Alle Athleten des Profirennradteams Team Novo Nordisk sind Typ-1-Diabetiker. Sie zeigen, wie man im täglichen Kampf mit den Zuckerwerten die Oberhand behält.

Foto: Team Novo Nordisk

TNN-Rider Logan Phippen bei der Arbeit.

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Logan Phippen ist einer von 18 Profis im Kader von TNN. Der US-Amerikaner erhielt im Alter von 24 Jahren die Diagnose.

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Leben mit Diabetes ist wie Radeln: ein ständiges Auf und Ab.

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November ist der weltweite "Diabetes Awareness Month". Obwohl die sogenannte Zuckerkrankheit den meisten ein Begriff ist, dominieren Irrtümer und Falschmeinungen das Bild von Diabetes. Das beginnt beim Unterschied zwischen Typ-1-Diabetes, einer genetisch bedingten Autoimmunerkrankung, die in Österreich rund 30.000 Menschen betrifft, und Typ-2-Diabetes, der auch unter dem Namen Altersdiabetes bekannten Volkskrankheit mit mehr als 800.000 Betroffenen allein hierzulande, die in der Regel mit Bewegungsmangel und falscher Ernährung zu tun hat. Darüber hinaus gibt es weitere seltenere Formen, wie etwa Schwangerschaftsdiabetes.

Die Balloon-Challenge von Insulin-Pumpen-Hersteller Medtronic soll im diesjährigen "Diabetes Awareness Month" November verdeutlichen, was Leben mit der Autoimmunerkrankung für Betroffene heißt.
Medtronic Diabetes

Das Team Novo Nordisk (TNN) tritt seit Jahren für mehr Wissen und Verständnis hinsichtlich Typ-1-Diabetes in die Pedale. Gegründet 2008 im US-amerikanischen Atlanta, umfasst der Rennstall, dessen Hauptsponsor seit 2013 das dänische Pharmaunternehmen Novo Nordisk ist, aktuell 18 Athleten im Profikader und weitere zehn im Entwicklungsteam. Allesamt weisen eine Gemeinsamkeit auf, die im Profiradsport einzigartig ist: Sie sind Typ-1-Diabetiker. Selbst im Betreuerstab sind mehrere Typ-1er vertreten. Neben dem sportlichen Erfolg sind es Bewusstseinsbildung und Aufklärung, die für das Profiradteam im Fokus jedes Rennens stehen.

Die lebensverändernde Diagnose

Logan Phippen ist einer der Athleten im TNN. Der 30-jährige US-Amerikaner rückte 2021 nach fünf Jahren im Entwicklungsteam in den Profikader auf. Phippen hatte schon als Jugendlicher die Liebe zum Radsport entdeckt und war in US-Rennserien am Start. 2016, im Alter von 24 Jahren, bemerkte Phippen plötzlich einen rapiden Leistungsabfall und Gewichtsverlust, wie er im Gespräch mit dem STANDARD-Tretlager erzählt. Es waren die ersten typischen Symptome von Diabetes. Dazu kam unstillbarer Durst, verbunden mit permanentem Harndrang. Wer diese Symptome bei sich bemerkt, sollte umgehend ärztliche Hilfe suchen.

Phippen tat dies und erhielt die im ersten Moment niederschmetternde Diagnose: Typ-1-Diabetes. Es gibt keine Heilung für diese Diabetesform, aber dank Insulin, das erst vor 100 Jahren "entdeckt" wurde, ist sie behandelbar. Für Phippen war von Beginn an klar: Nicht er wird sich der Krankheit unterordnen, sondern die Krankheit ihm. "Ich bin eine Woche nach der Diagnose wieder am Mountainbike gesessen", erzählt er rückblickend. Seitdem arbeitet der Athlet jeden Tag daran, die Kontrolle über seine Zuckerwerte zu behalten.

Nicht heil-, aber behandelbar

Der tägliche Kampf gegen Hypos (Unterzuckerung) und Hypers (zu hohe Blutzuckerwerte) ist es, was Typ-1-Diabetes für Betroffene zu der großen Herausforderung macht. Durchschnittlich, so hat eine Studie ergeben, müssen Typ-1er täglich rund 600 Entscheidungen rund um ihren Stoffwechsel treffen – eine enorme Belastung. Man übernimmt praktisch die Aufgabe der Bauchspeicheldrüse, die bei Typ-1ern kein Insulin mehr produzieren kann, weil die Betazellen durch die Autoimmunerkrankung zerstört wurden.

Bei gesunden Menschen erkennt die Bauspeicheldrüse automatisch, wie viel Insulin produziert werden muss, um die zu sich genommenen Kohlenhydrate verarbeiten zu können. Das in den Betazellen produzierte Insulin dient sozusagen als Schlüssel, der es den Zellen ermöglicht, den Zucker zu verarbeiten. Diabetiker müssen dies bei jeder Mahlzeit selbst berechnen und sich dementsprechend Insulin zuführen. Fehler bei dieser Berechnung können fatale Folgen nach sich ziehen. Daher ist Typ-1-Diabetes ein Vollzeitjob, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr – bis ans Lebensende. Diese fehlende Aussicht auf Besserung ist es, die vielen Betroffenen neben der Erkrankung selbst schwer zu schaffen macht.

Auch Profis haben schlechte Zuckertage

Auch für Profisportler wie Phippen ist der Alltag mit Diabetes davon geprägt, wie er erzählt: "Es gibt gute Tage, und es gibt schlechte Tage. Auch wir haben immer wieder diese Tage, an denen die Werte einfach verrückt spielen, egal was man macht." Die Vielzahl von Einflussfaktoren – neben der Ernährung selbst beeinflussen Stress, Stimmung oder auch nur die Temperatur den Blutzucker – macht es so schwierig, die Balance zu halten. Eine aktuelle internationale Kampagne zum Diabetes-Monat November verdeutlicht dies mit einer Luftballon-Analogie: Typ-1er müssen ihren Alltag meistern und dabei nebenbei stets einen Luftballon, der die Zuckerwerte darstellt, balancieren.

Im Fall von Profiradler Phippen hilft ein Betreuerstab, dem auch auf Diabetes geschulte Mediziner angehören, dieses Gleichgewicht zu halten. Doch selbst unter diesen Idealbedingungen kommt es ab und an zu Ausreißern, wie in der einstündigen Dokumentation "Ride for your L1fe" über TNN zu sehen ist. Ein Jahr lang hat ein dänischer Filmemacher die Radler begleitet und ihren Alltag beobachtet. Der Film liefert spannende Einblicke in die Arbeit der Athleten und ihrer Betreuer zwischen Profiradsport und chronischer Erkrankung. Und er zeigt, dass auch sie nicht vor den gefürchteten Hypos gefeit sind und dass auch sie Tage haben, an denen der Zucker scheinbar unkontrollierbar ist.

Die Doku "Ride for your L1fe" liefert spannende Einblicke in den Alltag der Radprofis mit Diabetes.
Novo Nordisk

"Seid geduldig mit euch selbst", rät Profisportler Phippen anderen Typ-1ern, und an ihr Umfeld richtet er die Bitte: "Zeigt Verständnis für die Umstände, unter denen Betroffene leben müssen." Denn Typ-1-Diabetes bedeutet auch für das enge Umfeld eine enorme Belastung, gerade wenn die Krankheit im Kindesalter diagnostiziert wird, wie das bei vielen TNN-Athleten der Fall war. Dann müssen auch Eltern lernen, was es heißt, wenn das tägliche Überleben von Insulindosen abhängt.

Diabetes als Belastung für die Psyche

Der Aspekt der psychischen Belastung wurde im Zusammenhang mit Diabetes lange vernachlässigt. Mittlerweile schenkt man ihm immer mehr Aufmerksamkeit, auch im Team Novo Nordisk, wie Phippen erzählt: "Wir arbeiten viel daran, denn der Druck, den der Job in Verbindung mit der Krankheit bedeutet, ist enorm. Jeder muss für sich Wege finden, damit umzugehen und es zu akzeptieren." Es sei wichtig, sich Tag für Tag aufs Neue zu motivieren, gerade wenn es sportlich oder gesundheitlich Rückschläge setzt.

Die Profis vom TNN sind sich ihrer Doppelrolle bewusst, sagt Phippen: "Wir sind Athleten und wollen sportliche Erfolge, zugleich sind wir Botschafter und Vorbilder für andere Diabetiker." Bei den Rennen kommen regelmäßig Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ins Teamlager, um Phippen und seine Kollegen zu treffen und sich Tipps von ihnen zu holen. Das Lernen von anderen Betroffenen ist gerade für Typ-1er wichtig, da es kaum allgemeingültige Therapien gibt. Die Erkrankung ist sehr individuell, Diabetikerinnen und Diabetiker sind daher in erster Linie ihre eigenen Ärztinnen und Ärzte. Sie dosieren ihr Insulin selbst und wissen am besten, wann sie wie reagieren.

Technik, die den Alltag erleichtert

Neben dem Hormon Insulin sind es vor allem technische Gerätschaften, die Betroffenen das Leben erleichtern. So auch den Profis von TNN. Sie alle tragen CGMs (kontinuierliches Glukose-Messsystem), das sind Sensoren, die alle paar Minuten den Gewebezucker messen und über Apps am Handy Alarm schlagen, wenn dieser zu sehr vom Wunschwert abweicht. Diese für Diabetiker entwickelten Geräte wurden in den vergangenen Jahren im Profiradsport als Trainingshilfen entdeckt (Tretlager berichtete damals).

Mittlerweile hat der Radsportverband (UCI) CGMs in Rennen verboten. TNN hat eine Ausnahmeerlaubnis erhalten, weil die Athleten tatsächlich auf die Geräte angewiesen sind. Alternative wäre die blutige Messung mittels Fingerstechen, was während des Rennens nicht machbar ist. Durch die CGMs, die über Bluetooth funktionieren und deren Werte man online mit anderen teilen kann, können die Athleten und ihr Team in Echtzeit die Zuckerwerte kontrollieren und, wenn nötig, gegensteuern. Für Phippen war das plötzliche Aufkommen der CGMs im Radsport eine Entwicklung, die ihm als Diabetiker zum Vorteil gereichte, wie er sagt: "Wir kennen uns mit diesen Systemen natürlich bestens aus, während die anderen den Umgang damit erst lernen müssen."

Pumpen und Pens halten sich im Team die Waage

Zur Insulinabgabe benutzen die TNN-Athleten unterschiedliche Methoden, wie Phippen erklärt: "Pumpen und Pens halten sich im Team in etwa die Waage." Insulinpumpen werden für bis zu drei Tage am Stück am Körper getragen und geben regelmäßig kleine Insulinmengen, die sogenannte Basalrate, ab. Bei Bedarf wird ein zusätzlicher Bolus, wenn man eine Mahlzeit zu sich nimmt oder der Zuckerwert aus anderen Gründen nach unten korrigiert werden muss, über einen Katheter ins Gewebe gespritzt.

Pens wiederum sind kleine Spritzen mit hauchdünnen Nadeln, über die Insulin verabreicht wird. Wer Pens nutzt, spritzt sich in der Regel einmal pro Tag ein sogenanntes Langzeit- oder Basalinsulin, das einen Insulinspiegel aufbaut und hält. Mahlzeiten oder Korrekturen werden ebenfalls mit dem Pen und dann mit einem schnell wirkenden Insulin ausgeglichen. Wer welche Technik nutzt, ist von den individuellen Vorlieben abhängig. Dass beide Methoden auch im Spitzensport möglich sind, beweisen Phippen und seine Kollegen.

Diabetes ist beherrschbar

TNN will zeigen, dass ein erfülltes und aktives Leben mit Diabetes möglich ist. Es bedeutet mehr und stetigen Aufwand als für gesunde Menschen, aber die Diagnose Typ-1-Diabetes ist kein Hindernis. "Das wollen wir anderen Betroffenen vermitteln", sagt Phippen. Er und seine Teamkollegen sind Profisportler, die seit Jahren erfolgreich im Radzirkus bestehen. Bei den Rennen gelten für sie dieselben Bedingungen wie für "normale" Teams. Zahlreiche Podiumplätze zeugen davon, was möglich ist, wenn man an seinen Zuckerwerten arbeitet und diese – zumindest meistens – im Griff hat.

Dass diese Aufgabe anstrengend und mitunter deprimierend ist, sparen die Athleten von TNN nicht aus, wenn sie von ihrem Alltag und damit auch von ihren Niederlagen berichten. Genau dieser offene Umgang mit Erfolgen und Rückschlägen macht Phippen und Co für andere Diabetiker zu positiven Beispielen und gibt ihnen Mut, sich selbst weiter dem täglichen Kampf zu stellen, der leider nie enden wird. (Steffen Kanduth, 12.11.2022)