Foto: Neuralink

Als ob die Besiedelung des Mars und der Einsatz von humanoiden Robotern nicht schon genug Zukunftsmusik wären: Mit Neuralink will Twitter-Chaot und Tech-Visionär Elon Musk auch das menschliche Gehirn direkt mit dem Computer vernetzen. Ein Gehirnimplantat wurde bereits erfolgreich an Tieren erprobt, für Experimente an Menschen fehlt dem Start-up aber noch immer die Zulassung.

Ursprünglich wollte Musk am 23. Oktober Neuigkeiten zu Neuralink präsentieren, aus nicht näher genannten Gründen wurde der "Show & Tell"-Event aber auf 30. November verschoben. Hinter den Kulissen dürfte das Projekt mit größeren Schwierigkeiten kämpfen.

Steuerung mit Gedanken, ohne Magie

Die Idee hinter der digitalen Schnittstelle zum menschlichen Gehirn klingt einfach: Ein Chipimplantat soll es ermöglichen, Computer und andere Geräte bloß durch Gedanken steuern zu können. Das Gerät mit einem Durchmesser von etwas mehr als zwei Zentimetern wird direkt im menschlichen Schädel positioniert. Über Leitungen, die dünner sind als ein Haar, wird es direkt mit den Nervenzellen des Gehirns verbunden, um neurologische Signale aufzeichnen und senden zu können.

Foto: Neuralink

Im letzten geposteten Video auf dem offiziellen Youtube-Kanal des Projekts beteuert man, dass keine Magie im Spiel sei: "Neuralink funktioniert, weil es elektrische Signale des Gehirns aufnimmt und entschlüsseln kann." Diese Verbindungen sind aber so fein, dass die Implantation nur durch einen eigens entwickelten OP-Roboter durchgeführt werden könne.

Gesundheitsmonitoring inklusive

Während einer Präsentation im Jahr 2020 führte Musk zudem aus, dass Neuralink auch "wie eine Fitbit im Kopf" funktionieren könne: Verschiedene Sensoren würden die Möglichkeit bieten, die körperliche Gesundheit überwachen und Nutzende bei Unregelmäßigkeiten rechtzeitig warnen zu können. Die Datenübertragung an den Computer oder an ein Smartphone erfolgt – wie man es von Peripheriegeräten des Alltags mittlerweile gewohnt ist – über Bluetooth, aufgeladen werden soll das Implantat einmal täglich via Induktion.

Die Leitungen, die das Gehirn mit dem Chip verbinden, sind dünner als ein Haar.
Foto: Reuters

Darin besteht auch der größte Innovationscharakter von Neuralink: An einer Schnittstelle zwischen Mensch und Computer arbeiten Forscherinnen und Forscher nämlich schon seit Jahrzehnten, tatsächlich neu ist der komplette Wegfall einer Verkabelung, wodurch zusätzliche Komplikationen ausgeschlossen werden können.

Heilen – und tunen?

Erste Einsatzgebiete beim Menschen sieht das Projekt vor allem im medizinischen Bereich vor, um unter anderem Sehstörungen, Hörverlust, Schlaflosigkeit oder Depressionen zu behandeln oder auch, um in der Schmerztherapie eingesetzt werden zu können. Sogar verletztes Nervengewebe im Rückenmark soll in ferner Zukunft durch diese Technologie überbrückt werden, damit gelähmte Menschen wieder gehen können.

Für die Implantation von Neuralink wurde eigens ein OP-Roboter entwickelt.
Foto: AFP

Die ganz langfristige Vision geht noch ein paar Schritte weiter: Beim Launch-Event 2019 träumte der Multimilliardär davon, dass eine solche Schnittstelle auch notwendig sei, damit die Menschheit mit dem Fortschritt künstlicher Intelligenz mithalten und deren Fähigkeiten besser nutzen könne. Künftig solle es überhaupt jeder Person freistehen, sich selbst mit so einem Chip zu "tunen", um Gedanken telepathisch mit anderen Neuralink-Nutzenden austauschen oder Gedanken extern speichern zu können. Spätestens jetzt sollten neben massiven ethischen auch datenschutzrechtliche Bedenken an die Oberfläche treten, die damit verbunden, aber noch nicht einmal im Ansatz geklärt sind.

Problematische Tierversuche

Der Weg bis dorthin ist aber ohnehin noch ein weiter. Bislang konnte Neuralink nur an Tieren "erfolgreich" getestet werden. Es mag auf den ersten Blick auch beeindruckend sein zu sehen, wie Versuchsaffe Pager "Mindpong" spielt. Dahinter steckt eine Variante des Videospielklassikers "Pong", die der Affe ausschließlich mit seinen Gedanken steuerte.

Neuralink

Nicht ganz unproblematisch sind hingegen in diesem Zusammenhang die Vorwürfe der Ärzteorganisation Physicians Committee for Responsible Medicine (PCRM), wonach Neuralink für die Entwicklung des Gehirnchips dutzende Rhesusaffen gequält und getötet haben soll. Auch wenn das Unternehmen zumindest einige Vorwürfe zurückgewiesen hat: Der schlechte Eindruck in der Öffentlichkeit bleibt.

Toxische Unternehmenskultur

Und auch sonst dürfte bei Neuralink nicht alles nach Plan laufen. Dass Elon Musk Versprechen zu seinen Projekten schon öfters nicht halten konnte, mag kaum noch jemanden überraschen. So verwundert es auch nicht, dass er den nächsten Event zu Neuralink mit einem knappen Tweet genauso verschoben hat, wie er es zuvor mit der Präsentation zum humanoiden Roboter Tesla Optimus getan hat.

Viel eher ein Indiz für Probleme dürfte der Umstand sein, dass von den ursprünglichen acht Gründern außer Elon Musk nur noch einer mit an Bord bei Neuralink ist. Zuletzt hatte Paul Merolla im Juli das Unternehmen verlassen, der für das Chipdesign von Neuralink verantwortlich war. Das könnte möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein, dass sich eine toxische Unternehmenskultur etabliert habe, in der Angst und Schuldzuweisungen dominieren.

Im Februar dieses Jahres erhoben ehemalige Mitarbeiter schwere Vorwürfe, wie "Fortune" berichtet hatte. Elon Musk mache keinen Hehl draus, dass er mit den Fortschritten zu Neuralink nicht zufrieden sei, und übe "erbarmungslos" Druck aus. Das führe zu unrealistischen Deadlines und in weiterer Folge aufgrund der Unzufriedenheit der Mitarbeiter zu einer hohen Personalfluktuation.

Bitte warten

Das größte Problem für das Projekt dürfte derzeit allerdings die fehlende Zulassung der Food and Drug Administration (FDA) sein. Solange die Bundeszulassungsstelle für Medizinprodukte kein grünes Licht erteilt, darf Neuralink nicht an Menschen getestet werden. Musk hatte bereits für 2020 Humanstudien versprochen, kann jedoch zwei Jahre später noch immer keine Erfolge vorweisen.

Das ist insofern bitter, als dass das Konkurrenzunternehmen Synchron die Zulassung der FDA bereits erhalten hat und somit dem ersten kommerziell erhältlichen und implantierbaren Gehirnchip einen bedeutenden Schritt näher gekommen ist. Musk hat diese Niederlage auch indirekt eingestanden, indem er direkten Kontakt zu Synchron gesucht hat, um einen möglichen Deal auszuhandeln. Ob es da um eine mögliche Fusion oder nur eine Zusammenarbeit der beiden Unternehmen ging, ist allerdings nicht bekannt.

Auch noch nicht geklärt ist, worum es bei dem verschobenen Neuralink-Event am 30. November gehen soll. Aufgrund der vorliegenden Informationen sind allerdings zwei Szenarien sehr wahrscheinlich: Entweder wird Musk mit einer neu erworbenen Zulassung der FDA in der Tasche einen Ausblick auf die ersten Humanstudien mit Neuralink geben. Oder aber die Öffentlichkeit erfährt von einer neuen Geschäftsbeziehung zum bisherigen Konkurrenten Synchron. (bbr, 13.11.2022)