Eine iranische Flagge auf einer Demonstration in Barcelona als Zeichen der Solidarität mit den anhaltenden Protesten im Iran.

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Teheran – Wegen des Vorgehens gegen die Protestbewegung im Iran hat die Europäische Union weitere Sanktionen gegen die Führung in Teheran verhängt. Betroffen von den Strafmaßnahmen sind 29 Personen und drei Organisationen, wie EU-Chefdiplomat Josep Borrell beim Treffen der 27 Außenministerinnen und Außenminister am Montag in Brüssel mitteilte. "Wir stehen an der Seite der iranischen Bevölkerung und ihrem Recht, friedlich zu protestieren und ihre Forderungen und Ansichten frei zu äußern", sagte der EU-Außenbeauftragte. Zu den Sanktionen gehören Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten.

Innenminister und Sittenpolizei bestraft

Mit Strafen belegt wurde etwa Press TV, der englischsprachige staatliche Auslandssender Irans, sowie das IT-Unternehmen Arvan Cloud, das bei der Einschränkung des Internets im Iran eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Auch Großbritannien verhängte neue Sanktionen gegen führende Beamte. Neben Irans Innenminister Ahmad Wahidi wurden außerdem mehrere regional tätige Offiziere der Revolutionsgarden sowie Sicherheitsbehörden mit Sanktionen belegt.

Zu den sanktionierten Personen gehören auch vier Mitglieder der iranischen Sittenpolizei, die die 22-jährige Mahsa Amini wegen eines Verstoßes gegen die Auflagen für Frauen zum Tragen des Kopftuchs festgenommen hatte. Amini war nach ihrer Festnahme Mitte September gestorben, seitdem gibt es in der Islamischen Republik anhaltende Proteste gegen die radikalislamische Führung, die ihrerseits mit Härte gegen Demonstranten vorgeht.

"Wir senden ein erneutes und zwar unmissverständliches Signal an das iranische Regime: Menschenrechte sind unteilbar", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei ihrer Ankunft in Brüssel.

Iran kritisiert Deutschland

Der Iran kritisierte die neuen Sanktionen umgehend, insbesondere Deutschland. "Die deutschen Behörden sollten sich die Geschichte ihres eigenen Landes ansehen, die Geschichte der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Bewaffnung eines Aggressorregimes gegen den Iran. Deutschland ist nicht in einer Position, den Iran zu tadeln", sagte Außenamtssprecher Nasser Kanaani nach Angaben von Staatsmedien.

Er sagte nicht, welchen Staat er meinte. Teheran betrachtet Israel und die USA als Erzfeinde, auch Saudi-Arabien ist ein regionaler Rivale. Sanktionen würden den Iran nicht beeinflussen, sagte der Sprecher weiter.

Ex-Präsident Khatami gegen Umsturz

Der frühere iranische Präsident Mohammed Khatami (1997-2005) hat indes Forderungen nach einem politischen Systemwandel zurückgewiesen und sich für Reformen ausgesprochen. "Ein Umsturz ist weder möglich noch wünschenswert", sagte der 79 Jahre alte Politiker nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna am Montag.

"Die Fortsetzung der gegenwärtigen Situation wird die Gründe für den sozialen Zusammenbruch erhöhen, die kostengünstigste und nützlichste Lösung ist die Selbstreform des Systems", erklärte Khatami weiter. Der Ex-Präsident wird dem Reformlager zugeordnet. Dennoch lehnen viele Menschen, die seit Wochen im Land auf die Straßen gehen, die Positionen der Reformpolitiker ab. Bereits in den vergangenen beiden Monaten kritisierten die Demonstranten die Politiker als "Männer des Systems". Ein Großteil der Demonstranten hält Reformen für unmöglich und fordert einen Sturz der Islamischen Republik.

Khatami sagte weiter: "Die neue Generation – die ihre eigene Welt hat – ist unser großes Kapital für heute und morgen. Wenn wir ihre Forderungen nicht erfüllen wollen oder können, sollten wir zumindest ihre Mentalität, ihre Hoffnung und ihren Protest verstehen."

Sorge um Blogger

Unterdessen wächst die Sorge um den Gesundheitszustand des prominenten inhaftierten Bloggers Hossein Ronaghi. Hunderte Menschen versammelten sich in der Nacht auf Montag nach Angaben von Augenzeugen in der Hauptstadt Teheran vor einem Krankenhaus. Dort wird der bekannte Aktivist, der sich seit mehr als einem Monat im Hungerstreik befindet, behandelt. Die Demonstranten riefen Protestslogans und forderten Ronaghis Freilassung. Polizei und Sicherheitskräfte reagierten mit Tränengas.

Nach der Behandlung soll der Aktivist an einen unbekannten Ort gebracht worden sein, erklärten Familienmitglieder. Der 37-Jährige zählt zu den bekanntesten Menschenrechtlern im Iran. Kurz nach Ausbruch der Proteste im September war er während eines TV-Interviews von Sicherheitskräften überrascht worden.

Verdacht auf Folter

Wenige Tage nach seiner Flucht stellte sich Ronaghi den Behörden und wurde gewaltsam festgenommen. Seine Familie wirft dem Sicherheitsapparat vor, ihn im berüchtigten Evin-Gefängnis gefoltert und ihm beide Beine gebrochen zu haben. Am Wochenende schrieb Ronaghis Bruder Hassan auf Twitter: "Hosseins Leben ist in Gefahr."

Immer wieder ist die Staatsmacht während der vergangenen Wochen gegen bekannte Aktivisten und Prominente vorgegangen, die sich solidarisch mit den Protesten zeigten. Rund 15.000 Demonstranten wurden nach Angaben von Menschenrechtlerin bereits verhaftet. Die Justiz fordert harte Urteile. (APA, Reuters, red, 14.11.2022)