Elizabeth Debicky als Lady Diana in "The Crown".

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Filmwissenschafterin Leonie Kapfer

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Die neuen Folgen sind da, die Kritiken vorerst wenig berauschend: "Es wird Zeit, dass diese langweilige Serie für immer aufhört", schreibt etwa der Guardian über die Netflix-Serie The Crown. Immerhin, die Darsteller der neuen, fünften Staffel werden mit Lob bedacht, Imelda Staunton als britische Queen ebenso wie Elizabeth Debicki als Diana und Dominic West als Charles. Rund zwei Monate nach dem Tod Elizabeths II. wühlt die Serie die Briten aber auf, die Royals sind offenbar wieder einmal "not amused".

Netflix

STANDARD: Die öffentliche Erregung über "The Crown" ist beträchtlich. Was für ein Film läuft da gerade ab?

Kapfer: Der Start der neuen Folgen hängt natürlich ganz stark mit dem Ableben der Queen zusammen und damit, dass Prince Charles König wird und er vor allem in der vierten Staffel im Zusammenhang mit seiner Ehe mit Diana als verwöhnter, egoistischer, narzisstischer älterer Sohn nicht sehr wohlwollend porträtiert wurde. Es ist das Timing, das die Wellen schlagen lässt.

STANDARD: Einer der Vorwürfe beklagt mangelnde Faktentreue. Darf eine fiktionale Serie Dinge erfinden?

Kapfer: Vonseiten der Wissenschaft kommt an dieser Stelle natürlich der Einwand, dass Darstellung von Geschichte nie frei von Fiktion sein kann. Geschichte wird zudem immer von Siegern geschrieben, woraus sich ein spezieller Blick auf das Geschehen ergibt. Speziell in The Crown gibt es viele privat geführte Gespräche, von den meisten gibt es keine historischen Zeugnisse. Ich glaube, das ist den meisten Menschen durchaus bewusst, die die Serie schauen.

DER STANDARD

STANDARD: Stellt sich die Serie einseitig auf die Seite Dianas und rückt so die Royals in ein schlechtes Licht, wie ebenfalls behauptet?

Kapfer: Der wohlwollende Blick auf Diana ist vor allem Szenen geschuldet, von denen man annimmt, dass Zuseherinnen und Zuseher sie sehen wollen. Umgekehrt ist die Figur der Diana in der Serie durchaus ambivalent. Einerseits wird sie als Opfer des Systems dargestellt, umgekehrt agiert sie impulsiv und selbstständig. Das in der vierten Staffel angedeutete Narrativ setzt sich in der neuen Staffel fort: Die Frau, die Grenzen überschreitet, wird schließlich tatsächlich bestraft.

STANDARD: Hier die hartherzige Queen, dort die unglückliche Prinzessin, die widerspenstige Margaret, die abgeklärte Anne – wie sehen Sie die weiblichen Figuren in "The Crown" inszeniert?

Kapfer: Die Frauenfiguren sind komplex inszeniert, das wird besonders in der Figur der Queen deutlich, die ganz widersprüchliche Positionen einnehmen darf. Einerseits ist sie die liebevolle und teilweise aufopfernde Ehefrau, dann wieder die kalte Mutter ihrer Kinder, einmal strenge Herrscherin, dann wieder milde gestimmt.

STANDARD: Camilla wurde zur Zeit der Trennung von Charles und Diana extrem angefeindet. Wie sehen Sie ihre Figur dargestellt?

Kapfer: Es ist nicht so, dass die Sympathie der Serie für Diana dazu verführt, Camilla zu hassen. Diana und Camilla werden beide als Opfer von Strukturen gezeigt, ebenso wie Charles im Übrigen. Das ist besonders im Hinblick auf die Gegenwart von Bedeutung, wo Camilla vor der Krönung zur Königin in sozialen Medien mit Diana-Bildern konfrontiert wird und damit, dass sie die wahre Queen wäre. Camilla sagt in der Serie, die Öffentlichkeit werde sie nie so lieben, weil sie nicht dem Weiblichkeitsideal einer schönen und perfekten Frau entspreche. Sie wird als eigenständige Person sichtbar und nicht angefeindet.

"Die Krone wird daran nicht zerbrechen, aber es wird vielleicht unangenehmer."

STANDARD: Sind die Befürchtungen der Royals überzogen? Kann eine Serie wie "The Crown" tatsächlich der Krone schaden?

Kapfer: Ich denke, dass es in der Macht von Serien oder Filmen liegt, öffentliche Meinung auf bestimmte Art und Weise zu lenken. Die Serie bringt ein Thema in die Medien, das den neuen König nicht unbedingt ins beste Licht rückt. Die Krone wird daran nicht zerbrechen, aber es wird vielleicht unangenehmer für sie.

STANDARD: Wie interpretieren Sie die momentane Häufung von Serien mit historischen Frauenfiguren, etwa "The Crown", "Die Kaiserin" oder auch "Bridgerton"?

Kapfer: Auf einer allgemeineren Ebene könnte man diesen Serien vorwerfen, dass der Feminismus dort in der glamourösen Ecke bleibt. Interessanterweise sind es durchwegs Emanzipationsgeschichten von extrem privilegierten und machtvollen Frauen. Die Queen in den ersten beiden Staffeln fällt in dieses Muster, ebenso Diana: eine junge, plötzlich machtvolle Frau, die sich zunächst emanzipieren muss. Hier wie auch in den anderen genannten Serien geht es um die Emanzipation von reichen und schönen Frauen. Das sind keine Geschichten von Frauen, die vom System vernachlässigt waren und sich emanzipieren, sondern ausschließlich privilegierte Frauen. Insofern sehe ich darin einen neokonservativen Reflex, weil diese Emanzipationsgeschichten in ein konservatives, aristokratisches Setting verlagert werden und darüber hinaus das System stabilisieren. Um Themen wie "class" oder "race" geht es dabei – mit Ausnahme von Bridgerton – nicht. Man beruft sich darauf, dass es das damals noch nicht gab und man sich deshalb nicht damit beschäftigen muss.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Bedeutung der Serie im Vergleich zum 2006 erschienenen Film "The Queen" ein, in dem es zeitlich um ungefähr denselben Abschnitt geht?

Kapfer: Die Serie zeichnet die gesamte Persönlichkeitsentwicklung von der jungen Frau zur starken Frau nach. Und ich glaube, das kann eine Serie viel besser, weil einfach die Zeit dafür da ist, um große narrative Bögen zu spannen. Darüber hinaus endete der Film 1999, die Serie könnte ja vielleicht noch 30 Jahre weitergehen.

STANDARD: True Stories sind im Moment hoch im Kurs. Woher rührt die Sehnsucht nach "wahren" Stoffen?

Kapfer: Es gibt generell ein Verlangen nach Wahrheit und nach dem Authentischen. Dieses Verlangen hat einerseits eine voyeuristische Dimension, zum anderen umgeben wir uns seit einiger Zeit mehr denn je mit vermeintlich authentischem Content. Wir sind mittlerweile daran gewöhnt, weil alle ihr Leben podcasten, broadcasten, abbilden. Über soziale Medien sehen wir ins vermeintliche Privatleben aller möglichen Stars. Im Fall der Royals gibt es einfach ein großes öffentliches Interesse, das mittlerweile auch erfolgreich bedient wird, wie zum Beispiel der offizielle Account von William und Kate belegt. (Doris Priesching, 11.11.2022)

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