen Quellen – die den weitaus größeren Teil ausmachen – sei die Datenlage jedoch unsicherer und die Spannbreite größer.

Optimistische Geister hatten gehofft, dass die Emissionen nach dem Absinken im Jahr 2020 durch einen Wandel zu nachhaltigeren Wirtschaftssystemen niedrig gehalten werden könnten – im Zuge einer sogenannten "Green Recovery". Dies ist nicht passiert, wie der Bericht unterstreicht. "Es ist ganz klar, dass wir hier eine Chance verpasst haben", sagte Judith Hauck vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, eine der Autorinnen des Reports.

Noch immer ist der Verbrauch fossiler Energieträger sehr hoch, wie der globale Jahresverbrauch von 2000 bis 2021 zeigt. Erneuerbare Energien wie Wind- und Solaranlagen (in den grünen Balken inkludiert) weisen jedoch eine starke Wachstumskurve auf.
Bild: Global Carbon Project

Auch Nachhaltigkeitsforscher Jan Christoph Minx, der nicht am CO2-Bericht, aber als einer der Leitautoren am aktuellsten Weltklimarat-Sachstandsberichts beteiligt war, findet harte Worte: Die Zeiten, in denen man einzelne praktischere Maßnahmen hätte auswählen und allmählich implementieren können, "die sind schon lange vorbei". Zwar sei die bisherige Klimapolitik nicht wirkungslos, ohne erneuerbare Energien wären die Emissionen stärker gestiegen. Doch seien die Maßnahmen bisher viel zu schwach – "und um den globalen Kohleausstieg in einer internationalen Krisensituation zu organisieren ist eine Riesenherausforderung."

Minx sieht für den dringend notwendigen Kohleausstieg allerdings schlechte Vorzeichen. "Hohe Energiepreise, wie wir sie haben, bedeuten, dass wir jetzt auch nach neuen Gas- und Ölvorkommen suchen." Während vor allem die Erneuerbaren ausgebaut werden müssen, werde aber die Exploration in der Nordsee in Betracht gezogen und versucht, die Fracking-Diskussion anzustoßen.

Kein Ausstieg aus Fossilen

In den Statistiken zu CO2-Emissionen fällt auf, dass Asien – und dort China – in den vergangenen Jahrzehnten stark aufgeholt hat. Interessant ist aber auch, dass vor allem dort noch immer die Pandemie nachwirkt. Im ostasiatischen Land werden weiterhin strikte Maßnahmen getroffen, 2022 blieben auch viele Bauvorhaben auf der Strecke. Dies sorgte in diesem Jahr für um 0,9 Prozentpunkte geringere Emissionen, die auf die Nutzung fossiler Energiequellen zurückgehen.

Die Anteile an fossilen CO2-Emissionen ab dem 19. Jahrhundert nach Kontinenten. Während Europa und Nordamerika zu Beginn der Industrialisierung ausschließlich für den Verbrauch fossiler Energie verantwortlich waren, hat Asien mittlerweile stark aufgeholt.
Bild: Global Carbon Project

Auch in der Europäischen Union gingen die fossilen Emissionen um 0,8 Prozentpunkte zurück, worauf der Ukraine-Krieg und die Energiekrise maßgeblichen Einfluss hatten. Dadurch wurde weniger Erdgas als sonst verbraucht, die entsprechenden Emissionen gingen um zehn Prozent zurück. Gleichzeitig stiegen Öl- und Kohleverbrauch (um 0,9 beziehungsweise 6,7 Prozent) und glichen die Emissionen großteils aus.

Lange sei man davon ausgegangen, dass der Höchststand der CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle bereits überschritten sei, sagt Judith Hauck. "Aber das Jahr 2022 könnte tatsächlich ein neuer Höchststand der CO2-Emissionen aus Kohle darstellen."

Fossile CO2-Emissionen im Jahresverlauf 1960–2021, aufgeschlüsselt nach Kontinenten.
Bild: Global Carbon Project

Gerade der Ausstoß, der auf fossile Brennstoffe zurückgeht, ist mit berechneten 36,6 Milliarden Tonnen global bis Jahresende hoch. Der Wert ist um einen Prozentpunkt höher als 2021 und liegt über dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Schuld an diesem Anstieg ist vor allem der Flugverkehr, der wieder zunahm und für einen höheren Ölverbrauch sorgte, wie der Bericht deutlich macht. "Die Emissionen aus dem Flugverkehr machen etwa zwei Prozent der globalen Emissionen aus", sagt Hauck. Der Gesamtklimaeffekt sei aber größer, weil langlebige Kondensstreifen am Himmel den Treibhauseffekt weiter ankurbeln.

Pro-Kopf-Emissionen

Insgesamt stiegen die Emissionen vor allem in den USA und Indien an. In Indien hänge dies ebenfalls mit einem starken Zuwachs bei der Kohleverbrennung zusammen. Während das Land damit die EU-Emissionen übertrifft, sind die Pro-Kopf-Emissionen dort um ein Drittel niedriger als in Europa. Wenn in diesem Zusammenhang auf die Weltbevölkerung verwiesen werde, die Mitte November die Acht-Milliarden-Menschen-Marke knacken soll, sei zu beachten, "dass der Anstieg der Bevölkerung überwiegend in den Ländern voranschreitet, die pro Kopf die wenigsten Emissionen haben", sagt Pongratz. "Bangladesch liegt bei etwa einer Tonne CO2 pro Kopf, während die USA bei knapp 15 Tonnen stehen."

Die fossilen CO2-Emissionen pro Kopf, aufgeschlüsselt nach Kontinenten.
Bild: Global Carbon Project

Bei den verhältnismäßig geringeren Landnutzungsemissionen, die etwa durch Forstwirtschaft verursacht – und teilweise mit Aufforstung kompensiert – werden, zählen zu den drei größten Verursachern der vergangenen zehn Jahre Indonesien, Brasilien und die Demokratische Republik Kongo. Sie kommen gemeinsam auf 58 Prozent der Landnutzungsemissionen. Dies dient allerdings auch Exporten in den globalen Norden.

Radikale Energiewende

"Die Ergebnisse sind erschreckend", kommentierte Jasmin Duregger, Klima- und Energieexpertin bei Greenpeace, den Report gegenüber der APA. "Jetzt gilt es, eine radikale Energiewende einzuleiten, damit die Treibhausgase sinken, statt weiter global in die Höhe zu schnellen." Deshalb sei es notwendig, auf der COP 27 im ägyptischen Sharm el-Sheikh die Welt auf Klimaschutzkurs zu bringen und den fossilen Energien den Kampf anzusagen.

Ob dies angesichts der starken Lobbyvertretung möglich ist, ist allerdings fraglich. Wie NGOs am Donnerstag berichteten, gebe es auf der aktuellen UN-Klimakonferenz um rund ein Viertel mehr Lobbyisten für Öl, Gas und Kohle als bei der Veranstaltung im Vorjahr in Glasgow.

Das 1,5-Grad-Ziel ließe sich theoretisch noch erreichen, zumindest bis zum Ende des Jahrhunderts mit einem kurzfristigen Überschreiten der Grenze. Dafür wäre es allerdings dringend nötig, dass die beteiligten Staaten ihre Zusicherungen noch wesentlich verschärfen, wie zuletzt eine am Donnerstag erschienene Studie im Fachjournal "Nature Climate Change" unterstrich – und diese Versprechen auch nicht zu brechen.

Ob diese Gradmarke eingehalten wird oder nicht, Pongratz betont: "Jedes zusätzliche Zehntel Grad zählt." Angesichts der medienwirksamen Klimaproteste wünscht sich Minx, dass mehr Menschen "wieder auf die Straße gehen, weil das wahnsinnig viel bewegt hat." Weiter steigende Emissionen seien nicht leistbar, sonst werde in zehn Jahren genauso über das zwei-Grad-Ziel diskutiert, wie es jetzt bei 1,5 Grad der Fall sei: "Das will ich uns nicht zumuten und vor allem auch unseren Kindern und Kindeskindern nicht." Und Hauck hebt hervor: "Es braucht nicht nur die jungen Menschen, sondern die ganze Gesellschaft, die mitzieht." (Julia Sica, 11.11.2022)