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Laut Helga Kromp-Kolb wird "unglaubliche Kurzsichtigkeit an den Tag gelegt".

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Fanproteste gegen die WM gab es in Dortmund und anderen Stadien. Fraglich ist aber, ob nicht viele Fans ab 20. November doch einschalten.

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Klimaneutralität kann sich bei der und für die Fußball-WM ab 20. November in Katar "nie und nimmer ausgehen", sagt Helga Kromp-Kolb. "Wir haben gar nicht genug Platz für die Bäume, die wir pflanzen müssten." Auch so gesehen sei der Fehler der WM-Vergabe an Katar nicht mehr gutzumachen. Die Klimaforscherin sieht Sportverbände, aber auch Sportlerinnen und Sportler in der Verantwortung. Sie will nicht darüber reden, dass Suppen auf Gemälde geschüttet werden, sondern darüber, warum sie geschüttet werden.

STANDARD: Der Weltfußballverband Fifa propagiert die WM in Katar als die nachhaltigste aller Zeiten. Können Sie das nachvollziehen?

Kromp-Kolb: Das geht sich maximal vielleicht in irgendeinem Teilbereich aus. Vielleicht ist das komplette Geschirr und sind die Becher in den Stadien recycelbar. Aber wenn ich von Nachhaltigkeit rede, muss ich alles miteinbeziehen, den Bau der Stadien, die dann heruntergekühlt werden, und vor allem auch den Verkehr, der herrscht.

STANDARD: Gerade in dem Punkt argumentieren die Fifa und Katar mit kurzen Wegen, die ja in Katar tatsächlich gegeben sind. Das Land ist circa so groß wie Oberösterreich, noch nie lagen acht WM-Stadien so eng beisammen.

Kromp-Kolb: Aber das spielt doch kaum eine Rolle. Bei dieser WM reisen die meisten Zuseher von weit entfernt für einzelne Spiele an. Die deutsche Fanbasis ist in Dubai. Während der WM soll es täglich bis zu 160 Pendelflüge aus den anderen Golfstaaten nach Katar und wieder retour geben. Die propagierten kurzen Wege sind reine Schönfärberei.

STANDARD: Was stört die Klimaforscherin angesichts der WM in Katar am meisten?

Kromp-Kolb: In Summe ist es die Demonstration dessen, dass man einem Vergnügen die Zukunft opfert. Natürlich ist Sport ein großer Wirtschaftszweig, und für die Fußballer ist es harte Arbeit. Aber für die allermeisten Menschen, das Publikum, ist Fußball reine Unterhaltung. Bitte nicht falsch verstehen: Der Mensch braucht Unterhaltung, braucht Vergnügen. Aber er kann sich aussuchen, welches Vergnügen wann und wo umweltkompatibel ist. Alles zu seiner Zeit, alles mit Maß und Ziel. In Tirol soll man ja Ski fahren – wenn Naturschnee liegt. Es gibt viele Bereiche, wo Umstellungen wirklich schwierig sind, wenn jemand zum Beispiel beruflich darauf angewiesen ist, dass er mit dem Auto fährt. Aber dass eine Fußball-WM nicht in Katar stattfinden darf, wäre eigentlich eine einfache Entscheidung gewesen. Dass anders entschieden wurde, war schon der größte Fehler.

STANDARD: Hätten Sie sich von Teilnehmerteams oder einzelnen Fußballern vor der WM mehr Protest erwartet? Hoffen Sie auf Proteste in Katar?

Kromp-Kolb: Die Fußballverbände sind wirklich gefragt. Bis jetzt haben sich vor allem die Skandinavier hervorgetan. Dort sind die Menschen weniger obrigkeitshörig als in Deutschland oder Österreich, dort sagen sie eher ihre Meinung. Und es wird auch auf einzelne Sportler ankommen, auch bei uns, vielleicht am ehesten im Skisport, vielleicht auch im Fußball.

STANDARD: Der österreichische und andere Skiverbände haben den internationalen Verband Fis heftig dafür kritisiert, dass der Tross in dieser Saison gleich zweimal nach Nordamerika und retour fliegt. Aber es fliegen am Ende halt alle mit.

Kromp-Kolb: Wenn sich da mehrere Verbände zusammentun, könnten sie doch ein Zeichen setzen. Und es müssen sich auch nicht alle Sportlerinnen und Sportler wegducken. Wenn wir schon so eine Heldenverehrung betreiben, so stark auf die Leistung Einzelner schauen und sie in den Himmel heben, dann haben diese Helden und Heldinnen auch eine Verantwortung, die sie wahrnehmen sollten. Sie sollten sich überlegen, wofür sie stehen, und dafür eintreten.

STANDARD: Zurück nach Katar. Ein Wort, das die Fifa und Katar auch gern bemühen, ist Klimaneutralität. Eine Million Bäume und Sträucher wurden oder werden in Katar gepflanzt, so soll die WM für die Umwelt quasi zum Nullsummenspiel werden. Geht sich das aus?

Kromp-Kolb: Das kann sich nie und nimmer ausgehen. Angesichts des anhaltenden Anstiegs der Treibhausgasemissionen und der globalen Erwärmung haben wir gar nicht genug Platz für die Bäume, die wir pflanzen müssten. Und vor allem werden all diese Bäume in der kurzen Frist, die wir noch haben, ihre Speicherwirkung nicht entfalten können. Sie wirkt sich erst in vielen Jahren, in Jahrzehnten aus. Und wie viel Wasser, wie viel Energie man wiederum braucht, um diese Bäume in Katar zu bewässern, will ich mir gar nicht ausmalen. Dieses Bäumepflanzen ist eigentlich eine Augenauswischerei. Da wird eine unglaubliche Kurzsichtigkeit an den Tag gelegt, die leider in weiten Teilen der Politik und der Wirtschaft vorherrscht. In einigen Jahrzehnten wird man temperaturbedingt in einigen Regionen der Welt nicht mehr leben können, und Katar liegt in so einer Region.

STANDARD: Heiligt der Zweck die Mittel? Wie viel Sympathie hegen Sie für junge Menschen, die Privatflugzeuge am Start hindern, sich auf Straßen kleben oder Suppen in Museen zweckentfremden?

Kromp-Kolb: Mich bewegt sehr, dass diese Aktionen notwendig sind. Die jungen Menschen machen das ja nicht zum Spaß, sie sind verzweifelt, und das sind sie zu Recht. Sie bringen viel Mut auf, weil sie sich durch die Politik nicht vertreten fühlen. Ich hoffe, wir diskutieren bald nicht mehr über die Aktionen, sondern darüber, was ihr Zweck ist. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir unsere Klimaziele erreichen, und nicht darüber, wie wir verhindern, dass sich junge Menschen auf die Straße kleben. Was werden wir einmal unseren Kindern sagen, was unseren Enkelkindern? (Fritz Neumann, 11.11.2022)