Online-Umfragen funktionieren besonders schnell – ergänzt werden sie durch persönliche Interviews, die ebenfalls computerunterstützt geführt werden.

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Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Wie die nächste Nationalratswahl ausgehen wird? Das jetzt vorhersagen zu wollen ist Scharlatanerie. Demoskopie kann das nicht leisten. Aber zugegeben: Spannend wäre es ja doch, den Wahlausgang zu kennen – angenommen, dass schon am Sonntag die nächste Wahl stattfinden würde. Und genau dieser Spannung halber werden im Verlauf einer Legislaturperiode Hunderte von Umfragen in Auftrag gegeben, in denen (unter anderem) die sogenannte Sonntagsfrage gestellt wird.

Sonntagsfragen sind keine Prognosen

Aus den Antworten auf die Fragen, welche Partei man wählen würde und welchen Spitzenkandidaten man direkt wählen würde, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären, lässt sich in Kombination mit der Rückerinnerungsfrage (welche Partei man zuletzt gewählt hat) recht gut ableiten, wie eine Wahl jetzt ausgehen würde. Gewisse statistische Unsicherheiten – zur Schwankungsbreite kommt noch der Hochschätzfehler hinzu – sind dabei allerdings zu bedenken.

Aber das ist noch nicht alles. Daher noch einmal: Eine aus einer Umfrage gewonnene Hochrechnung ist keine Aussage über den Wahlausgang und kann das auch gar nicht sein – es sei denn, man stellte diese Fragen tatsächlich in der Woche vor der Wahl. Wenn aber zwischen dem Umfragezeitpunkt und der Wahl Monate oder gar Jahre und entsprechend viele politische Ereignisse und Wahlkampfauftritte liegen, dann kann sich die Lage erheblich ändern. Wir schreiben das auch immer wieder dazu, wenn wir uns mit den Ergebnissen der Sonntagsfrage beschäftigen.

Orientierungshilfe zur Lage der Parteien

Häufig kommt dann die Kritik: Warum werden diese Fragen dann überhaupt gestellt? Das hat zwei Gründe: Erstens stellt die Sonntagsfrage und die daraus erstellte Hochschätzung eine Orientierungshilfe zur aktuellen Lage der Parteien dar – Parteien (die solche Umfragen natürlich ebenfalls in Auftrag geben) leiten daraus beispielsweise ab, ob sich für sie vorgezogene Wahlen lohnen könnten. Für die derzeitige türkis-grüne Parlamentsmehrheit wäre es angesichts der aktuellen Einschätzung des Wählerverhaltens wohl nicht attraktiv, die Nationalratswahlen vorzuziehen, weil diese Mehrheit wohl nicht zu erreichen wäre. Ob sie Interesse hätte, dass ihr das laufend unter die Nase gerieben wird? Eher nicht – vielleicht hätte eher die Opposition Interesse, die für die Regierungsparteien ungünstigen Ergebnisse zu lancieren. Darauf sollte sich ein unabhängiges Medium aber nicht verlassen müssen. Daher ist es für den STANDARD wichtig, hier unabhängig Meinungsforschung in Auftrag geben zu können.

Was man auch wissen muss: Kein Auftraggeber – weder Parteien, Verbände, Ministerien und natürlich auch nicht der STANDARD – ist primär an den Ergebnissen der Sonntagsfrage interessiert. Vielmehr werden politische Umfragen gemacht, um die Haltung der wahlberechtigten Bevölkerung zu aktuellen Entwicklungen oder zu grundsätzlichen Erwartungen zu erheben.

Politische Einstellungen und gesellschaftliche Entwicklungen

Und da ist es wiederum interessant zu sehen, dass erklärte Wähler der einen oder anderen Partei bestimmte Einstellungen etwa zur Sozial-, Steuer- oder Sicherheitspolitik haben. Die Sonntagsfrage hilft hier, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Parteiwählerschaften zu erkennen – ähnlich wie man in den Daten Muster in den Präferenzen verschiedener Alterskohorten, Bildungsschichten oder auch regionaler Bevölkerungsgruppen erkennen kann. Politische Parteien nutzen solche Erkenntnisse mehr oder weniger geschickt, um ihre Politik danach auszurichten – der STANDARD kann durch seine eigene Meinungsforschung anschaulich machen, wie das funktioniert und welche Themen die Bevölkerung ebenso wie die Politik bewegen.

Der STANDARD hält sich dabei seit vielen Jahren bevorzugt an eine Zusammenarbeit mit dem Linzer Market-Institut, mit dem ein Rahmenvertrag besteht. So kann die Redaktion gemeinsam mit dem Institut die Fragebögen entwickeln und teilweise auf sehr lange Zeitreihen und Vergleichsdaten zurückgreifen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu dokumentieren. In jeder Umfragewelle werden daher mehrere aktuelle Fragenkomplexe behandelt, die dann jeweils gesondert im STANDARD dargestellt werden. In der meist umfangreicheren Online-Darstellung werden die Umfragedaten und markante Einzelergebnisse auch tabellarisch oder grafisch dokumentiert.

800 Befrage pro Welle – online und persönlich

Technisch handelt es sich bei diesen Umfragen um einen Mix aus Online-Befragungen und persönlichen Interviews, bei denen Interviewer die Befragten aufsuchen und computerunterstützt befragen (man spricht von CAPI-Samplepoints, was für "computer assisted personal interviews" steht). Dies ermöglicht eine Datenerfassung innerhalb weniger Tage und eine zeitnahe Auswertung – immerhin müssen pro Welle mindestens 800 Interviews zusammengefasst werden.

Zusätzlich zu den vom STANDARD beauftragen und bezahlten Meinungsforschungsprojekten werden der Redaktion immer wieder Umfrageergebnisse anderer Institute und Auftraggeber angeboten. Zum Beispiel erstellt das OGM-Institut für die Austria Presse Agentur regelmäßig einen Vertrauensindex, dessen Ergebnisse allen Medien zur Verfügung gestellt werden. Wenn solche Ergebnisse gut dokumentiert sind und die Hintergründe klargestellt sind, werden gelegentlich auch solche Umfragen veröffentlicht – so transparent, wie das eben möglich ist. (Conrad Seidl, 20.11.2022)