Ein im Juni getroffener Kompromiss erlaubt den Vertragsstaaten, fossile Energien stufenweise vom Investitionsschutz auszunehmen.

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Der Vertrag über die Energiecharta schlägt derzeit hohe Wellen in der europäischen Klimapolitik. Es handelt sich dabei um einen völkerrechtlichen Vertrag mit mehr als 50 Vertragsparteien, darunter die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin ein Hindernis für die Energiewende, weil er es Unternehmen ermöglicht, Staaten vor Schiedsgerichten auf Schadenersatz zu klagen. So haben etwa die deutschen Energieunternehmen RWE und Uniper die Niederlande aufgrund des geplanten Kohlekraftausstieges wegen Verletzungen des Energiecharta-Vertrags geklagt.

An sich soll das Regelwerk Investitionen von ausländischen Unternehmen im Energiesektor vor staatlichen Eingriffen wie entschädigungslosen Enteignungen schützen und einen rechtlichen Rahmen bieten. Gegenwärtig schützt der Vertrag Investitionen sowohl in fossile als auch erneuerbare Energie. Trotz geplanter Modernisierung sehen ihn mehrere EU-Mitgliedsstaaten als unvereinbar mit den Klimazielen des Pariser Übereinkommens.

Weniger Investitionsschutz für fossile Energiequellen

Der von der EU erarbeitete Modernisierungsvorschlag soll diese Vorgaben stärker berücksichtigen. Kernstück der Reform ist der schrittweise Ausschluss des Investitionsschutzes für fossile Energiequellen. Ein im Juni getroffener Kompromiss führte zwar zu keinem kompletten Ausschluss, erlaubt aber den Vertragsstaaten, fossile Energien stufenweise vom Investitionsschutz auszunehmen. Dieser Kompromiss muss am 22. November von den Vertragsparteien der Energiecharta grünes Licht erhalten. Einigen EU-Mitgliedsstaaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Polen, Slowenien und Spanien – geht der Vorschlag jedoch nicht weit genug; sie planen einen Rücktritt vom Vertrag.

Ein derartiger Rücktritt würde Investoren aus anderen Vertragsstaaten allerdings nicht sofort den Zugang zur Schiedsgerichtsbarkeit versperren. Vielmehr wird dieser erst nach einem Jahr wirksam und löst zudem die Fortgeltungsklausel ("Sunset-Clause") aus, die bestehende Investitionen für weitere 20 Jahre schützt. Ein Ausschluss der Fortgeltungsklausel zwischen austrittswilligen Staaten ist mit Rechtsunsicherheit verbunden und würde nicht verhindern, dass sich Investoren aus anderen Vertragsstaaten weiter drauf berufen können. Italien trat als einziger EU-Staat bereits 2016 vom Energiecharta-Vertrag zurück. Aufgrund der Fortgeltungsklausel bleibt der Investitionsschutz in Italien für die bis 2016 getätigten Investitionen bis 2036 aufrecht.

Rücktritt betrifft auch Erneuerbare

Ein Rücktritt bedeutet also, dass sowohl neue fossile als auch erneuerbare Investitionen nicht mehr vom Schutz erfasst sind, bestehende Investitionen aber für weitere 20 Jahre. Somit wären fossile Investitionen in der EU beim Rücktritt wohl zehn Jahre länger geschützt als unter dem modernisierten Vertrag. Ergo könnte ein Rücktritt erst recht mit den Klimazielen unvereinbar sein.

Obwohl die Energiecharta hauptsächlich aufgrund von Klagen zu Atomkraft- und Kohleausstieg für Aufsehen sorgte, behandelte die Mehrheit der Schiedsverfahren nach dem Energiecharta-Vertrag – etwa 60 Prozent – Investitionen in erneuerbare Energien. Deren Ausbau und die Steigerung privater Investitionen spielen eine entscheidende Rolle für die Energiewende. Ein stabiler rechtlicher Rahmen ist wesentliche Voraussetzungen dafür.

Energiecharta als internationales Regelwerk

Durch den Ausschluss fossiler Energien könnte die modernisierte Energiecharta daher auch als internationales Regelwerk zur Förderung "klimafreundlicher" Investitionen betrachtet werden. Ob der Vertrag dieses Potenzial verwirklichen kann oder die geplanten Rücktritte zum Ende der Modernisierung bzw. des Vertrages über die Energiecharta führen, wird sich wohl frühestens am 22. November bei der Konferenz der Vertragsparteien zeigen. Mitte der Woche tagt der EU-Rat, um eine gemeinsame Linie zu beschließen.
(Johannes Tropper, Kilian Wagner, 14.11.2022)