Im Gastblog präsentieren die Politikwissenschafterinnen Tamara Ehs und Katrin Praprotnik eine Analyse der Zusammensetzung des Klimarats.

Die politische Stimmung in Österreich ist auf einem Tiefpunkt. Nur mehr rund 60 Prozent der Menschen sind mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie, politischen Affären und einer massiven Teuerung mag dieser Befund nicht überraschen.

Zur Stärkung der allgemeinen Demokratiezufriedenheit, aber auch zur Verbesserung der Politikgestaltung greift die Politik immer häufiger auf Bürgerräte zurück, die per Losverfahren ausgewählte Bürgerinnen und Bürger einladen, über politische Lösungen zu debattieren. Dabei werden sie meist von Expertinnen und Experten des jeweiligen Gebiets durch Vorträge unterstützt. Die Diskussionsergebnisse dienen als Empfehlung für die Politik, sind also unverbindlich. In Österreich hat Vorarlberg jahrelange Erfahrung mit Bürgerräten, aber auch zahlreiche Gemeinden in anderen Bundesländern nutzen das Instrument.

Der Klimarat präsentierte am 4. Juni seine Ergebnisse – doch wie repräsentativ sind die dort vertretenen Haltungen?
Foto: IMAGO/SEPA.Media/Martin Juen

Klimarat: Erster bundesweiter Bürgerrat

Der Klimarat markierte den ersten von der Politik initiierten nationalen Bürgerrat. Zwischen Jänner und Juni 2022 waren über 80 zufällig ausgewählte Personen aufgerufen, Empfehlungen auszuarbeiten, wie Österreich bis 2040 klimaneutral werden kann. Dieser "Klimarat der Bürgerinnen und Bürger" (Klimarat) wurde von Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) in Auftrag gegeben und beruht auf einem Entschließungsantrag des Nationalrats. Darin hatten Abgeordnete von ÖVP, Grünen und Neos die Bundesregierung um die Einsetzung eines Klimarats ersucht, wie er im Klimavolksbegehren gefordert worden war.

"Breite Repräsentativität" als Ziel

Da der Zusammensetzung des Klimarats medial besondere Aufmerksamkeit zukam (DER STANDARD berichtete), fassen wir unsere diesbezüglichen Forschungsergebnisse zusammen:

Die Teilnehmenden eines Bürgerrats werden nicht gewählt, sondern gelost. Damit ein Bürgerrat als Instrument zur Stärkung der Demokratie – im Sinne einer gesteigerten Demokratiezufriedenheit und verbesserten Politikgestaltung – fungieren kann, ist genau dieser Schritt essenziell: Hat jede und jeder die gleiche Chance, in den Bürgerrat gelost zu werden? Sind unterschiedliche Interessen berücksichtigt? Freilich ist es bei einer Grundgesamtheit von rund sieben Millionen Personen über 16 Jahren und einer Teilnehmendenzahl von rund 100 Personen nicht möglich, exakte Repräsentativität zu erreichen. Der Maßstab ist vielmehr gemäß OECD-Richtlinie eine "breite Repräsentativität", sodass sich jeder und jede in den Teilnehmenden wiederfinden kann.

Einladung zur Teilnahme am Klimarat

Die Statistik Austria war beauftragt, die Mitglieder des Klimarats zu rekrutieren. Auf Basis der Daten des Zentralen Melderegisters wurden rund 2.000 Personen zufällig ausgewählt und per Brief zur Teilnahme eingeladen. Ziel der Auswahl war, dass die Eingeladenen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung entlang der Merkmale Alter, Geschlecht, Bildung, Region, Geburtsland, Urbanisierungsgrad und Haushaltseinkommen sind. 128 Personen zeigten Interesse, am Klimarat teilzunehmen.

Die Corona-Pandemie führte schließlich zu einer Verschiebung des Starttermins und in weiterer Folge zu Absagen beziehungsweise der Ausladung von bereits zur Teilnahme bereiten Personen. Letztlich lagen zum ersten Klimaratswochenende nur mehr 98 Zusagen vor, 82 Personen erschienen tatsächlich. Die Absagen waren auch den verschärften Corona-Regeln geschuldet: Gegenläufig zu anderen Staaten während der Pandemie hielt Österreich den Klimarat als Präsenzveranstaltung ab und ließ nur geimpfte und/oder genesene Personen teilnehmen. Damit wurden rund 13 Prozent der österreichischen Bevölkerung von der Teilnahme ausgeschlossen.

Ebenfalls im Gegensatz zur guten Praxis anderer Klimaräte erfolgte kein persönlicher Erstkontakt mit möglichen Teilnehmenden. In Deutschland etwa wurden die Bürgerinnen und Bürger durch Telefonate zur Teilnahme eingeladen, in Irland klingelten die Organisatorinnen und Organisatoren gar an den Haustüren, um Menschen zum Mitmachen aufzufordern. Eine sogenannte "aufsuchende Beteiligung" kann dazu beitragen, dass Personen, die sich sonst nicht so häufig am politischen Prozess beteiligen, doch zur Teilnahme bereiterklären.

Klimarat als "Mini-Österreich": Soziodemographie

Die Zusammensetzung des Klimarats entsprach in weiten Teilen jener der österreichischen Bevölkerung und war damit "breit repräsentativ" (siehe Abbildung 1).

Die Abweichungen bei Geschlecht, Bildung, Einkommen und Wohnort zu den relevanten Vergleichsgruppen in der Gesamtbevölkerung machten maximal fünf Prozentpunkte aus. Größer waren die Abweichungen beim Alter, insbesondere war die Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen unterrepräsentiert. Eine auffälligere Abweichung gab es auch beim Kriterium Geburtsland, da insbesondere Personen aus einem Nicht-EU-Staat unterrepräsentiert waren.

Klimarat als "Mini-Österreich": Einstellungen zum Klimawandel

Nicht Teil des Auswahlverfahrens waren die Einstellungen der Teilnehmenden zum Thema Klimawandel und zur Politik im Allgemeinen. Einstellungen zum Klimawandel waren zwar im Einladungsprozess abgefragt, letztlich aber nicht für die Auswahl herangezogen worden. Dies war methodisch unsauber, zumal die Fragen teilweise auf soziale Erwünschtheit tendierten und eine Selbstselektion von bereits klimaaktiven Bürgerinnen und Bürgern förderten.

Wenig überraschend waren die Einstellungen zum Klimawandel unter den Klimarätinnen und Klimaräten nicht repräsentativ für die österreichische Bevölkerung (siehe Abbildung 2).

Die Befragung der Teilnehmenden im Vergleich zu einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage (für die österreichische Wohnbevölkerung ab 16 Jahren mit einem Wohnsitz in Österreich seit mindestens fünf Jahren) durch Gallup zeigte, dass die Teilnehmenden durchgängig für eine strengere Klimapolitik als die Bevölkerung eintraten. Keinen relevanten Unterschied gab es hingegen in Bezug auf das subjektive Wissen zum Klimawandel und in der Bewertung der Klimapolitik der österreichischen Bundesregierung.

Lerneffekte aus dem Klimarat

Diese Ergebnisse sind ein Einblick in die Evaluation des Klimarats. Sie zeigen, dass durchaus vielfältige Bevölkerungsschichten erreicht und zur Teilnahme motiviert werden können, auch wenn es methodisch noch Verbesserungsbedarf bei der Rekrutierung gibt. Will man aber auch alle Meinungen in einem Bürgerrat vertreten sehen, müssen sie Teil der vorab definierten Selektionskriterien sein. In einer breiten Repräsentation – auch von Einstellungen zum jeweiligen Thema – liegt ein wichtiger Schlüssel zur Akzeptanz der von Bürgerräten erarbeiteten Lösungen. (Tamara Ehs, Katrin Praprotnik, 29.11.2022)