Joseph Blatter hadert mit seinem Nachfolger.

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Das iranische Team wurde im Vorfeld der WM abgeschirmt. Rede und Antwort stand nur Trainer Carlos Queiroz.

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Von der Tribüne herab lässt sich trefflich keppeln. Joseph "Statler" Blatter braucht dazu keinen Muppets-Partner namens Waldorf. Ihm geht dieser Tage auch solo förmlich der Mund über vor Kritik an Gianni Infantino, seinem Schweizer Landsmann und Nachfolger im Amt des Präsidenten des Fußball-Weltverbandes Fifa. Zu entscheiden hat der 86-Jährige längst nichts mehr, aber hätte er, versicherte Blatter im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Zürich, dann müsste die Weltmeisterschaft in Katar am 20. November mit nur 31 Mannschaften auskommen. "Man sollte den Iran von der WM ausschließen", sagte Blatter. Russland dürfe schließlich infolge des Krieges gegen die Ukraine auch nicht teilnehmen.

Präsident Blatter, sagte Pensionist Blatter, hätte den Iran also wegen des brutalen Vorgehens des Regimes gegen Protestierende kurzfristig die sechste WM-Teilnahme verweigert. Infantino werde in Sachen Iran nicht tätig. Blatter: "Es müsste jemand von der Fifa machen, der Courage hat. Aber Infantino hat ja nicht einmal den Mut, Journalisten eine Antwort zu geben."

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Brief ans Christkind

Blatter hatte natürlich nichts gegen die drei WM-Teilnahmen des Iran unter seiner Präsidentschaft (1998, 2006 und 2014) einzuwenden, brachte aber immerhin wieder ein Thema aufs Tapet, das zuletzt bei all der Kritik an Gastgeber Katar in den Hintergrund getreten war. Tatsächlich hat Infantino Forderungen nach Sanktionen gegen den Iran völlig ignoriert. "Warum sollte die Fifa dem iranischen Staat und seinen Vertretern eine weltweite Bühne geben", fragte die iranische Frauenrechtsbewegung Open Stadiums in einem offenen Brief an den 52-jährigen Fußballboss und wies auf die Unterdrückung der Proteste infolge des Todes von Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei und auf die insgesamt inakzeptable Lage von Frauen im Iran hin. Sie seien auch im Fußball nicht vor Repressionen sicher. Infantino selbst hatte 2019 die Öffnung von Fußballstadien für Frauen bei Fifa-Partien in der Islamischen Republik gefordert. Nach zaghaften Zugeständnissen kam es immer wieder zu frauenfeindlichen Zwischenfällen in Stadien.

Der Ausschluss der iranischen Mannschaft von der WM träfe nicht zuletzt auch Spieler, die mit den Demonstrationen gegen das Regime sympathisieren. Die Truppe des portugiesischen Trainerroutiniers Carlos Queiroz wurde in der Vorbereitung, die sich auch zu Spielen nach Österreich führte, streng abgeschirmt. Im letzten Test vor der Reise zur WM gelang am vergangenen Donnerstag ein 1:0 über Nicaragua, das erste Turnierspiel des Iran steigt am 21. November gegen England. Am letzten Spieltag der Gruppe B, die auch Wales schmückt, kommt es zum brisanten Treffen mit den USA.

US-Coach Gregg Berhalter hat zuletzt angekündigt, dass seine Spieler in Katar auch öffentlich gesellschaftliche Themen ansprechen werden. Die Fifa wird genau kontrollieren, in welcher Form das geschieht. Den Dänen wurde bereits offiziell untersagt, die Botschaft "Human Rights for All" auf ihren Trainingsshirts zu tragen. Politische, religiöse oder persönliche Slogans auf der Ausrüstung sind im rechtlichen Handbuch der Fifa untersagt. "Wir bedauern das, aber wir müssen es berücksichtigen", sagte Jakob Jensen, Generalsekretär des dänischen Verbandes. Aus Sicht der Dänen, die dennoch in ganz in Schwarz gehaltenen Shirts als Zeichen gegen die Ausbeutung von Arbeitern auflaufen werden, handele es sich bei dem Slogan nicht um eine politische Botschaft. Dänemark zählt zu den Ländern, die sich besonders kritisch über die Vergabe der WM an Katar geäußert haben. Trotz allem wolle man sich aber an die Entscheidung halten, um Sanktionen zu vermeiden.

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Kapitäne unter Beobachtung

Für weiteren Zündstoff könnten in den kommenden Tagen auch die "One Love"-Binden sorgen, die Kapitäne einiger Mannschaft während der WM-Spiele als Zeichen für Vielfalt tragen wollen. Ob die Fifa den Deutschen Manuel Neuer, den Engländer Harry Kane oder den Franzosen Hugo Lloris gewähren lassen, ist bisher offen.

Präsident Infantino zeigte sich am Freitag beim Empfang der WM-Schiedsrichter in Doha jedenfalls demonstrativ in bester Stimmung und posierte in roter Trainingsjacke für Fotos. Die Kritik seines Vorgängers Blatter ficht den insgesamt schmerzbefreiten Besitzer eines Domizils in Katar nicht an. (Sigi Lützow, 12.11.2022)