Rund um den blauen Vogel brennt es.

Dieses Symbolbild wurde mithilfe der Bilder-KI Midjourney unter dem Prompt "a blue bird in a forest fire, close-up" erzeugt.

Foto: STANDARD/Pichler/Midjourney

"Ist schon Zeit für Wodka?" Diese Umfrage einer Mitarbeiterin in einem internen Slack-Chat im Hauptquartier von Twitter ist nur ein weiterer ironischer Beleg für das Chaos, das Elon Musk angerichtet hat. Jetzt drohen Twitter empfindliche Strafen durch die Federal Trade Commission (FTC), weil Twitter gegen die strengen Auflagen verstoßen hat. Konkret soll Twitter E-Mail-Adressen und Telefonnummern seiner Nutzer unter dem Vorwand der Sicherheit für Werbezwecke gesammelt haben. Das Unternehmen wurde bereits im Mai wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschriften zu einer Strafe von 150 Millionen Dollar verdonnert. Bei einem weiteren Vorfall könnten jetzt Milliardenstrafen drohen.

Die FTC droht Musk

Dieser Vorfall dürfte jetzt eingetreten sein. So verlangt die FTC von Twitter eine Datenschutzprüfung, sobald Änderungen am Produkt vorgenommen werden. Gleichzeitig verlangt die US-Handelsaufsicht von Twitter im Fall eines Führungswechsels eine Compliance-Mitteilung binnen 14 Tagen – und zwar von genau festgelegten Führungskräften, die das Unternehmen aber mittlerweile verlassen haben, wie Riana Pfefferkorn, externe Beraterin von Twitter, in einem Thread erklärt. Die Frist für die Vorlage der Compliance-Meldung ist am Donnerstag verstrichen.

Bei der Aufsichtsbehörde ist man über den Mangel an Kooperation durch Musk nicht gerade amüsiert. "Wir beobachten die Ereignisse bei Twitter mit Sorge", teilte FTC-Sprecher Douglas Farrar am Freitag gegenüber BBC mit und richtete an die Adresse von Musk aus, dass kein Manager über dem Gesetz stehe. Man habe Mittel und Wege, die Einhaltung dieser Vorgaben zu erzwingen, und man sei bereit, sie einzusetzen, erklärte Farrar.

Ein finanzielles Loch ohne Boden

Das sind aber längst nicht die einzigen finanziellen Sorgen, die den "Chief Twit" plagen, denn trotz seines auf rund 188 Milliarden US-Dollar geschätzten Reichtums könnten empfindliche Verluste auf Musk und seinen neuen Spielplatz zukommen. Da wäre einmal die Tatsache, dass die finanzielle Lage von Twitter seit jeher angespannt ist. In den vergangenen zehn Jahren schrieb Twitter nur zweimal schwarze Zahlen. Allein für das Jahr 2023 wurde ein operativer Verlust von rund 700 Millionen US-Dollar prognostiziert. Das Unternehmen war also schon schwer angeschlagen, bevor es Musk übernahm. Doch unter der Herrschaft des Tech-Milliardärs ist keine Trendumkehr in Sicht.

Das liegt zum großen Teil daran, dass Musk einen Teil des Kaufpreises als Unternehmensschulden deklariert hat. So kamen noch einmal 13 Milliarden Dollar zu dem zuvor bestehenden Schuldenberg von rund 5,5 Milliarden Dollar dazu. Damit muss Twitter pro Jahr zwischen 1,2 und 1,3 Milliarden US-Dollar an Schuldendienst leisten, während der Kurznachrichtendienst immer weiter neues Kapital braucht. Kurz: Twitter verbrennt aktuell Geld im Rekordtempo. Verschärft wird die Situation durch reihenweise Absagen von Werbekunden, die sich aufgrund der chaotischen Situation von der Plattform zurückziehen. Das erklärt auch, warum Musk vor der verbliebenen Twitter-Belegschaft eine Pleite des Unternehmens nicht mehr ausschloss.

Musk will Twitter zum Geldinstitut machen

Laut einem Bericht der "New York Times" braucht Musk also Einnahmen – und zwar schnell. Er hat es dabei eilig, nach dem Chaos rund um die Verifizierung ohne Verifizierung und das Abomodell um acht Dollar monatlich ventilierte der Milliardär eine neue Idee: Twitter soll zum Bezahldienst werden. Dies geht aus einem Antrag bei der US-Aufsichtsbehörde Financial Crimes Enforcement Network (Fincen) hervor, den die "New York Times" einsehen konnte.

Demnach plant Musk, ein eigenes Bezahlsystem in Twitter zu integrieren. So soll es möglich sein, dass sich Userinnen und User gegenseitig Geld schicken. Musk schwebt eine Art Anstoßfinanzierung vor: In einem Twitter Space sprach Musk davon, die "Konten" von Twitter-Usern mit zehn Dollar aufzuladen, damit das Ökosystem ins Laufen kommt. Verlinkt man sein Bankkonto mit dem Twitter-Account, soll man das Geld auf sein eigenes Konto transferieren können. Damit die User aber auf Twitter bleiben, will Musk ein Twitter-Konto mit "extrem hoher Rendite" anbieten. Das wiederum würde es Twitter ermöglichen, Kreditkarten, Schecks und andere Finanzdienstleistungen anzubieten. Damit wäre Twitter ein Konkurrent nicht nur zu Paypal, einem Unternehmen, an dem Musk beteiligt war, sondern auch zu traditionellen Banken.

Mitarbeiter sollen Schutz als Whistleblower suchen

Während Musk Pläne schmiedet, Twitter zu einem Geldinstitut umzubauen, befürchtet die verbliebene Belegschaft, dass sie durch das Management gezwungen werden könnte, undurchdachte oder schlicht illegale Änderungen durchzuführen.

So habe etwa die Sicherheitsabteilung betont, dass die aktuelle Vorgehensweise, neue Features ohne irgendeine ernsthafte Überprüfung rasch zu veröffentlichen, komplett verantwortungslos sei – und extrem gefährlich für die Nutzer. So sollen Entwickler selbst überprüfen, ob neue Features den strengen Auflagen der FTC genügen. Ein Risiko, das offenbar viele nicht tragen wollen.

So riet ein Mitglied des Datenschutzteams, offenbar eine Juristin oder ein Jurist, laut "The Verge" den verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Schutz als Whistleblower zu suchen, sollten sie zu Dingen gezwungen werden, bei denen ihnen unwohl ist.

Den neuen Chef von Twitter scheint das alles nicht zu stören: "Die Nutzerzahlen von Twitter steigen. Eines ist klar: Langweilig ist es nicht", jubelte Musk. (pez, 11.11.2022)