Die EU-Kommissionspräsidentin versucht im Streit um die Gaspreisregulierung wieder einmal den Spagat zwischen nationalen Eigeninteressen und gemeinschaftlichen solidarischen Lösungen auf EU-Ebene.

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Ist es nur ein weiteres Kapitel im Katz-und-Maus-Spiel zwischen EU-Kommission und den in Sachen "Gaspreisdeckel" zerstrittenen Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten? Oder nähert sich das Ringen um neue Mechanismen zum Einbremsen der Gaspreise doch einer Lösung, möglichst vor Weihnachten?

Diese Fragen warf die EU-Zentralbehörde Freitagnachmittag auf. Sie präsentierte erneut ein Konzept zur Regulierung des Gashandels im Binnenmarkt samt Solidaritätsverpflichtungen für die Länder bzw. mit daran anzuknüpfenden Reformen auch für den übrigen Strom- und Energiemarkt. Es sei dies als "ernsthafter Vorschlag" zu werten, hieß es in Ratskreisen.

Zwar werde es noch dauern, bis man im Detail wisse, wohin die Reise gehe und ob Veränderungen im Großhandelssystem am Ende zu deutlich niedrigeren Gaspreisen bei den Endkunden führen werden. Das betrifft Privathaushalte ebenso wie große Industriebetriebe.

Die Hoffnung lebt: Geplant ist, dass die Energieminister in zehn Tagen zu einer Sonderratssitzung in Brüssel zusammenkommen, um eine Entscheidung zu treffen.

Was ist dabei zu erwarten? Wie berichtet, haben die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel Ende Oktober die Kommission beauftragt, das leidige Problem der exzessiven Gaspreise konkret zu attackieren, sprich, Gesetzesvorschläge auf den Tisch zu bringen, die zumindest eine breite Mehrheit – wenn schon nicht Einhelligkeit – bei den Staaten finden könnten. Eine politische Einigung ist trotz monatelanger Bemühungen seit dem Frühjahr nicht gelungen. Die Sorge vor "kalten Wohnungen" und Betriebsschließungen im Winter und der Zorn der Bürger über die hohen Energiepreise setzten die Regierungen enorm unter Druck.

Vor allem exzessive Gaspreise im August trugen dazu bei, weil sie indirekt über den Strombinnenmarkt bzw. die "Merit-Order" bei Kraftwerken auch die Strompreise pushen.

Kein Modell Spanien

Manche Staaten wie Spanien und Portugal setzten daher auf direkte staatliche Stützung der Preise und Preisobergrenzen (Caps). Andere, wie etwa Deutschland, zahlten quasi jeden Preis auf den Märkten, um ihre Gaslager vollzubekommen, was die Preisentwicklung antrieb. Wieder andere, wie die Osteuropäer und auch Österreich, sperrten sich gegen Preisdeckel für russisches Gas, von dem sie stark abhängig sind, weil zu befürchten wäre, dass dann gar kein Gas mehr käme.

Über allem schwebte die Angst, dass allzu forsche Eingriffe in den Markt nicht nur die Versorgungssicherheit gefährden, sondern am Ende erst recht zu noch höheren Preisen führen könnten. Das milde Wetter in weiten Teilen Europas bis November und der starke Rückgang des Gasverbrauchs im Vergleich zum Vorjahr haben Spannungen abgebaut.

Die Gaspreise sind weit weg von den Spitzen im Sommer, wenngleich Flüssiggas (LNG) in Europa noch immer fünfmal so teuer ist wie in den USA. Und die Abhängigkeit der EU als Ganzer von russischem Gas wurde seit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich reduziert.

In Deutschland wurde sogar mit dem grünen Dogma des Atomausstiegs gebrochen. Das und einiges mehr bietet nach Ansicht der Kommission nun die Chance, in den kommenden Tagen einen Kompromiss zu finden und gesetzliche Regelungen auf EU-Ebene zu fixieren.

Marktkorrektur

Im Zentrum steht dabei das Konzept eines "Marktkorrekturmechanismus" bei den Preisen im Großhandel, gemessen am niederländischen TTF, einem Gashub. Wie beim Börsenhandel will die Kommission keine absoluten Preisobergrenzen im Handel einführen. Allerdings soll es so etwas wie "Korridorpreise" geben, die in der Regel nicht überschritten werden dürfen. Stiege der Gaspreis exzessiv über ein bestimmtes Niveau, so käme es zum Aussetzen des Handels, bis sich die Lage wieder normalisiert hat.

Damit könnte man die Differenzen zwischen prinzipiell marktwirtschaftlich orientierten Staaten wie Deutschland oder Niederlande einerseits und den auf staatliche Eingriffe mit Budgetmitteln setzenden Ländern wie Spanien, Frankreich oder Italien ausgleichen. Ob es zur Einrichtung eines eigenen EU-Fonds zum gemeinsamen Einkauf, einem Verteilungsschlüssel durch die Kommission oder Solidaritätsverpflichtungen der Nationalstaaten kommt, wie die Kommission will, wird man sehen. Die Chancen auf Einigung sind jedenfalls gestiegen. Denn die neue große Gaseinkaufswelle beginnt bald, im April 2023, wenn die Vorsorge für den Winter 2023/24 getroffen wird. (Thomas Mayer, 12.11.2022)