Zahlreiche Chats von Spitzenpolitikern wie Exkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurden in den vergangenen Monaten publik

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Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Es gibt angenehmere Momente, als eigene Chats in einem Strafakt oder in einer U-Ausschuss-Auswertung zu finden. Das weiß ich nicht nur, weil ich mit Kolleginnen und Kollegen schon einige Hundert Chatnachrichten von Politikern, Unternehmern oder Beamten geschrieben habe, sondern weil es mich schon ein paar Mal selbst "erwischt" hat.

Einem Freiheitlichen machte ich ironisch das Kompliment, er sei mein "Lieblingspolitiker" – dem Vernehmen nach amüsiert das jetzt das halbe Bundeskriminalamt, wo dessen Smartphone ausgewertet wird. Einem damaligen Spitzenbeamten schrieb ich, mir sei schon klar, dass die Opposition im U-Ausschuss Journalisten instrumentalisieren wolle. Der Chat landete Monate später in den Händen der Opposition im U-Ausschuss und kam dort nicht so gut an.

Als Autor dieser zwei Chats weiß ich natürlich genau, wie sie gemeint waren und in welchem Kontext sie entstanden sind – und natürlich habe ich das Bedürfnis, das zu erklären. Genau deshalb versuchen wir auch, bei jeder Chatnachricht von Politikerinnen und Politikern oder deren Umfeld mehr über ihre Entstehungsgeschichte herauszufinden. Wir konfrontieren die Autoren in den allermeisten Fällen mit den Chats und versuchen die einzelnen Nachrichten, so gut es geht, als Puzzlestück eines Gesamtbilds darzustellen.

Das ist auch wichtig, um zu prüfen, ob die Chatnachricht berichtenswert ist. Sie muss das Handeln der Politik erhellen; etwas über Verhaberung, Postenkorruption oder Einflussnahme auf die Gesetzgebung erzählen. Chats werden von uns nie publiziert, um ihre Sender oder Empfänger bloßzustellen; das ist ein Nebeneffekt, der uns keine Freude bereitet.

Verführerisch

Eine Gefahr liegt darin, wie verführerisch Chats sind: Sie liegen schwarz auf weiß vor, und ihre Echtheit kann kaum bestritten werden, stammen sie doch meist aus Auswertungen der Justiz. Diese nimmt ohnehin nur Relevantes zum Akt, wir können uns also darauf berufen.

Es gibt einen guten Test dafür, ob ein Chatverkehr von öffentlichem Interesse ist: nämlich sich vorzustellen, die darin enthaltene Information sei von einem Informanten erzählt worden. Wie würde man dann damit umgehen? Würde man das Erzählte nachrecherchieren oder als Tratsch einstufen und ruhen lassen. So merkt man meist, welche Chats von öffentlichem Interesse sind.

Bestimmt gab es einige Nachrichten, deren Relevanz wir falsch eingeschätzt haben. Ohne Chats wäre diese Republik aber eine andere. Über sie zu berichten war alternativlos. (Fabian Schmid, 12.11.2022)