Zivilgesellschaftliche Organisationen protestieren auf der Weltklimakonferenz gegen neue Erdgasprojekte in Afrika.

Foto: Philip Pramer

Die Nächte auf dem Konferenzgelände im ägyptischen Sharm el-Sheikh werden immer kürzer: Je näher das Ende der Klimakonferenz rückt, desto weiter in die Nacht hinein dauern die Verhandlungen zwischen den Staaten. Dabei drängt auch ein Thema in den Vordergrund, das bereits im vergangenen Jahr in Glasgow für Streit sorgte: Wie kann verhindert werden, dass weiter massiv in die Förderung fossiler Brennstoffe investiert wird?

Im vergangenen Jahr ging es dabei in erster Linie um Kohle, jetzt stehen auch Erdöl und Erdgas im Kreuzfeuer. So will etwa das Verhandlungsteam Indiens erreichen, dass alle fossilen Brennstoffe im Abschlusstext genannt werden – als stark kohleabhängiges Land will Indien verhindern, dass es gegenüber erdöl- und erdgasreichen Ländern benachteiligt wird.

Auch die Europäische Union schließt sich dem an – sie schlägt für das Abschlussdokument der Konferenz jedoch vor, den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen als Ziel zu definieren. Das wäre eine gewichtige Ansage: Die Verbrennung fossiler Brennstoffe sorgt für rund 75 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.

Afrikanische Regierungen setzen auf Erdgas

"Wie soll ein Entwicklungsstaat das schaffen?", antwortet Henry Kokofu, Politiker aus Ghana und Sonderbeauftragter des Climate Vulnerable Forum, eines Zusammenschlusses von 58 Staaten, die in einer überhitzten Welt als besonders verwundbar gelten. Kokofu steht in einem Innenhof zwischen den Konferenzhallen. Um ihn scharen sich rund ein Dutzend Journalistinnen und Journalisten und halten ihm Mikrofone unter die Nase. Ein rundes, hellbraunes Sonnensegel schützt vor der gleißenden Mittagssonne in der Wüstenstadt.

Kokofu ist mit seinem Einwand nicht allein. Die Afrikanische Union will die Energieinfrastruktur ausbauen und sieht in den großen Erdgasvorkommen eine große Chance für die Zukunft des Kontinents.

Derzeit werden nur sechs Prozent des weltweit gewonnenen Erdgases in Afrika gefördert. Das wollen viele afrikanische Länder jetzt ändern. Selbst auf der Klimakonferenz werden Ansagen dazu gemacht. So kündigte Tansanias Energieminister January Makamba auf der Konferenz ein neues Projekt im Wert von 40 Milliarden US-Dollar mit den Mineralölfirmen Equinor und Shell an: Sie wollen Flüssiggas (LNG) für den Export fördern.

Öl- und Gasindustrie ist auf der Konferenz stark vertreten

"Wegen der Energiekrise in Europa sehen wir plötzlich viele neue Investitionen in Erdgasprojekte in Afrika", erklärt die Simbabwerin Lorraine Chiponda von der Bewegung African Climate Movement-of-Movements. Es sei frustrierend zu sehen, wie stark die Mineralölindustrie selbst hier auf der Klimakonferenz vertreten sei, sagt sie und lässt ihren Blick durch den Innenhof schweifen, in dem sich Delegierte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von NGOs sowie Journalistinnen und Journalisten tummeln.

Laut einem Bericht von Global Witness sind auf der 27. Weltklimakonferenz knapp 640 Vertreterinnen und Vertreter der Mineralölindustrie registriert. Das ist um ein Viertel mehr als im vergangenen Jahr.

Das spiegle sich auch in den Erklärungen vieler afrikanischer Staaten wider, kritisiert Chiponda. "Und unsere Regierungen rechtfertigen den geplanten Erdgas-Boom, indem sie sagen: Erdgas ist grüner als Kohle", sagt Chiponda.

LNG-Pläne nicht Paris-konform

Gleich mehrere Berichte, die anlässlich der Klimakonferenz veröffentlicht werden, warnen vor dem Gasausbau: So prognostiziert die Internationale Energieagentur, das Analysehaus der OECD, dass der Verbrauch fossiler Energien noch in diesem Jahrzehnt in eine Stagnationsphase übergehen und dann langsam sinken wird.

Gleichzeitig mahnt die Agentur, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe, einschließlich Erdgas, nicht weiter steigen darf, wenn noch Hoffnung bleiben soll, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken, wie es die Staaten im Pariser Klimaabkommen versprachen.

Eine Analyse des Rechercheteams der Organisation Climate Action Tracker zeigt jedoch: Allein die weltweit neu geplante Förderung von Flüssiggas (LNG) würde die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mehr als 1,9 Milliarden Tonnen klettern lassen. Das seien rund zehn Prozent des gesamten CO2-Budgets, das der Welt bis 2050 noch bleibe, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken, erklärt Climate Action Tracker.

Damit würde sehr viel mehr Erdgas produziert, als russische Gasexporte ersetzt werden müssen: Bis 2030 würden die weltweiten LNG-Pläne dazu führen, dass doppelt so viel neues Erdgas gefördert wird, wie Russland weltweit exportierte.

Klimabewegungen wollen Gasfieber stoppen

"Wir wollten uns auf der Konferenz eigentlich auf die Finanzierung für Klimaschäden und -verluste einsetzen", sagt Chiponda von African Climate Movement-of-Movements. "Stattdessen müssen wir jetzt darauf aufmerksam machen, was gerade in Afrika passiert."

Sie ist Teil einer Initiative zivilgesellschaftlicher Organisationen, die das Gasfieber stoppen wollen. Am Samstag zog sie dazu mit Bannern zwischen den Veranstaltungszelten vorbei. "Don't gas Africa!", ruft ein Demonstrant. "Don't gas Africa!", skandiert eine Gruppe ihrem Taktgeber nach.

Die gleichnamige Initiative warnt die afrikanischen Staatsoberhäupter, dass der Sprint Richtung Gas "gefährlich und kurzsichtig" sei. Anstatt "Europa mit mehr klimaschädlichen fossilen Brennstoffen zu versorgen", fordern sie von den Staats- und Regierungschefs, schnell auf erneuerbare Energie umzustellen.

Sie sehen in den vielen Investitionen nicht die vielversprechende Entwicklungschance, die viele Regierungen propagieren, sondern eine Sackgasse, die einerseits die Wucht der Erderhitzung verschlimmern und andererseits der Bevölkerung nur schaden werde. So verursachten bereits entwickelte Öl- und Gasprojekte Landkonflikte, Abholzung und weitere Umweltverschmutzung.

Carbon Tracker: Solarpotenzial nutzen

"Jeder Dollar, der jetzt in das Erdgas fließt, fehlt beim Ausbau der erneuerbaren Energien", sagt die Kenianerin Charity Migwi von der Klimaorganisation 350.org, die die "Don't gas Africa"-Kampagne mitorganisiert. "Es ist verantwortungslos, dass europäische Regierungschefs für Erdgas aus Afrika werben", sagt sie in Richtung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, der kürzlich einen neuen LNG-Liefervertrag mit dem Senegal abschloss.

"Europa wird seine erneuerbaren Energien entwickeln und weniger Gas brauchen. Unsere eigene Energieversorgung sollten wir besser auf erneuerbaren Quellen aufbauen", sagt sie. Allein das afrikanische Windkraftpotenzial reiche, um die heutige Stromnachfrage des Kontinents 250-mal zu decken, rechnet die Don't-gas-Africa-Kampagne vor.

Dazu kommen die Möglichkeiten, die die Solarenergie liefert, wie auch der Finanz-Thinktank Carbon Tracker in seinem neuen Bericht unterstreicht. Afrikanische Staaten würden große finanzielle Risiken eingehen, wenn sie ihre Zukunft auf Erdöl und Erdgas verwetten. Stattdessen müsse ein klarer Fokus auf der Solarenergie liegen, heißt es in dem Bericht. Dabei gebe es viel aufzuholen: Zwar biete Afrika die idealen Bedingungen für Solarenergie, doch heute würden nur zwei Prozent der weltweiten Solarstromerzeugung im industriellen Maßstab in Afrika erzeugt, schreiben die Analysten.

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Hohe Verschuldung, hohe Zinsen

Das Problem, das dabei auf der Klimakonferenz immer mitschwingt: Viele afrikanische Länder kämpfen mit hohen Zinsen für Kredite, die sie aufnehmen wollen. Die Corona-Pandemie ließ den Schuldenberg weiter steigen. Damit fließen große Teile der Staatsbudgets in die Bewältigung von Krediten. Es bleibt wenig für die gewaltigen Investitionen, die es für die Energiewende braucht.

"Fossile Projekte sind derzeit eine der wenigen Einnahmequellen für afrikanische Staaten", sagt Chiponda. Damit Afrika die Energiewende schaffe, brauche es billiges Geld. Dazu fordern die Staaten eine Umstrukturierung des Finanzsystems. "Dann wäre das Geld, das wir aus den Großprojekten bekommen können, nicht mehr so nötig", ergänzt sie.

Kenias Schulden zum Beispiel lagen im vergangenen Jahr bei 71 Milliarden US-Dollar – daher würden nahezu 30 Prozent der Staatseinnahmen gebraucht, allein um Zinsen zu bedienen. "Dort müssen wir ansetzen, wenn wir die Energiewende in Afrika schaffen wollen", so Chiponda. "Neue Gasprojekte hingegen helfen dabei nicht weiter." (Alicia Prager, 15.11.2022)