M.I.A., der tamilisch-britische Weltstar des Hip-Hop und Global Pop, hier bei einem Auftritt im Mai 2022 im kalifornischen Pasadena.

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Alles hängt immer mit allem zusammen. Auch Nina Hagen, die große deutsche Außerirdische und Forscherin in Sachen Freizeitchemie vom Aldebaran, wird sich Anfang Dezember nach gemeinsam mit Major Tom verbrachten Jahren im besagten Sternbild des Stiers mit einem neuen Album zurückmelden. Es trägt den Titel Unity und handelt von Unterdrückung, der Macht des Geldes und natürlich dem kommenden Aufstand und der Revolution der Geknechteten auf Erden. Die Revolution wird laut Hagens programmatischem neuen Song eine der Frauen sein: United Women of the World.

Auch die britisch-tamilische Sängerin und Rapperin Mathangi "Maya" Arulpragasam alias M.I.A. hat ihre Karriere immer als Popstar zumindest nicht ganz von dieser Welt angelegt. Neben einer eventuell wichtigen Erwähnung des Rakententreibstoffs LSD auf ihrem neuen Album Mata erscheint ein Fakt zentral: M.I.A. verwendet ein identes, nach den Sternen greifendes Vokabular wie ihre deutsche Kollegin Nina Hagen. Im Stück Zoo Girl etwa hören wir, dass sie sich in derselben Ausgangslage befindet: "In my own space / My own fucking race / An alien bringing unity in your face." Die Göttinnen kehren aus dem Himmel auf die Erde zurück, um uns aus dem Elend zu erlösen und uns Einheit, Recht und Freiheit zu bringen: Liberté, Egalité, Beyoncé. M.I.A. merkt dazu ergänzend und als erstes Ziel für uns alle leichter erreichbar an: "Freedom is a state of mind."

M.I.A.

Im Gegensatz zu Nina Hagen aber hüllte sich M.I.A. während der letzten Jahre dank böser Zwerge, die aufgrund einer tiefstehenden Sonne lange Schatten auf unseren Planeten werfen, keineswegs in Schweigen. AIM, das letzte musikalische Lebenszeichen, liegt sechs Jahre zurück. In dieser Zeit ist die einst mit Oscar- und Grammy-Nominierungen, etwa für einen Beitrag zum Soundtrack von Slumdog Millionaire erfolgreiche Künstlerin von ihren politischen Ansichten her zunehmend ins Abseits geraten.

M.I.A., die im Exil in London aufgewachsen ist, wohin die Familie aufgrund der Aktivitäten ihres Vaters für die als Terrororganisation eingestuften Tamile Tigers in Sri Lanka flüchten musste, hat sich neben dem Engagement für die Unabhängigkeit der Tamilen immer wieder auch für die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) starkgemacht. Sie ist noch dazu aktive Unterstützerin der Anti-Israel-Bewegung BDS. Sie verteidigt Julian Assange ebenso, wie sie sich durchaus missverständlich bezüglich der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA äußerte. Diese würde medial in den USA die Unterdrückung und Not der Menschen etwa in Syrien überdecken.

Radikaler Chic

Speziell während der Covid-19-Pandemie ist dann Maya Arulpragasam von den harten "indischen" Tabla-, Tribal- und Hip-Hop-Beats ihrer grandios zusammengestanzten ersten Radical-Chic-Alben Arular und Kala oder der auf einem Sample des Songs Straight to Hell der britischen Punkband The Clash beruhenden Single Paper Planes leider zur Klangschale gewechselt. Stichworte: lieber sterben, als sich impfen zu lassen, und die 5G-Sendemasten sind an allem schuld. Pünktlich zum Erscheinen von Mata verteidigte sie auch noch die irren Theorien des ultrarechten Radiomoderators und deshalb frisch verurteilten Verschwörungstheoretikers Alex Jones. Lieber tritt sie dafür ein, Wissenschafter, die sich für die Impfung starkmachen, strafrechtlich zu verfolgen. Kurz, die Frau ist auf Krawall und Ballaballa gebürstet.

MIAVEVO

Musikalisch auf Randale und Böllerbeats angelegt kommen auch die neuen Stücke von Mata über die Hörer und Hörerinnen. Folkloristische Elemente des indischen Subkontinents treffen in Form der seit Jahren bewährten Tabla- und Trommelattacken vermehrt auf einmal freche, einmal beinahe liebliche Frauenchöre und verfremdete Flötensamples. Dazwischen hört man auch einmal, wie Maschinenpistolen, so wie einst bei Paper Planes, durchgeladen werden. Auch M.I.A. selbst hat bei einer Raptechnik, die sich nach wie vor an kindlichen und textlich gegen Körperkult, Influencer, Tiktok und für die "Wahrheit" vorrückenden Abzählreimen orientiert, nur wenig Neues zu bieten, das aber überzeugend. Nennen wir die neue Arbeit wertkonservativ. Politik kommt nur selten vor. Danke.

Für das Video ihrer alte Female-Empowerment-Single Bad Girls von 2012 verpflichtete M.I.A. als Regisseur Romain Gavras. Der Sohn des Polit-Regisseurs Costa-Gavras (Z, Der unsichtbare Aufstand) zeichnet aktuell für den Revolten- und Banlieue-Thriller Athena auf Netflix verantwortlich. Alles hängt mit allem zusammen. Nina Hagen sang einst Zarah (Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n). M.I.A. singt 2022: "When times are difficult, we’re gonna need a miracle." (Christian Schachinger, 15.11.2022)