Im November 2013 zerstörte der "Supertaifun" Haiyan große Teile der Philippinen, so wie hier die Stadt Tacloban.

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Marinel Ubaldo hat den ersten Jugendklimastreik auf den Philippinen organisiert und 2015 auf der Weltklimakonferenz in Paris gesprochen. Mit Blick auf die Weltklimakonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh fordert sie, dass jene Konzerne und Staaten, die besonders viel zur Erderhitzung beigetragen haben, Menschen im Globalen Süden entschädigen.

Die philippinische Klimaaktivistin Marinel Ubaldo (25) hat ihre Unterstützerorganisation Plan International in Wien besucht.
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STANDARD: Als du 16 Jahre alt warst, hat ein Taifun die Region verwüstet, in der du lebst. Hat er dich zur Klimaaktivistin gemacht?

Ubaldo: Ich habe mich bereits davor viel mit dem Klimawandel beschäftigt und zusammen mit vielen anderen auf den Philippinen nach Wegen gesucht, wie wir uns anpassen können. Aber die Veränderungen, von denen wir da sprachen, fühlten sich noch weit entfernt an – so, als würden wir die Folgen der Erderhitzung erst in 50 oder gar 100 Jahren spüren. Dann kam 2013, und plötzlich war die Klimakrise da, plötzlich war sie greifbar. Der Supertaifun Haiyan verwüstete alles, was wir uns über die Jahre aufgebaut hatten. Das hat mich auf jeden Fall bestärkt, mich dafür einzusetzen, dass es nicht noch viel schlimmer wird.

STANDARD: Was genau bedeutet das für dich?

Ubaldo: Ich habe mich geweigert, mich als Opfer zu sehen. Ich weiß, dass wir etwas verändern können und damit in Zukunft die Leben vieler Menschen retten können. Auch wenn wir viel gelitten haben, haben wir die Möglichkeiten, Veränderungen einzufordern. Der Taifun hat mich und viele Menschen in der Nachbarschaft dazu gezwungen, resilienter zu werden, unsere Leben neu aufzubauen. Jetzt wollen wir es schaffen, dass die Menschen ihre Häuser weiter weg von der Küste aufbauen, damit der nächste Taifun sie nicht gleich wieder wegfegt. Und wir wollen uns global dafür einsetzen, den Klimawandel abzufedern und dafür sorgen, dass unsere Geschichte gehört wird.

STANDARD: Taifune gab es schon immer, aber sie hatten kaum je das Ausmaß, das Haiyan erreicht hat …

Ubaldo: Der Klimawandel war nicht der Grund für den Taifun, aber Studien zeigen, dass Taifune immer heftiger werden, weil sich die Meere erhitzen. Das war auch im Fall von Haiyan so. Der Klimawandel hat ihn einfach extremer gemacht. Diese Effekte zu verstehen war wichtig für mich, um mit den Folgen fertigzuwerden. Aber genauso wichtig finde ich es, mit menschlichen Geschichten von den Veränderungen zu erzählen. Nur so können wir greifbar machen, was die Erderhitzung für Milliarden von Menschen auf der Welt bedeuten wird.

STANDARD: Die Weltklimakonferenz ist in vollem Gange. Was muss dort passieren, damit du sagen kannst, es geht in die richtige Richtung?

Ubaldo: Es wird immer dringender, dass wir bei der Finanzierung für Klimaverluste und -schäden vorankommen. Wetterextreme führen in vielen Ländern dazu, dass Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren, dass Kinder ihr Recht auf Bildung nicht bekommen, dass Ungleichheiten noch stärker werden. Solche Konsequenzen müssen abgefangen werden. Aber mir ist klar, dass das nicht einfach wird. Industrialisierte Länder müssten dazu anerkennen, dass sie eine Verantwortung haben für die Schäden, die ihre Emissionen verursachen. Gleichzeitig braucht es mehr Geld für Anpassung an den Klimawandel und Klimaschutz. Es wäre sehr enttäuschend, wenn es auf der COP 27 nicht wenigsten ein paar Schritte in diese Richtung gibt.

STANDARD: Die große Frage dabei ist, woher das Geld kommen soll …

Ubaldo: Ich finde, die Länder und vielleicht auch die Firmen, die die Erde erhitzen, sollten Entschädigungen an jene Länder zahlen, die den Klimawandel heute besonders spüren. Auf den Philippinen sind wir damit schon ganz schön weit gekommen: 2015 haben wir eine Klage bei der Menschenrechtskommission gegen 47 CO2-intensive Konzerne eingebracht. Es war der erste Klimaprozess auf Basis von Menschenrechtsverletzungen. Und die Kommission gab uns nach einem siebenjährigen Prozess recht. Auf dieser Grundlage fordern wir jetzt auch Entschädigungen von jenen Firmen und auch Ländern, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben.

STANDARD: In der Debatte über Schäden und Verluste wird oft aneinander vorbeigesprochen. Die einen reden von schmelzenden Gletschern, die anderen von einer Art Katastrophenschutz. Was soll auf den Philippinen mit den Geldern passieren, die ihr für Schäden und Verluste fordert?

Ubaldo: Wenn wir eine Region nach einer Wetterkatastrophe neu aufbauen, brauchen wir stärkere Infrastruktur. Wir müssen es Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, ermöglichen, weiter ins Landesinnere zu ziehen, wo sie nicht beim nächsten Sturm wieder alles verlieren. In Entwicklungsstaaten können wir uns das nicht leisten: ständig neu anfangen. Und vor allem geht es für mich bei der Diskussion von Schäden und Verlusten auch darum, dass die Gelder, die industrialisierte Staaten schicken, keine Almosen sind, sondern Entschädigungen. Wir müssen sehen, dass sie Verantwortung übernehmen.

(Alicia Prager, 15.11.2022)