"Ich möchte hochwertig produzierte Möbel entwerfen, die nicht alle fünf Jahre ersetzt werden", sagt Hanne Willmann.
Foto: Florian Reimann; Thomas Wiuf Schwartz

Beginnen wir mit der Teetasse, die Hanne Willmann auf den Tisch stellt: ein formschönes pastellrosafarbenes Exemplar ohne Griff. Brühheißes Getränk, nicht zum Anfassen geeignetes Geschirr. Der Gast in ihrem Berliner Büro zuckt zusammen. Folgt die Form hier der Funktion? Hanne Willmann, 34 Jahre, Produktdesignerin, lächelt milde. "Sie wollen mit Henkel?", fragt sie, als verlange man die Neuratifizierung der UN-Charta. "Ich habe nur Tassen ohne, ich will Kontakt zum Getränk haben, spüren, dass es heiß ist, und nicht erst, wenn es an der Zunge ist." Erster Designkonflikt im Hause Willmann nach zehn Minuten im Studio. Geht ja gut los.

Hanne Willmann ist eine aufstrebende Designerin in der an aufstrebenden Designmenschen nicht gerade unarmen Stadt Berlin. Sie entwirft Stühle wie bequeme Schäfchenwolken, Sofas zum Kuscheln oder Vasen aus Beton und Klarglas. Sinnlich nennt sie ihre Entwürfe für namhafte Hersteller wie den Möbelriesen Interlübke oder den Keramikspezialisten Villeroy & Boch. Bis sie ihren heutigen Platz gefunden hat, kämpfte sie zwar nicht gegen Windmühlen, aber gegen ein bisschen deutsche Spießigkeit und norddeutsche Schulbürokratie.

Biedermeiermöbel und Sperrmüll-Schreibtisch

Willmann gibt als Erstes zu, dass sie dabei nicht auf eine ästhetische Grundbildung bauen konnte. Ihre Designerziehung ließ nicht auf besondere Begabung hoffen. In der Kindheit besorgten die Eltern ihr einen Flötotto-Schreibtisch – "vom Sperrmüll", wie sie betont. Ansonsten standen im Haus Biedermeiermöbel, der Designer Arne Jacobsen hätte leicht mit Jacobs Kaffee verwechselt werden können. Später, als sie bereits mit dem Designstudium in Berlin begonnen hatte, klagte sie ihren Eltern: "Ich möchte nicht, dass ich irgendwann mal moderne Plastikmöbel lieber mag als handwerklich gestaltete aus Holz. Damals hatte ich einen echten Konflikt." Heute stehen in ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg alte Schränke neben Möbelprototypen, ein Mix aus Materialien und Epochen, das Ordnungsprinzip lautet: Was passt gerade?

Wenn reduziertes deutsches Design auf mexikanisches Handwerk trifft, kommt dabei "La Familia" heraus.
Foto: Florian Reimann; Thomas Wiuf Schwartz

Hanne Willmann weiß, was sie möchte. Welche Probleme gelöst werden müssen, um an ihr Ziel zu kommen. Als Kind ist sie in der Nähe der norddeutschen Mittelstadt Oldenburg aufgewachsen, hat mit dem Vater an der Kreissäge gestanden und mit der Mutter alte Möbel abgeschliffen, ist mit den zwei Brüdern auf Baumhäuser geklettert und hat aus Schrott kleine Rennautos gebaut. "Frei, gleichberechtigt", so beschreibt sie ihre Kindheit, dass sie immer "gern getüftelt, nicht gebastelt" habe, seit sie stehen, laufen und bei Lego-Schiffsbauten ihres Bruders miteingreifen konnte. Das technische Verständnis war ihr wichtig, nicht die feine Ausführung.

Pragmatische Lösungen

Etwa zehn Jahre später stand der erste lebensgroße Konflikt im Raum. Als 16-Jährige nahm sie an einem Schüleraustauschprogramm teil, zog für einige Monate nach Adelaide in Australien, verliebte sich in dieses ganz andere sonnige Leben auf der Südhalbkugel, wollte dort unbedingt nach dem Abitur studieren. "Alles auf Englisch, hörte sich automatisch fortschrittlicher an." Design sollte es sein, weil nur dieses Fach das "Ingenieur-Technische meines Vaters und das Ästhetische meiner Mutter" vereinte – doch an ihrem Gymnasium bot der Lehrplan nicht genug Kunstunterricht an, um an einer australischen Hochschule akzeptiert zu werden.

Ein Sessel wie ein Teddybär: "Nana" wurde von Hanne Willmann für die Marke Freifrau entworfen.
Foto: Tecta; Fabian Frinzel; Studio Hanne Willmann

Also löste die junge Hanne das Problem auf ihre pragmatische Art. Wälzte Lehrpläne anderer Schulen in der Nähe, entschied sich für ein Gymnasium in Oldenburg, zog mit 17 aus dem elterlichen Haus aus und in eine Studenten-WG ein. Nahm einen Studentenjob als Kellnerin an und ignorierte die skandalumflorten Augen in ihrer katholischen Heimatstadt. Nur um ihr großes Ziel zu erreichen: als Hauptfächer Physik und Kunst zu wählen, die bestimmt seltsamste Fächerkombination, seit es Abiturprüfungen gibt. Ihre Eltern sagten: Du weißt schon, was du tust. Hanne Willmann dachte, ja, tue ich.

Von Adelaide nach Berlin

Einziger Makel in diesem sehr vorwärtsgetriebenen Lebenslauf war dann der plötzliche Umschwung, es doch nicht ganz genau zu wissen – und am Ende lieber in Deutschland zu bleiben, um sich an der Universität der Künste in Berlin zu bewerben. Drumherum lauter Studenten, die von Design richtig viel Ahnung hatten. "Ich habe mich da wie ein Bauer gefühlt", sagt sie rückblickend. "Ich war die Blöde, die keine Ahnung von Designern hatte, aber dafür wusste, wie man die Sachen baute." Und das hat ihr geholfen, diesen Widerspruch zu lösen. Sie schaute anders auf die Aufgaben als ihre Kommilitonen: praktischer, baumhauserfahrener, kreissägenerprobter.

Ein Tisch wie ein Faltenwurf: "Bromo" ist ein Design für die deutsche Designmarke Favius.
Foto: Tecta; Fabian Frinzel; Studio Hanne Willmann

Wer nun denkt, diese Hanne Willmann muss eine ganz große Konzentrationskünstlerin sein, die sich stundenlang in Dinge einfuchsen kann, dem steht eine mittelschwere Enttäuschung bevor. Nach eigenem Bekunden ist Hanne Willmann "erratisch und sprunghaft". Sie sagt: "Ich arbeite gern an elf Projekten gleichzeitig und im Team, steige in eine Aufgabe tief rein, dann in die nächste." Einen Roman zu Ende lesen? "Jetzt habe ich die Konzentration, lese aber vier Bücher parallel." Filme schauen oder gar Serien suchten? "Halte ich nicht aus. Ich habe vergangenes Jahr vielleicht zehn Filme zu Ende gesehen – von 100."

Superpower schneller Überblick

Passt natürlich gut in eine Stadt, die selbst – je nach Zuneigungsgrad der Beobachter – als zickig oder voller Möglichkeiten angesehen wird. Berlin, die Stadt, die niemals wird. "Experimentierfreudig, spontan, bisschen brutal" findet sie ihre Wahlheimat. Ein Ort, der nie stillsteht. Wie das Auge von Hanne Willmann. Das ist ihre Superpower: alles schnell zu überblicken. Beispielsweise, wenn sie im Netz nach Inspiration sucht, "Bei Bildergalerien scrolle ich nur nach unten, analysiere ganz schnell, während die Person neben mir sagt: Hey, warte doch mal! Und ich antworte ihm: War das falsche Material, passt nicht."

Eine Leuchte wie ein Schwammerl: "Fungi", ebenfalls für Favius ausbaldowert.
Foto: Tecta; Fabian Frinzel; Studio Hanne Willmann

Mit ihrem Ruckzuck-Auge kann sie sich natürlich nicht lange im Museum aufhalten. Sie mag Bilder von Jonathan Meese, Installationen von Olafur Eliasson – selbst so ein Tüftler unter den Künstlern, der Sonnen und Kugeln baut – und kann sich überhaupt nicht vorstellen, lange vor einem Gemälde zu verharren. Was sich im Designprozess widerspiegelt: "Ich bin kein Stefan Diez, der sich ein Jahr damit beschäftigt, wie man ein Sofa denken muss."

Sinnliche Möbel

Trotzdem setzt sie sich natürlich mit ihren Objekten auseinander. Das Gestalten ist die Erweiterung des Tüftelns im Kollektiv. Beispiel: ihr sehr aufsehenerregender Stuhl Nana, den sie für die Freifrau Manufaktur erdachte und der vergangenen Sommer auf den Markt kam. Mit ihrem Team hat sie Luftballons halb aufgeblasen, mit Stäben und Gummibändern verbunden, um zu sehen, wie eine "gequetschte Ästhetik" aussehen könnte. Am Ende wurde es ein flauschiger Wolkenstuhl, der viel Aufmerksamkeit erregte, weil er eben nicht wie ein skandinavisch-japanischer Minimalismushocker aussah.

"Opulent, fast übertrieben" nennt sie ihn rückblickend, aber auch "sinnlich und emotional". Letzteres sei in den gegenwärtigen Möbeldenkfabriken momentan gefragt. Dass man nicht nur mit Statik und Maßband an die Entwürfe herangeht, das perfekte Verhältnis von Sitzhöhe und -tiefe einhält, sondern sich auf Dinge besinnt, die den Menschen auf einer anderen Ebene abholen. "Kurvig und anschmiegsam" findet sie ihre Nana. "Wenn ich mich auf den Stuhl setze, denke ich zuerst: Was für ein Körpergefühl habe ich? Könnte der nicht auch in meinem Schlafzimmer stehen, weil er so gemütlich wirkt?"

Eine Vitrine wie ein rechter Winkel: "S 4" von Tecta entstammt einer ganzen Familie kantiger Möbel.
Foto: Tecta; Fabian Frinzel; Studio Hanne Willmann

Hauptsache nicht glattgeleckt

Wenn es einen Trend der Tage gäbe, dann diesen: "Dass nicht alles glattgeleckt wie das iPhone ist." Die Neuberlinerin hat vor der Pandemie ein paar Wochen in Mexiko-Stadt verbracht, örtliches Kunsthandwerk studiert und an Terrakotta-Sets gearbeitet. "Als ich mit meinen Fingern über die Bemalung strich, habe ich die Glasur gespürt, die Bemalung, die Punkte – alles war rau, uneben." Haptik, Struktur, Textur kommen im Design wieder, darauf baut sie. "Wir haben ein Bedürfnis nach Berührung." Und dieses können sterile Oberflächen nicht befriedigen.

Sie lacht kurz, denkt an einen ihrer Klienten, "sehr klassische Kundschaft, fast holländisches Couchdesign: perfekte Rückenhöhe, perfekte Armlehne". Sie liebt es, diese Auftraggeber herauszufordern und Sofas zum Lümmeln zu entwerfen, denn das entspreche nun einmal der Realität. "Die Leute liegen heute viel mehr auf der Couch. Ich will kein Sofa, auf dem man fein seinen Tee trinken kann." Geht auch nicht mit den Tassen, könnte man entgegnen – tut man aber nicht, wenn man hier im Berliner Ostbezirk Weißensee zu Gast ist und beim Sauwetter da draußen sich über jedes aufwärmende Getränk herzlich bedanken sollte.

Hanne Willmann studierte in Berlin und Barcelona, arbeitete in Istanbul und in Diensten von Werner Aisslinger. Hier sehen wir die Designerin in ihrem Berliner Studio, das sie 2015 aufsperrte.
Foto: Florian Reimann; Thomas Wiuf Schwartz

Qualität ohne Kompromisse

Es gibt eine Sache, die für Hanne Willmann noch wichtiger ist als die schönste Wohlfühlwelle. Wo sie keine Kompromisse kennt: die Qualität der Produkte. Da ist sie ganz klassische Designerin. "Ich möchte hochwertig produzierte Möbel entwerfen, die nicht alle fünf Jahre ersetzt werden." Sie redet von der Dualität von "emotionalem und materiellem Wert", über faire Produktionsprozesse und ein Umdenken in den Firmen. "Wenn ich mit einem spanischen Hersteller arbeite, möchte ich natürlich, dass er seine Zulieferer in Spanien hat." Einmal habe sie ein Angebot ausschlagen müssen, weil der Auftraggeber einen Teil seiner Möbel in Indonesien fertigen lasse. Sorry, geht nicht, schon mal von Nachhaltigkeit gehört?

Dafür nimmt sie auch ihre Generation in die Pflicht. "Die Hälfte isst vegan, achtet total auf Ernährung, aber kauft Möbel bei Westwing oder Ikea." Nachteil der Ikea-Demokratisierung: Die Gesellschaft hat sich an Niedrigpreise gewöhnt. "Ein Sofa aus Deutschland kostet wenigstens 2000 Euro. Um faire Löhne zu bezahlen, hochwertige Schäume zu verarbeiten und überhaupt Sofas mit Federung bauen zu können." Sie schüttelt den Kopf. "Viele Leute, die ich kenne, kaufen nur Schaumblöcke, die aneinandergeklebt sind."

Hanne Willmann hofft auf Qualitätsschulung, Werteerziehung, Respekt gegenüber dem Material. "Wenn du ein Baum bist, der gefällt wird, möchtest du doch nicht mit einem richtig schlecht geschweißten Metall zu Designschrott verarbeitet werden?" Interessante Innenperspektive. Wenn du eine heiße Tasse Tee bist, möchtest du, dass die Leute die ganze Zeit vor dir zurückschrecken? Manche Konflikte lassen sich nicht lösen.
(RONDO, Ulf Lippitz, 18.11.2022)