Die Menschen in der Eurozone sollten sich auf eine dauerhafte Rückkehr höherer Zinsen einstellen.

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Viele junge Erwachsene sind heuer erstmals bewusst mit einem ihnen zuvor weitgehend unbekannten Phänomen konfrontiert: Zinsen. Seit die Europäische Zentralbank (EZB) im März 2016 den Leitzins auf null gesetzt hatte, schwebte die Eurozone de facto im zinsfreien Raum. Bis die sich seit dem Vorjahr immer stärker aufschaukelnde Inflation die Fortführungen dieser ultralockeren Geldpolitik unmöglich machte. Das Mittel gegen Teuerung sind höhere Zinsen – daher beendete die Notenbank im Juli die Nullzinsphase nach mehr als sechs Jahren.

Seither hat die EZB ihren Leitzins flugs auf zwei Prozent erhöht, Tendenz weiterhin stark steigend. Das hat bereits Auswirkungen auf die Kreditzinsen: Sowohl variable als auch neu zu vergebende Kredite sind bereits empfindlich teurer geworden. "Inflation und steigende Zinsen sind für eine Generation der Österreicher unbekannt", erklärte unlängst Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht. Menschen, die derzeit 30 oder auch schon 40 Jahre alt sind, hätten noch kaum Erfahrungen damit, wie hoch langfristig realistische Durchschnittszinsen sein können.

Erste Bö nach Zinsflaute

Allerdings sollten sie sich daran gewöhnen, denn zu einer Rückkehr des Nullzinses wird es wohl so bald nicht kommen. Vielmehr spricht einiges für eine dauerhafte Rückkehr höherer Zinsen. "Es handelt sich hierbei um eine strukturelle Trendwende, die in eine Welt von mittel- und längerfristig höheren Inflationsraten und damit höheren Zinsen und Renditen führt", sagt Christian Kopf, der für den Vermögensverwalter Union Investment den Anleihenbereich leitet.

Tatsächlich sprechen einige Faktoren für deutlich höhere Inflationsraten als im vergangenen Jahrzehnt: Dazu zählen etwa die Pensionierung der Generation der Babyboomer, was den Arbeitskräftemangel verschärfen wird, teurere Rohstoffe oder auch der Übergang zu erneuerbaren Energien, der zunächst Investitionen erfordert. Generell muss sich Europa von billigem russischem Gas entwöhnen und auch für seine Verteidigung wider selbst mehr Geld in die Hand nehmen.

Inflationsdynamik erhärtet

Auch schon mittelfristig hat sich die Inflationsdynamik in Österreich und Deutschland aus Sicht der Analysten von Raiffeisen Research erhärtet. Die Folge: Das EZB-Ziel einer jährlichen Teuerung in Höhe von zwei Prozent ist demnach so bald nicht zu erreichen. Nach einer Steigerung der Konsumentenpreise um acht Prozent im heurigen Jahr sollen diese hierzulande im Jahr darauf um weitere sechs Prozent zulegen. Auch 2024 werde die Teuerung über drei Prozent bleiben.

"Wir erleben derzeit eine Preisniveausteigerung von 20 Prozentpunkten in wenigen Jahren", sagt Chefanalyst Gunter Deuber. Darauf reagiere die EZB mit einer Fokussierung auf die Inflationsbekämpfung. Sprich, Zinsen werden wohl weitersteigen – auch bei Anleihen.

Anleihen "erste Option"

Die Rendite zehnjähriger österreichischer Staatsanleihen liegt derzeit knapp über drei Prozent – nach bloß 0,1 Prozent zu Jahresbeginn. Unternehmensanleihen spielen bereits jetzt mehr ein. Für Raiffeisen Research eine Zeitenwende am Kapitalmarkt: Auf den derzeitigen Niveaus sehen die Experten Anleihen mittelfristig nicht nur als Alternative, sondern "als erste Option". Sprich, durch die Rückkehr der Zinsen ist die Zeit, in der Aktien als alternativlos galten, wohl zu Ende.

Bitter für Sparbuchfans: Bei den Spareinlagen bewegen sich die Zinsen nur sehr pomadig nach oben. Laut dem Bankenrechner der Arbeiterkammer (AK) kommt das Bestgebot für täglich fällige Einlagen (ohne jegliche Einschränkungen) von der Kommunalkredit Austria, allerdings bei lediglich 0,75 Prozent. Bei vielen Großbanken liegt der Zins noch immer fast bei null. "Es ist zu hoffen, dass es künftig beim Sparen wieder mehr Wettbewerb unter den Banken geben wird", sagt AK-Finanzexperte Christian Prantner. (Alexander Hahn, 14.11.2022)