Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Außenminister Alexander Schallenberg im Libanon.
Foto: Michael Gruber

In meiner ersten Redaktion galt folgendes Credo: Wer nicht dabei ist, ist nicht dabei. Pressereisen mit hochrangigen Politikerinnen und Politikern wurden grundsätzlich besetzt. "Nicht wegen der offiziellen Termine", sagte mir damals meine Chefin, sondern wegen des Abends danach. Wegen der Menschen, die man abseits der Termine kennenlernt. Und wegen der Eindrücke. Ein Gefühl bekommen für das Land, Vorurteile abklopfen und revidieren, den Horizont erweitern. Je öfter, desto besser.

Pressereisen vermitteln Hintergrundinformationen, machen bislang Abstraktes erlebbar und besser nachvollziehbar. Die Mischung aus professioneller Zusammenarbeit mit Politikern und Politikerinnen oder aber auch mit NGOs und Interessenvertretungen – das ist immer eine Gratwanderung, mit der man in unserer Branche umgehen muss.

Kontext und Einordnung

Als Journalistin muss man sich natürlich bewusst sein, dass das, was einem vorgeführt und gesagt wird, ein Ausschnitt ist, der aus einem bestimmten Blickwinkel gezielt gewählt wurde. Bei Pressereisen gilt es also immer, so weit wie möglich auch auf eigene Faust zu recherchieren, sich Termine zu vereinbaren, die nicht im Programm stehen. Sollte das nicht möglich sein, versuchen wir, dem Leser und der Leserin zumindest Kontext und Einordnung mitzuliefern.

Sich zwischendurch zu absentieren, um eigene Wege zu gehen, ist vor allem auf Politikerreisen nicht immer machbar. Quasi unmöglich war das meist auf Reisen von Sebastian Kurz, egal, ob in seiner Funktion als Außenminister oder als Bundeskanzler. Er war bekannt für straffe Programmorganisation: 30 Stunden Nettoflugzeit in einer Viertagesreise in drei Nationen war da eher Normalität als Ausnahme.

NGOs haben auch ihre Interessen

Das andere sind die Reisen mit bestimmten Organisationen, die natürlich ebenfalls ihre Interessen verfolgen. Das Geld, die Arbeitszeit sollen schließlich nicht umsonst investiert sein. Medienarbeit hat vor allem bei NGOs, die auf Spenden angewiesen sind, einen großen Stellenwert. In der Zusammenarbeit versuchen diese aber auch meist, freie Zeiten für Eigenrecherchen zu ermöglichen.

Wir Journalisten und Journalistinnen haben die Pflicht, vorhandene Interessen auch offenzulegen beziehungsweise klar zu kennzeichnen, wer die Reise (mit-)finanziert und organisiert hat. Das ist sowohl demokratiepolitisch als auch für die Glaubwürdigkeit der ganzen Branche wichtig. Unsere – im Vergleich zu einigen anderen Medienhäusern eher strengen – Leitlinien schreiben das außerdem vor.

Finanzierung der Reisen

Üblich ist es übrigens in den allermeisten Fällen, sich die Kosten bei politischen oder humanitären Pressereisen zu teilen. Einen Teil bezahlt das jeweilige Ministerium oder die NGO, den anderen die Redaktionen. Die Europäische Union stellt beispielsweise ein Gesamtbudget zur Verfügung.

Den Umwälzungen in der Medienbranche und dadurch knapper gewordenen Reisebudgets ist es geschuldet, dass diese Reiseangebote inzwischen manchmal die einzige Möglichkeit sind, um vor allem im Ausland Geschichten vor Ort zu recherchieren. Viele gute Geschichten würden nicht geschrieben, gäbe es diese Reisen nicht. (mhe, 28.11.2022)